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MENSCHENRECHTE/231: Grenzen, Flüchtlinge und Menschenrechte (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 5 vom 15. März 2011

Grenzen, Flüchtlinge und Menschenrechte
Tagung des Teilprojekts "Demokratische Ordnung" im SFB 804 zu Formen und Grenzen des Rechtsausschlusses von Einwanderern

Von Caroline Path


Vollbesetzte Fischerboote landen auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa. Es sind Flüchtlinge aus Nordafrika. Das Auffanglager ist überfüllt. Die italienische Regierung bittet um Hilfe und die europäische Grenzschutzagentur Frontex startet den Einsatz Hermes, um die Außengrenze der Europäischen Union zu Afrika stärker zu überwachen. Im Februar 2011 wird die Flüchtlingsproblematik in Europa kontrovers diskutiert. Auch eine Tagung des Sonderforschungsbereichs "Transzendenz und Gemeinsinn" der TU Dresden wandte sich diesem Thema zu. Tagespolitisch aktuell hinterfragte das politikwissenschaftliche Teilprojekt "Demokratische Ordnung" die Formen und Grenzen des Rechtsausschlusses von Einwanderern.

"Schon für Hannah Arendt war das Asylrecht eines der wichtigsten Rechte des Menschen", erklärt Julia Schulze Wessel, Organisatorin der Tagung. "Sie sagte, dass das Unmenschliche erst durch die Flüchtlinge und Staatenlosen in die Welt gekommen ist." In ihrem Vortrag zu Beginn der Tagung sprach die Politiktheoretikerin über den Flüchtling als politische Grenzfigur. Grenzfigur, weil er den demokratischen Rechtsstaaten die Grenzen von Demokratie und Menschenrechten aufzeigt. Denn Menschenrechte werden verletzt, wenn Flüchtlingsboote mitten im Mittelmeer zur Umkehr gezwungen werden. "Obwohl Rechte heute transnational, also eben nicht mehr an den Staat gebunden sind", sagt Hans Vorländer, Leiter des Teilprojekts und gleichzeitig Sprecher des Sonderforschungsbereichs 804, "ist letztendlich doch nicht jeder im Besitz aller Rechte." Migranten verfügen - unabhängig vom Aufenthaltsstatus - so zwar häufig über soziale, jedoch nicht über politische Rechte.


Rechte der Migranten laufen faktisch leer

Welche Rechte und Handlungsmöglichkeiten statuslose Migranten konkret haben, schilderte Insa Breyer in ihrem Tagungsbeitrag. Die Berliner Politikwissenschaftlerin verglich die Situation der "sanspapiers" in Frankreich und Deutschland. Sie zeigte dabei, dass den "Illegalen" ihre Rechte entweder nicht bewusst sind oder diese faktisch leer laufen, weil die Inanspruchnahme mit persönlichen Risiken, wie einer Abschiebung, verbunden ist. "Die Angst vor dem Arztbesuch ist symptomatisch für die Situation in Deutschland", erklärt Breyer. "Soziale Leistungen für Migranten sind hier nicht wirklich klar geregelt und werden stattdessen oft von Vereinen gestemmt." Die medizinische Hilfe für Migranten, die in Frankreich durch den Staat gewährleistet ist, sei, so Breyer, aber auch kein Versuch, Menschenrechte zu sichern, sondern vielmehr pragmatisch in der Eindämmung von Krankheiten begründet. Indem zum Beispiel in Deutschland die Datenübermittlungspflicht bei der medizinischen Notfallversorgung mittlerweile eingeschränkt wurde, scheinen sich beide Staaten im Umgang mit statuslosen Migranten aufeinander zuzubewegen. Breyer sieht diese Konvergenz allerdings nur nach außen gegeben: "Was die Rechte und die Möglichkeit der Legalisierung von Migranten angeht, gleichen sich Deutschland und Frankreich nicht an, in Bezug auf die Sicherung der EU-Außengrenze allerdings schon."


Grenzen werden zu dynamischen Grenzräumen

Den Begriff der Grenze beleuchtete Julia Schulze Wessel näher. "Die Grenze hatte bei Hannah Arendt noch keine Bedeutung, die Staatenlosen waren universal rechtlos", sagt die Politikwissenschaftlerin und erklärt weiter: "Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Grenze für Flüchtlinge zum Ort, der über Sicherheit und Schutz entscheidet." In einer immer weiter vernetzten Welt werden diese Grenzen häufig erst durch Flüchtlinge sichtbar. Wer würde das Mittelmeer sonst als hart umkämpfte Grenze wahrnehmen? Grenzen werden dabei immer mehr zum dynamischen Grenzraum. Die Grenze ist keine klare Linie mehr, sondern verschwimmt und der Grenzkonflikt wird ausgelagert. Klar wird das, wenn afrikanische Flüchtlingsboote noch auf dem Mittelmeer zur Umkehr gezwungen werden oder wenn der Ruf einer "Festung Europa" bis weit nach Afrika hinein reicht. "Arendt sah den Flüchtling immer im spezifischen Spannungsverhältnis zur Ordnung, beide standen in einem unmittelbar reziproken Verhältnis zueinander." Der Flüchtling wird so erst mit dem Staat zum Flüchtling. Heute sieht Schulze Wessel selbst diese Beziehung zerstört, wenn Grenzen immer weiter ausgelagert und Flüchtlinge schon vor Überschreiten einer Grenze abgewiesen werden. "Die Flüchtlinge kommen gar nicht mehr in den Bereich des Rechts." Flüchtlinge leben für Schulze Wessel im Gegensatz zum Staatsbürger in einer Grenzwelt, in einer Welt dazwischen. "Ihr spezifischer Ort ist die Grenze - so werden Flüchtlinge selbst zu Grenzfiguren."

Die Vorträge der Politikwissenschaftlerinnen Julia Schulze Wessel und Insa Breyer bildeten den Auftakt zur Tagung "Über die Unverfügbarkeit der Menschenrechte. Formen und Grenzen des Rechtsausschlusses von Einwanderern" vom 18. bis zum 19. Februar in Dresden. Auf der Tagung des Teilprojekts "Demokratische Ordnung" des Sonderforschungsbereichs 804 sprachen außerdem unter anderem Bernd Ladwig, Berlin, Barbara Laubenthal, Konstanz, und Holger Kolb vom Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen für Integration und Migration, Berlin. Ein ausführlicher Tagungsbericht erscheint in Kürze.

Mehr Informationen unter www.sfb804.de


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 22. Jg., Nr. 5 vom 15.03.2011, S. 5
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2011