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INNEN/1705: Rekommunalisierung als Chance für die Demokratie (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 9/2012

Rekommunalisierung als Chance für die Demokratie

Von Thorsten Schäfer-Gümbel



Im Zuge der zunehmenden Verschuldung der Kommunen in Deutschland verfielen so manche der Idee, durch allerlei Formen der Privatisierung "den Kahn wieder flott zu machen". Diverse Fehlentwicklungen zeigen nun aber, dass der Verlust an Gestaltungsmacht der Kommunen auch zu einer Gefährdung der kommunalen Demokratie geführt hat. Eine Umkehr ist dringend erforderlich.


Keine politische Ebene unseres Gemeinwesens steht so unter Druck wie die der Kommunen. Das rührt an den Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung, denn die Kunst der Kommunalpolitik beschränkt sich zunehmend auf Mangelverwaltung. Der Befund ist deprimierend.

In diesem Artikel soll der Blick allerdings nicht in erster Linie auf die Problematik der Finanzausstattung der Kommunen gerichtet werden, sondern auf ordnungspolitische Fragestellungen, die mit der Dominanz marktradikaler Entwicklungen einhergehen.

Die Kommunen sind die Ebene, bei der der Trend zur Entsolidarisierung und Entstaatlichung am stärksten durchgeschlagen hat. Sie ächzen unter dem ideologischen Erbe von Maggie Thatcher und ihrer Epigonen.

Der Schlachtruf "privat vor Staat" hat gerade im Hinblick auf die kommunale Ebene fast hegemoniale Wirkung erreicht. Die Länder haben mit dieser Zielvorgabe in die Handlungsspielräume der Kommunen eingegriffen. Und die Kommunen selbst haben diesem Grundsatz allzu oft gehuldigt und damit am Ast gesägt, auf dem sie sitzen. Es ist an der Zeit, den Schlachtruf "privat vor Staat" zu kontern und Marktradikale in die Schranken zu weisen: "Eine Stadt ist kein Konzern."

Bei der Privatisierung kommunaler Dienste waren zwei Trends dauerhaft zu beobachten. Zum einen die Umwandlung von Eigenbetrieben in privatwirtschaftliche Gesellschaftsformen wie Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kommanditgesellschaften oder sogar Aktiengesellschaften, die im Besitz der Kommunen geblieben sind. Diese "formellen" oder "unechten" Privatisierungen folgten der Vorstellung, dass die privatwirtschaftliche Organisation mit der Professionalisierung der Geschäftsführung einhergehe, dass die Unternehmen weniger politischer Einflussnahme ausgesetzt seien und damit ökonomisch rationaler geführt würden und schließlich war häufig auch das Ausscheiden aus den Tarifen und den Mitbestimmungsregeln des Öffentlichen Dienstes ein angestrebtes Ziel.

Nun sind solche "formellen Privatisierungen" nicht per se Teufelszeug. Tatsächlich wurden ja viele öffentliche Unternehmen nicht optimal geführt. Und häufig waren die Strukturen und die Denkweise des öffentlichen Dienstes nicht in Einklang zu bringen mit den ökonomischen Erfordernissen einer erfolgreichen Betriebsführung. Aber auch im öffentlichen Dienst hat sich viel geändert. Das Dienstleistungsdenken ist heute viel stärker ausgeprägt. Ökonomische Methoden finden auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung immer stärkere Anwendung.


Kontrollverlust gewählter Gremien

Der Verlust an politischer Steuerung aber, der mit den "unechten Privatsierungen" verbunden war, hat die Bedeutung der kommunalen Vertretungen deutlich geschwächt. Die Unternehmenspolitik wird zumeist nur noch indirekt beeinflusst oder entzieht sich ihr ganz und gar. Vollends absurd wird die Lage, wenn die Vertreter einer Kommune im Aufsichtsrat eines Unternehmens nicht mehr die konkreten Interessen ihrer Stadt vertreten dürfen, sondern sich durch das Aktiengesetz an das abstrakte Interesse des Unternehmens gebunden fühlen. Das ist keine weltfremde Schwarzmalerei, sondern war beispielsweise der Fall im Zusammenhang mit dem geplanten Bau eines Kohlekraftwerks auf der Ingelheimer Aue zwischen Mainz und Wiesbaden. Der Wiesbadener CDU-Oberbürgermeister Müller erklärte, er dürfe sich als Mitglied im Aufsichtsrat gar nicht aus politischen Gründen, wie von der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung gefordert, gegen den Bau des Kohlekraftwerks aussprechen. Auch dürfe ihm das "Stadtparlament" nicht die Ausübung seines Aufsichtsratsmandats vorschreiben. Dieser Vorgang ist ein exemplarischer Fall für den Kontrollverlust der gewählten Gremien.

Schließlich hat die Tarifflucht, die mit vielen Privatisierungen verbunden war, dazu geführt, dass die ökonomischen Zielvorgaben auf dem Rücken der Beschäftigten erreicht wurden. Zwar konnte zumeist eine Besitzstandswahrung für bereits Beschäftigte vereinbart werden, aber im Rahmen der Fluktuation wurden die Standards gesenkt.

Der andere Trend war die Privatisierung in dem Sinne, dass kommunale Unternehmen verkauft wurden und damit das jeweilige Geschäftsfeld privaten Unternehmen überlassen wurde. Für diese "materiellen" oder "echten" Privatisierungen waren zum einen fiskalische Überlegungen ausschlaggebend, auch wenn der Verkauf des Tafelsilbers zumeist nur einen Strohfeuereffekt erzeugte. Aber auch die grundsätzliche, oft ideologisch aufgeladene Frage, welche Aufgaben die Kommunen übernehmen sollten, wurde hier aufgerufen. Der Rückzug vieler Kommunen aus der Wohnungswirtschaft wurde zum Beispiel regelmäßig damit begründet, dass es keine öffentliche Aufgabe sei, Wohnungen zu vermieten. Auch bei der Versorgung mit Strom und Gas, bei den Krankenhäusern und Bädern spielte das Argument häufig eine zentrale Rolle. In der Natur der Sache liegt, dass nur das in dieser Form privatisiert werden konnte, was potentiell gewinnträchtig war.

Die "materielle" Privatisierung kommt also einer Lizenz zum Rosinenpicken gleich und passt damit gut zum unausgesprochenen aber zutreffenden Grundsatz der Marktradikalen: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. Gerade Unternehmen oder Unternehmensbereiche, die profitabel arbeiten, können in der Kommune durch die Quersubventionierung defizitärer Bereiche eine wichtige soziale Ausgleichsfunktion übernehmen. Die Quersubventionierung ist nicht von Übel, sondern durchaus ein legitimes Steuerungselement im Sinne einer sozialen Umverteilung.

Der marktradikale Kampf gegen kommunale Unternehmen hat sich in Hessen besonders deutlich in der Debatte um die Regelung der Gemeindeordnung zur wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen gezeigt. Wie selbstverständlich verlangen CDU und FDP, dass Kommunen nur dann wirtschaftlich tätig sein dürfen, wenn sie eine Aufgabe besser erfüllen können als Private. Mit welchem Recht eigentlich? Wenn wir zu Recht erwarten, dass kommunale Unternehmen eine Vorbildfunktion übernehmen, im Hinblick auf soziale und ökologische Standards beispielsweise, können sie nicht generell diesem überzogenen Anspruch genügen.

Wieso müssen die Kommunen das in einem aufwendigen bürokratischen Verfahren beweisen, wie es die Vorschriften zur Markterkundung verlangen? Unter dem Deckmantel des Subsidiaritätsprinzips werden hier schlicht Marktanteile zwangsprivatisiert und die Kommunen geschwächt.

Wir brauchen in den Gemeindeordnungen eine Art Umkehr der Beweislast: Eine Privatisierung kann es nur geben, wenn Private nachweisen können, dass sie die Aufgabe signifikant besser erledigen können. Wir brauchen eine Rückbesinnung darauf, dass die Kommunen mit ihren Unternehmen der ureigensten Aufgabe der Daseinsvorsorge nachkommen und ihnen dafür möglichst wenige Steine in den Weg gelegt werden. Ein Paradebeispiel dafür ist ihre Rolle bei der Energiewende. Meine These ist: Sie wird ohne eine aktive Rolle der Kommunen nicht gelingen.

Hier gibt es einen Trend zur Rekommunalisierung und das ist gut so. Im Blick stehen dabei die Strom- und Energienetze - gerade wenn das Auslaufen von Konzessionsverträgen den Einstieg erleichtert - sowie die Energieerzeugung. Dies bietet die konkrete Chance, die Energiewende zu gestalten. Es bietet darüber hinaus aber auch die Chance für ein "Revival" der Daseinsvorsorge in kommunaler Verantwortung. Es ist ein Stück Zurückgewinnung kommunaler Souveränität und damit ein Beitrag zum Widerstand gegen die Schwächung der kommunalen Ebene.

Für die Kommunen bedeutet dies auch die Rückgewinnung ihrer Gestaltungsmacht in einem zentralen Feld, also eine Stärkung der lokalen Demokratie, die damit eine Aufgabe jenseits der Mangelverwaltung erfüllt. Schließlich sollen kommunale Unternehmen auch beispielgebend für Sozialdemokraten sein, zum Beispiel im Hinblick auf die Mitbestimmung, die Tariftreue, die Arbeitsbedingungen oder die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen. Ein weiterer Faktor, der dafür spricht, den Trend in Richtung Rekommunalisierung zu stärken, denn sie stellt eine Chance für die Daseinsvorsorge und die Stärkung der kommunalen Demokratie dar.


Thorsten Schäfer-Gümbel (* 1969) ist Vorsitzender der SPD Hessen und der hessischen SPD-Landtagsfraktion
(t.schaefer-guembel@ltg.hessen.de)

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 9/2012, S. 40-42
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2012