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MEDIEN/377: Zwischen Markt und öffentlichem Auftrag (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 5/2010

MEDIENSPIEGEL
Zwischen Markt und öffentlichem Auftrag
Der Streit um die Regulierung der Online-Aktivitäten von ARD und ZDF

Von Samad Berdjas


Was soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet anbieten und wo endet der Online-Auftrag? Diese Frage stand während der letzten Jahre im Fokus einer medienpolitischen Debatte um die Rolle von ARD und ZDF jenseits von Radio und Fernsehen.


Experten, Journalisten, Politiker und die betroffenen Interessengruppen stritten leidenschaftlich über Chancen und Gefahren gebührenfinanzierter Inhalte im Internet. Braucht das Internet starke öffentlichrechtliche Angebote, um die Meinungsfreiheit und -vielfalt zu sichern? Oder generiert das Netz durch private Akteure und Partizipation ein ausreichend großes Spektrum an publizistischer Pluralität und Qualität? Die Diskussion dieser Fragen berührte grundsätzliche Aspekte einer zukünftigen Online-Ordnung.

Die klare Aufteilung in einen öffentlich finanzierten, gemeinwohlorientierten und einen privaten, profitorientierten Bereich, wie sie sich über Jahrzehnte im Rundfunksektor herausgebildet hatte, fand im Internet keine Entsprechung. Zu unterschiedlich waren Geschichte und Logik der Medien. Seit seinen Anfängen wurde das Internet als hybrides, offenes Netzwerk in ständigem Wandel weiterentwickelt. Die Medienpolitik ließ weitgehend Laissez-Faire walten. Doch auf der Suche nach ihren Positionen im Netz gerieten die Akteure aus Presse und Rundfunk mehr und mehr in Konflikt miteinander. Hintergrund ist das schwierige wirtschaftliche Umfeld der Online-Welt. Die Werbeeinnahmen sind immer noch zu gering und Paid-Content - bezahlter Inhalt - lässt sich nur spärlich verkaufen. Zu groß ist das freie Angebot, im Netz regiert das Follow-the-Free-Prinzip. Vor allem Online-Journalismus kann sich nicht refinanzieren, die Portale werden querfinanziert aus Presse und Rundfunk. In diesem Umfeld sind die Online-Aktivitäten von ARD und ZDF ein rotes Tuch für alle privaten Anbieter. Inhalte aus Gebührengeldern zerstören fragile Online-Märkte, so die Angst.

Gleichzeitig erhöht der ungebremste Aufstieg des Internets zu einem neuen Massenmedium dessen Relevanz für die gesellschaftliche Meinungsbildung. Es ist der genuine gesellschaftliche Auftrag der öffentlichen Anbieter, die freie Meinungsbildung im Rundfunk durch Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu sichern. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinen Rundfunkurteilen stets betont, dass ARD und ZDF in der Erfüllung dieses Auftrags dem Medienwandel folgen müssen. Das heißt, der Rundfunkbegriff ist nicht starr. Sobald ein anderes Medium an die meinungsbildende Funktion des Rundfunks heranreicht, ist die Lage aus Sicht der Karlsruher Verfassungshüter eindeutig: ein Fall für eine starke Präsenz öffentlich-rechtlicher Anbieter. Mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts im Rücken reklamierten ARD und ZDF eine Präsenz im Netz als dritte Säule, als gleichwertigen Verbreitungsweg neben Radio und Fernsehen.


Drei-Stufen-Test

Der Verband privater Rundfunk- und Telemedienanbieter (VPRT) klagte 2003 auf europäischer Ebene gegen diese Expansionsstrategie von ARD und ZDF im Internet. Die Europäische Kommission - medienpolitisch marktliberal gesinnt - gab der Klage statt. Der Streit wurde nun angeheizt durch zusätzlichen Zündstoff aus Brüssel. Durch die Einleitung eines Beihilfeverfahrens wurde die Bundesrepublik aufgefordert, klare Grenzen für die Reichweite des Online-Auftrags zu schaffen. Nach langem Hin und Her zwischen den rundfunkpolitisch verantwortlichen Bundesländern und der Brüsseler Kommission kam es schließlich zu einer Einigung, das Beihilfeverfahren wurde eingestellt. Im Juni 2009 traten die neuen Online-Regeln für ARD und ZDF mit dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag in Kraft.

Seither dürfen alle Sendungen der öffentlichen Anbieter aus Radio und Fernsehen nur sieben Tage nach Ausstrahlung im Netz verfügbar sein. Des Weiteren müssen Online-Angebote in Bezug zu einer Sendung aus dem Rundfunk stehen. Werbung sowie Partner-, Kontakt- oder Tauschbörsen, Preisvergleichsportale, Branchenregister u.ä. sind explizit nicht Teil des Auftrags.

Wichtigstes Element der neuen Regeln wurde der sogenannte Drei-Stufen-Test. Angebote, die speziell fürs Internet konzipiert werden - sogenannte Telemedienangebote - müssen ein neues Testverfahren durchlaufen. In drei Schritten werden dabei die Zugehörigkeit des Angebots zum Auftrag, die Auswirkungen auf den publizistischen Wettbewerb und die finanziellen Kosten überprüft.

Doch dieser Kompromiss konnte die Wogen des Streits nur für einen kurzen Moment glätten. Schon die ersten praktizierten Drei-Stufen-Testverfahren riefen lautstarken Protest hervor: Kritiker sprechen von einem Schein-Test, da die anstaltseigenen Gremien ihn durchführen. Die Gremien sind besetzt mit Vertretern der großen gesellschaftlichen Gruppen und haben eine Funktion ähnlich eines Aufsichtsrates. Immer wieder wird ihnen jedoch fehlende Distanz und zahnlose Kontrolle vorgeworfen, so auch in diesem Fall. Mit dem Test in den Händen der Gremien ginge die ungebremste Online-Expansion von ARD und ZDF weiter, so die Konkurrenz.


Breitenwirkung und Suggestivkraft

Wenn man den Widerstreit der Interessen für einen Moment beiseite lässt und nach einer Grundlage für die Beurteilung von Sinn und Unsinn öffentlicher Angebote im Internet sucht, lohnt sich ein Blick zurück: Was waren die historischen Argumente für die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und wie verhalten sich diese in Bezug auf die Entwicklung dieses neuen Mediums? Die Sonderrolle, die das BVerfG speziell dem Rundfunk für die Meinungsbildung zuschrieb, wurden vor allem durch zwei Faktoren begründet: Sehr viele Menschen werden durch Rundfunk erreicht (Breitenwirkung) und Inhalte aus Bild und Ton wirken besonders stark auf die Meinungsbildung (Suggestivkraft).

Des Weiteren ist die Produktion von Rundfunkbeiträgen kostenintensiv, im Gegensatz zu den geringeren Produktionskosten der Presse. Qualitativ hochwertige Nachrichten, Reportagen und Unterhaltung für den Rundfunk sind teuer und finden deshalb wenig zahlungsbereite Kundschaft. Werbefinanzierte Inhalte senken wiederum die Qualität, weil sie möglichst massenattraktiv sein müssen. Anders ausgedrückt: Publizistische Qualität in Bild und Ton kann nur unzureichend über den freien Markt finanziert werden. Die Übertragung dieser Aufgabe an öffentliche Anbieter und deren gemeinschaftliche Finanzierung über Gebühren wurde als einzig gangbarer Weg gesehen, um die hohen Kosten zu decken und gleichzeitig die Staatsferne zu wahren.

Das multimediale Internet wird zu einem Medium, das in der Breite meinungsbildend wirkt, und es beinhaltet einen großen Teil audiovisueller Angebote. Die Analogie zur verfassungsrechtlichen Sonderstellung des Rundfunks ist, zumindest in reichweitenstarken Teilen des Internets, nicht von der Hand zu weisen. Im Netz stellt sich außerdem, wie im klassischen Rundfunk, die Frage: Wie entsteht publizistische Qualität in Bild und Ton? Youtube bietet zwar Masse, aber wenig guten Journalismus. Und die privaten Anbieter unterliegen auch hier den Zwängen der Werbefinanzierung. Die Bedingungen für den gesellschaftlichen Auftrag öffentlicher Anbieter im Internet scheinen gegeben, wenn sich ARD und ZDF auf Bild- und Tonprodukte konzentrieren und den Verlegern die elektronische Presse überlassen. Der neue Staatsvertrag untersagt dem öffentlichen Rundfunk die Produktion von elektronischer Presse ausdrücklich.

Vieles spricht für eine Übertragung des Auftrags auf Felder, die dem klassischen Rundfunk ähnlich sind. Damit soll nicht verdeckt werden, dass es Probleme mit den öffentlich-rechtlichen Anbietern gibt. Sie sind zu Teilen strukturkonservativ und weigern sich, die wenig effektive Selbstregulierung durch ihre Gremien zu reformieren. Aber in der Diskussion um den Online-Auftrag geht es nicht primär um diese strukturellen Probleme von ARD und ZDF. Es geht vielmehr um die grundsätzliche Frage, ob wir ein öffentliches Medienangebot als Gesellschaft wollen und ob wir es auch wollen, wenn Medien sich verändern und ein maßgeblicher Teil der Meinungsbildung nicht mehr bloß durch Radio und Fernsehen geprägt wird.


Innovative Wege

Das vieldimensionale Medium Internet bietet enormes Potenzial für die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Auftrags öffentlicher Anbieter. Durch die Möglichkeiten des Netzes - durch Partizipation, Interaktion, durch zeitversetzte Angebote - lassen sich neue, innovative Wege beschreiten, um den Gebührenzahlern ansprechende, innovative und qualitativ hochwertige Inhalte zu bieten. Der Online-Bereich bietet auch Chancen, die Anbindung ans Publikum zu verbessern und damit die gesellschaftliche Legitimation zu erhöhen. Die Mutter aller öffentlich-rechtlichen Anbieter, die britische BBC, betrachtet Online schon lange als Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags und die Medienpolitik gibt ihr die klare Aufgabe, auch im Netz ein umfassendes Angebot für die Gebührenzahler bereit zu stellen. Ein Festhalten an einem historisch gewachsenen Rundfunkbegriff war hier nie zu erkennen.

Gehört ein Online-Spiel zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wenn es der Bildung dient? Müsste es eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine geben, um ein Stöbern im Netz jenseits von Googles Geschäftsinteressen zu ermöglichen? Diese Fragen müssten offen diskutiert werden, damit Gebührengelder der Gesellschaft zugute kommen. Die Interessen privater Anbieter sind nachvollziehbar. Welcher gesellschaftliche Bereich jedoch über den freien Markt organisiert wird und an welchen Stellen gemeinwirtschaftliche Finanzierung eingesetzt wird, um bestimmte Ziele zu erreichen - das ist eine gesellschaftliche und damit politische Entscheidung.


Samad Berdjas (*1981) hat Publizistik, Politik und Philosophie studiert und promoviert derzeit über "Öffentliche Medien im digitalen Strukturwandel" am Fachbereich Publizistik der FU Berlin. Er ist dort auch Lehrbeauftragter.
samad.berdjas@fu-berlin.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 5/2010, S. 61-63
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2010