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AUSSEN/593: Meilensteine deutscher Erinnerung (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 7. Mai 2018
german-foreign-policy.com

Meilensteine deutscher Erinnerung


DARESSALAM/BERLIN - Deutschland wird keine Entschädigung für seine Massenverbrechen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika zahlen und stattdessen koloniale Prachtbauten in Tansania restaurieren lassen. Das ist eines der zentralen Resultate der ersten Afrikareise von Außenminister Heiko Maas (SPD). Im vergangenen Jahr waren Forderungen laut geworden, Berlin solle die Nachfahren der Opfer des Maji-Maji-Kriegs entschädigen, in dem die deutschen Kolonialtruppen mutmaßlich 180.000, möglicherweise bis zu 300.000 Einwohner ihrer Kolonie umbrachten. Tansanias Außenminister, dessen Regierung von deutschen Entwicklungsgeldern abhängig ist, hat Maas nun zugesagt, keinerlei Entschädigung zu verlangen. Zudem verzichtet er auf die Rückgabe geraubter Kulturgüter. Berlin, das sich zur Zahlung von Entschädigungen nicht in der Lage sieht, will jetzt die Restaurierung deutscher Kolonialbauten in Tansania finanzieren. Zudem hat Maas in Daressalam der Askari gedacht - afrikanischer Söldner, die sich an der Seite deutscher Kolonialtruppen an deren Vernichtungsfeldzügen beteiligten.

Vernichtungsfeldzüge

Die in Tansania laut gewordenen Forderungen, Deutschland solle endlich Entschädigungen für seine kolonialen Massenverbrechen zahlen, beziehen sich auf den Maji-Maji-Krieg von 1905 bis 1907. Schon vor diesem hatten die deutschen Kolonialtruppen in den 1890er Jahren bei ihren mörderischen "Strafexpeditionen" eine "Strategie der verbrannten Erde" entwickelt, die zahllose Einwohner das Leben kostete. Die deutschen Kolonialtruppen seien jeweils "von einem Tal zum nächsten" gezogen, berichtet der Historiker Jan-Bart Gewald; sie hätten "jedes Tal umzingelt, alle Nahrungsmittel und Wasserquellen in dem Tal vernichtet, danach alle überlebenden älteren Menschen und Männer umgebracht, während junge Frauen und Kinder in Gewahrsam genommen und als Konkubinen oder Arbeitskräfte eingesetzt" worden seien.[1] Die Zahl der Todesopfer ist unbekannt. Die deutschen Vernichtungsfeldzüge gipfelten schließlich im Maji-Maji-Krieg, dem selbst nach Angaben des Deutschen Reichs mindestens 75.000 Menschen zum Opfer fielen; heute gehen Historiker von womöglich 180.000 Todesopfern aus, während der tansanische Historiker Gilbert Gwassa die Opferzahl gar auf 250.000 bis 300.000 taxierte; das wäre ungefähr ein Drittel der Bevölkerung des damaligen Kriegsgebiets.[2]

Keine Entschädigung

Die Debatte über mögliche Entschädigungen ist in Tansania zuletzt durch Entschädigungsklagen in anderen Ländern befeuert worden: Opfer der Niederschlagung des kenianischen Mau-Mau-Aufstandes (1952 bis 1960) durch britische Kolonialtruppen konnten mit einem Prozess in London gewisse Kompensationen erreichen; Nachkommen der Opfer des deutschen Genozids an den Herero und Nama im heutigen Namibia (1904 bis 1908) sind mit einem Prozess in New York zwar bisher nicht erfolgreich, setzen ihren Kampf jedoch fort. Unter dem Eindruck der Gerichtsverfahren in London und New York hat das tansanische Parlament am 8. Februar 2017 eine Anhörung durchgeführt, in der der Verteidigungsminister des Landes, Hussein Mwinyi, ankündigte, sein Ministerium bereite - in Abstimmung mit dem tansanischen Außenministerium - eine offizielle Aufforderung an Deutschland vor, für die Massenverbrechen der Kolonialisten eine Entschädigung zu leisten.[3] Tatsächlich ist es Berlin gelungen, die tansanische Regierung von dem Schritt abzubringen. Tansania ist empfindlich für Druck aus der Bundesrepublik: Es gehört zu den größten Empfängern deutscher Entwicklungshilfe in Afrika. Außenminister Heiko Maas (SPD) hat sich Ende vergangener Woche bei seinem Besuch in Daressalam von seinem tansanischen Amtskollegen Augustine Mahiga explizit bestätigen lassen, Entschädigungen seien "kein Thema, das die Regierung aufgegriffen hat": "Wir denken, dass es andere Wege der gegenseitigen Unterstützung als die Forderung nach Entschädigung gibt."[4]

Keine Rückgabe

Mahiga hat sich auch bereit erklärt, auf andere Forderungen zu verzichten. Dies bezieht sich vor allem auf Kunstobjekte, die die deutschen Kolonialisten einst ihren Kolonien raubten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat, um eine möglichst breite Zustimmung zur Pariser Afrikapolitik werbend, am 28. November 2017 in einer Rede an der Universität der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou erklärt: "Ich will, dass innerhalb der kommenden fünf Jahre die Voraussetzungen für zeitweilige oder endgültige Restitutionen des afrikanischen Kulturerbes geschaffen werden."[5] In Berlin hat Macrons Ankündigung Entsetzen ausgelöst. Kenner schätzen die Zahl der verschleppten Kunstobjekte, die im künftigen Humboldtforum in der deutschen Hauptstadt untergebracht werden sollen, auf rund 75.000.[6] Davon, dass die Bundesregierung zu einer freiwilligen Rückgabe bereit wäre, kann keine Rede sein. Offenbar ist es im Vorfeld der Afrikareise von Außenminister Maas gelungen, die tansanische Regierung zum Verzicht zu bewegen. Dies gilt wohl auch für das weltgrößte öffentlich ausgestellte Skelett eines Brachiosaurus, das ab 1909 - zwei Jahre nach dem Ende des Maji-Maji-Kriegs - bis 1913 im heutigen Tansania ausgegraben und dann umgehend von deutschen Paläontologen nach Berlin transportiert wurde. Im dortigen Naturkundemuseum gilt es heute als Publikumsmagnet. Seit Jahren werden in Tansania Forderungen nach Rückgabe laut, um mit Hilfe des Skeletts den Tourismus anzukurbeln.[7] Außenminister Mahiga beschränkte die Forderungen seines Landes gegenüber Maas nun ausdrücklich auf die Rückgabe menschlicher Gebeine, die die deutschen Kolonialisten einst stahlen, um sie im Reich für rassistische Forschung zur Verfügung zu stellen.

Bayerischer Heimatstil

Während Berlin nicht bereit ist, Entschädigungen für Massenverbrechen zu zahlen oder wenigstens verschleppte Kulturgüter zurückzugeben, hat Außenminister Maas nun allerdings anderweitig Unterstützung zugesagt - bei der Restaurierung kolonialer Prachtbauten. In Tansania sind bis heute Gebäude zu besichtigen, die von den deutschen Kolonialisten errichtet wurden - etwa Verwaltungszentren, Kirchen oder Militäranlagen, von denen aus die deutschen Kolonialtruppen zu ihren Vernichtungsfeldzügen starteten. Seit geraumer Zeit wirbt das Dar es Salaam Centre for Architectural Heritage (DARCH), das 2014 auf Initiative unter anderem des Goethe-Instituts sowie der Technischen Universität Berlin gegründet wurde, dafür, die Kolonialbauten zu restaurieren. Die "deutsche Architektur" weise "eine ganz eigene und auch eigenartige Architektursprache" auf, erklärt eine DARCH-Mitarbeiterin: So gebe es "dickes Steinmauerwerk mit geschnitzten leichten Holzstrukturen davor", daneben aber auch "heimatstilartige Elemente", die wiederum "ein bisschen an bayrischen Heimatstil" erinnerten.[8] All dies sei "ein wichtiger und kostbarer Teil der eigenen kulturellen Identität", "trotz des finsteren Kapitels der Kolonialgeschichte". Maas hat nun zugesagt, Berlin wolle in Tansania "Erinnerungsmeilensteine architektonischer Art erhalten".[9]

Die "Treue der Askari"

Zudem hat Maas am Freitag mit einer Kranzniederlegung afrikanischer Opfer der Kolonialzeit gedacht - allerdings nicht der Opfer der deutschen Kolonialisten, sondern der Kollaborateure. Die deutschen Kolonialtruppen heuerten schon bei ihren ersten Vernichtungsfeldzügen und später im Maji-Maji-Krieg afrikanische Söldner an, die "Askari" (Swahili für: "bewaffneter Begleiter") genannt wurden. Sie dienten den deutschen Kolonialisten bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. In der einheimischen Bevölkerung waren sie verhasst, weil sie sich an den deutschen Vernichtungsfeldzügen beteiligten und bei Überfällen und Plünderungen nicht selten besondere Grausamkeit an den Tag legten. Deutsche Kolonialnostalgiker hingegen haben immer wieder die angebliche Treue der Askari gelobt und ihnen kolonialverherrlichende Literatur sowie Denkmäler gewidmet.[10] Maas hat ihnen nun mit der Kranzniederlegung in Daressalam einen exklusiven Stellenwert in der öffentlichen Erinnerung verschafft.


Anmerkungen:

[1] Jan-Bart Gewald: Colonial Warfare: Hehe and World War One, the wars besides Maji Maji in south-western Tanzania. African Studies Centre (Leiden). Working Paper 63/2005.
S. dazu Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg (I).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7246/

[2] S. dazu Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7250/

[3] Athuman Mtulya: Maji Maji War in the spotlight. thecitizen.co.tz 09.02.2018.

[4] Tansania will keine Entschädigung von Deutschland wegen Kolonialherrschaft. handelsblatt.com 04.05.2018.

[5] Le discours de Ouagadougou d'Emmanuel Macron. lemonde.fr 29.11.2017.

[6] Bénédicte Savoy: Die Zukunft des Kulturbesitzes. Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.01.2018.

[7] Ricardo Tarli: Naturkundemuseum soll Saurierknochen an Tansania zurückgeben. tagesspiegel.de 26.07.2016.

[8] Gehören Kolonialbauten zur kulturellen Identität? deutschlandfunkkultur.de 02.01.2016.

[9] Tansania will keine Entschädigung von Deutschland wegen Kolonialherrschaft. handelsblatt.com 04.05.2018.

[10] Stefanie Michels: Der Askari. In: Jürgen Zimmerer (Hg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Frankfurt am Main 2013. S. 294-308.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2018

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