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MENSCHENRECHTE/270: Mit dem Ende von Bürgerkriegen ist das Leid nicht vorbei (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Oktober 2013

Gesundheit:
Wenn die Suche nach Verschwundenen vergeblich ist - Mit dem Ende von Bürgerkriegen ist das Leid nicht vorbei

von Amantha Perera


Bild: © Amantha Perera/IPS

Adhri Rajbanshi sucht seit zehn Jahren nach ihrem Sohn
Bild: © Amantha Perera/IPS

Colombo/Kathmandu, 22. Oktober (IPS) - Es gibt einen Punkt der Starre, aus der sich Angehörige Verschwundener auch viele Jahre nach dem Verlust ihrer Lieben nicht befreien können. "Dann sind sie in einer Art Tunnelsicht gefangen", meint Bhava Poudyal vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Aserbaidschan. "Die Gedanken an die Vermissten beherrschen ihr Leben, und Tag für Tag ertragen sie die Ambivalenz von Hoffnung und Trostlosigkeit."

Poudyal spricht von den tausenden Familien in Dutzenden Ländern wie Nepal, Sri Lanka, Aserbaidschan, die nach Angehörigen suchen, die in oder nach bewaffneten Konflikten spurlos verschwanden.

Santhikumar aus dem Dorf Oddusudan in der srilankischen Nordprovinz weiß, was Poudyal meint. Im April 2009, als der Bürgerkrieg zwischen der Armee und der Rebellenorganisation Tamilen-Tiger LTTE seinem Ende zuging, verschwand sein Schwager. Seitdem hilft er seiner Schwester und ihren zwei Töchtern nicht nur dabei, über die Runden zu kommen, sondern beteiligt sich auch an der fieberhaften Suche nach dem Verschollenen. In jedem offiziell bekannten Gefängnis im Norden und in den angrenzenden Gebieten hat er nachgefragt. "Wenn uns jemand erzählt, ihn an einem bestimmten Tag und an einem bestimmten Ort gesehen zu haben, fahren wir hin", sagt er.


Endlose Suche

Santhikumar erzählt, dass sich die Familie an die schier endlose Suche gewöhnt habe. "Es gibt aber Tage, an denen meine Schwester stundenlang mit leerem Blick vor sich hinstarrt oder aber meine Nichten weinend zusammenbrechen. Am schlimmsten sind die Geburtstage, die Mädchen haben so viele Erinnerungen an ihren Vater."

Etwa 3.200 Kilometer entfernt, in der Ortschaft Jalthal im Osten Nepals, lebt Rena Mecha. Die 36-jährige Mutter von zwei Kindern im Alter von 16 und 14 Jahren sucht ihren Mann, der während der Pro-Demokratie-Kundgebungen 2006 verschwand. "Ich habe alles verloren", sagt sie. "Nichts kann mir das Leben zurückgeben", klagt sie.

Aus einer aktuellen IKRK-Dokumentation geht hervor, dass in Nepal etwa 1.400 Menschen seit Abschluss des Friedensabkommens 2006 vermisst werden. In den ländlichen Regionen wehren sich Frauen vehement dagegen, als Witwen betrachtet zu werden und die Trauerfarbe Weiß zu tragen. Denn dadurch würde sich ihre Situation noch verschlechtern und sie würden als Unglücksbringerinnen diskriminiert.

"Im Süden von Sri Lanka werden Frauen, die sich damit abgefunden haben, dass ihre Männer nicht zurückkehren werden, beschuldigt, die Vermissten zu betrügen", berichtet die Anthropologin Ananda Galappatti, die mit Familien Verschwundener arbeitet.

Wie Poudhyal berichtet, stellen in Aserbaidschan viele Familien zu den Mahlzeiten einen Teller für den Vermissten auf den Tisch, und das auch noch nach Jahren. Während des Konflikts um Berg-Karabach, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 zwischen den Republiken Aserbaidschan und Armenien ausbrach, verschwanden etwa 4.600 Menschen.

"Der andauernde Wartezustand macht es schwierig bis unmöglich, mit der Vergangenheit abzuschließen", sagt Zurab Burduli, der für das IKRK in Sri Lanka tätig ist. Galappatti hat beobachtet, dass die Familienmitglieder oft in eine Identitätskrise geraten, die sich durch die soziale Umgebung verschärft. "Bin ich noch verheiratet oder verwitwet?", fragen sich die Frauen, "Bin ich ein Kind ohne Vater?", die Töchter und Söhne.


Zahl der Vermissten in Sri Lanka nicht genau bekannt

In Sri Lanka ist die genaue Zahl der Vermissten umstritten. Eine vom Präsidenten gebildete Sondergruppe, die die Entwicklungen nach dem Aufstand der 'Janata Vimukhti Peramuna' (JVP) im Süden des Landes in den späten 1980er Jahren untersucht hatte, bezifferte die Zahl der Vermissten 1995 mit mindestens 30.000 Menschen. Das IKRK hat für Sri Lanka rund 16.000 solcher Fälle seit 1990 dokumentiert.

Burduli zufolge müssen für diese leidenden Familien besondere Hilfsangebote geschaffen werden. "Die weltweiten Erfahrungen des IKRK zeigen, dass auf nationaler Ebene koordinierte Maßnahmen am besten geeignet sind, um die Bedürfnisse dieser traumatisierten Menschen umfassend zu befriedigen." In Nepal erklären Angehörige Vermisster, dass sich ihre Lage seit der Einführung eines nationalen Programms nach dem Abschluss des Friedensabkommens 2006 leicht verbessert habe. (Ende/IPS/ck/2013)


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http://www.icrc.org/eng/
http://www.ipsnews.net/2013/10/when-the-missing-dont-return/

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IPS-Tagesdienst vom 22. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2013