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MILITÄR/814: Bundeswehr - Aufstandsbekämpfung wird elektrifiziert (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 19. Februar 2009

Aufstandsbekämpfung wird elektrifiziert
Bundeswehr entwickelt Elektroschockwaffen, die von
der UN als Folterwerkzeuge eingeschätzt werden

Von Frank Brendle


Die Bundesregierung bewertet den Einsatz von Elektroschockwaffen (sog. »Tasern«) durch die Polizei kritisch, läßt sie aber für den Bereich der Bundeswehr erforschen und läßt den Export in »kritische« Staaten zu. Diese widersprüchlichen Angaben macht sie in einer Antwort auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke.

Taser sind bei den meisten Polizei-Spezialeinheiten in Deutschland im Einsatz, nicht allerdings bei der Bundespolizei. Mit den Geräten werden an Drähten befestigte Nadeln auf Menschen abgefeuert und Stromstöße von 50000 Volt hindurchgejagt, um das Opfer zu lähmen. Menschenrechtsgruppen weisen auf die hohe Gesundheitsgefährdung hin. 28 Prozent aller Taser-Geschädigten müßten medizinisch behandelt werden, in Nordamerika seien bereits mehrere hundert Personen nach Taser-Schüssen gestorben. Besondere Gefahren scheinen für Herzkranke und Drogensüchtige zu bestehen.

Die Bundesregierung hält Taser zwar für eine »nichtletale« (nicht tödlich) Waffe, beurteilt aber nach eigenen Angaben »den Einsatz von Elektroimpulsgeräten gegen Personen zurückhaltend« und plane nicht, die Bundespolizei damit auszurüsten.

Seit 2000 allerdings betreibt das Verteidigungsministerium einschlägige Forschungen. Die Firma Diehl BGT Defence führe eine Untersuchung über »Wirksamkeit und Einsatztauglichkeit von Liquid Taser« durch, einer Weiterentwicklung, die nicht Drähte verschießt, sondern leitende Flüssigkeiten verwendet. Das Institut ZEPU in Witten beschäftige sich mit Gesundheitsgefahren und dem »Mortalitätsrisiko«, die Gesamtkosten betragen den Angaben zufolge rund 315.000 Euro.

Die Verwendung von Tasern ist zwar bei der Bundeswehr nicht freigegeben, es liegen aber welche in den Waffendepots. Wie viele verrät die Regierung nicht: Die Bestandszahlen seien »als Verschlußsache eingestuft«. Potentieller Verwendungszweck der Taser bestehe darin, »im Rahmen bestimmter Einsatzszenarien gewalttätige Personen im Nahbereich auf Distanz zu halten«. Eine Einschätzung, die ein typisch polizeiliches Szenario beschreibt, wie Jelpke anmerkt: »Offenbar ist beabsichtigt, die Bundeswehr künftig verstärkt gegen unbewaffnete Menschen einzusetzen, denn darin liegt der Haupteinsatzzweck von Tasern«, äußerte sie in einer Presseerklärung vom Mittwoch. In Frage kämen Einsätze zur Bekämpfung von Unruhen im Ausland, aber auch im Inland.

Das Antifolterkomitee der UNO betrachtet das auch in Deutschland von Landespolizeien verwendete Modell »TaserX26« als Waffe, die aufgrund ihrer starken Schmerzentfaltung »eine Form der Folter« darstelle. Amnesty International nennt Taser »hinterhältige Waffen«.

Ihr Export muß seit 2005 genehmigt werden, allerdings nur bei Lieferung in Staaten außerhalb der EU. Seither gingen Taser nach Saudi-Arabien, wo gefoltert wird, und in die Schweiz, wo sie bei Abschiebungen verwendet werden. Zu produzierenden und exportierenden Firmen macht die Bundesregierung keine Angaben. In Belgien, Norwegen, Italien, Dänemark und den Niederlanden sind die Geräte verboten.


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Quelle:
junge Welt vom 17.02.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2009