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MILITÄR/833: Ich sehne mich nach der Abschaffung atomarer Waffen (IPPNWforum)


IPPNWforum | 117|18 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Ich sehne mich nach der Abschaffung atomarer Waffen
Aufruf eines Hibakusha


Kido Sueichi ist der stellvertretende Generalsekretär von Nihon Hidankyo, einem Bündnis für die Opfer von Atom- und Wasserstoffbomben in Japan. Am 5. Mai 2009 hielt er vor dem Vorbereitungskomitee für die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags eine Rede und erzählte von seinen Erfahrungen als Bombenopfer.


"Ich war erst fünf Jahre alt, als die Atombombe auf Nagasaki abgeworfen wurde. Bald schon wird die Generation derjenigen ausgestorben sein, die die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki selbst erlebt haben, aber die Folgen und Schäden der Atombomben werden weiterhin zu spüren sein. Ich erzähle Ihnen nun von meiner Erfahrung mit der Atombombe, in der Hoffnung, dass es für unsere gemeinsamen Anstrengungen für eine Welt ohne nukleare Waffen eine Hilfe sein wird.

Am 9. August 1945, um 11.02 Uhr war ich zusammen mit meiner Mutter auf der Asahi-machi-Straße in Nagasaki, etwa zwei Kilometer vom Bombeneinschlag entfernt. Ich hörte das donnernde Geräusch der Kampfflieger. Als ich nach oben zu den Fliegern schaute, sah ich einen strahlenden Blitz und wurde durch die heftige Druckwelle zu Boden geworfen. Ich verlor sofort das Bewusstsein. Meine Mutter nahm mich in ihre Arme und floh zu einem Luftschutzbunker am Hang von Berg Inasadake. Dort fand uns später meine Schwester Akiyo. Es war dunkel, daher zündete sie ein Streichholz an. Im Licht dieses Streichholzes fand sie meine andere Schwester Yukiko, meine Mutter und mich zwischen vielen anderen Verletzten auf dem Boden liegen. Das Gesicht meiner Mutter war schwer verbrannt und angeschwollen, auch ihre Brust und ihre Arme waren verbrannt. Als sie meine Mutter in diesem unbeschreibbar elenden Zustand sah, konnte Akiyo ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Auch meine Brust und mein halbes Gesicht waren schwer verbrannt. Zunächst schienen meine Verbrennung nicht so schlimm zu sein, aber am nächsten Tag begann aus den entzündeten Stellen der Verbrennungen Eiter herauszuquellen. Zusätzlich hatte ich 40 Grad Fieber.

An diesem nächsten Tag flohen wir auf der Strasse längs des Urakami Flusses (etwa ein halber Kilometer vom Explosionszentrum entfernt) nach Michinoo (etwa 3,5 km nördlich von Nagasaki). In einem Umkreis von etwa eineinhalb Kilometer um das Explosionszentrum stand kein einziges Haus mehr, nicht einmal Überreste. Zahlreiche Leichen lagen wie verstreut auf der Strasse und unter der Ohahshi Brücke. Die Menschen waren einfach dort tot umgefallen, wo sie zum Zeitpunkt der Bombardierung gewesen waren. Es war die Hölle auf Erden. Und dazwischen gingen wir, ich nackt und Yukiko nur mit einer Unterhose.

Die Atombomben, die drei Tage zuvor auf Nagasaki und Hiroshima abgeworfen worden waren, töteten bis Ende des Jahres 1945 jeweils 70.000 und 140.000 Menschen. Wie konnten solch grausame und schreckliche Waffen verwendet werden? Diese Waffen sind ein Werk des Teufels.

Im Jahr 1952, direkt nach dem Ende der US-amerikanischen Besatzung Japans, veröffentlichte das Fotomagazin Asashi Graph eine Sonderausgabe über die Atombombe. Ich war fürchterlich schockiert von den Gerüchten, die nach der Veröffentlichung des Magazins verbreitet wurden. Es hiess, dass alle Hibakusha dazu verdammt seien, an Leukämie zu sterben, und dass sie deformierte Babies zeugen werden. Da erst wurde es mir tatsächlich bewusst, dass ich selbst ein Hibakusha bin. Der Schaden, den die Atombombe anrichtete, endete nicht im Jahr 1945 - auch heute noch quälen sie Körper und Geist der Überlebenden. Immer noch sterben viele an Krebs und Leukämie, und die Überlebenden müssen mit der ständigen Angst vor einem möglichen Krankheitsausbruch oder genetischen Folgeschäden der Verstrahlung durch die Atombombe leben.

Das Gesamtbild, alle Fakten über die Schäden, die durch die Atombomben angerichtet worden sind, ist immer noch nicht enthüllt. Bruchstückhaftes und unvollständiges Wissen über die Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben Missverständnissen und Vorurteilen den Weg bereitet, der zur Diskriminierung von Hibakusha führt. Selbst 65 Jahre danach gibt es diese Diskriminierung und nicht wenige verbergen ihre Identität als Hibakusha. Selbst nachdem ich mich von akuten Syndromen wie Haarausfall, Zahnfleischbluten und Durchfall erholt hatte, war ich trotzdem noch ein kränkliches Kind und konnte nicht jeden Tag zur Grundschule gehen. In meiner Kindheit fand ich es normal, meine Erfahrungen mit der Atombombe zu verschweigen. Und während der Oberschule habe ich oftmals ernsthaft darüber nachgedacht, dass ich besser nicht heiraten und Kinder bekommen sollte.

1973 heiratete ich aber. Lange Zeit hatte ich über meine Erlebnisse Stillschweigen bewahrt, aber dann war ich mehr und mehr überzeugt, dass gerade Hibakusha heiraten und Kinder bekommen sollten, weil man so beweisen kann, dass die Menschen die Atombombe überwinden können. Meine Frau hatte Bücher über Hibakusha gelesen und heiratete mich in vollem Bewusstsein der gesundheitlichen und sozialen Probleme von Hibakushas. Aber ihr älterer Bruder lehnte unsere Heirat ab und kam nicht zu unserer Hochzeit. Als meine Frau schließlich ein gesundes Mädchen zur Welt bracht, hätte ich nicht erleichterter sein können. Später hatte sie allerdings oft Nasenbluten, manchmal wirklich sehr stark. Ich war sehr beunruhigt, da ich das natürlich mit meiner Strahlenbelastung durch die Atombombe in Verbindung brachte. Heute ist meine Tochter gesund, aber meine Sorge um ihre Gesundheit bleibt bestehen.

In Japan leben etwa 240.000 Atombomben-Opfer. Ich bin einer der jüngeren. Jedes Jahr sterben etwa 8.000 Hibakusha. Selbst mit meinen begrenzten Erfahrungen kann ich eines doch feststellen: Atombomben sind die Waffen des Bösen, von Beginn an nur zur totalen Vernichtung bestimmt. Wir Hibakusha, Überlebende der Atombombe, haben über die Realität des von Atombomben verursachten menschlichen Leidens gesprochen. Wir haben die schnelle Abschaffung von Nuklearwaffen gefordert, weil niemand solche infernalischen Leiden und Qualen erleben sollte. Mit unserem ganzen Herzen, aus unserer eigenen lebenslangen Erfahrung heraus daher unser Appell: "Nie wieder Hibakusha!"

Vor kurzem stellte Präsident Obama fest, dass "die USA als einzige Atommacht, die Kernwaffen benutzt hat, eine moralische Verantwortung zum Handeln hat", zur Abschaffung nuklearer Waffen. Wir fühlen uns durch seine Worte ermutigt. Unser großer Wunsch ist, dass seinen Worten in Hinblick auf die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags 2010 auch Taten folgen."


Hibakusha

Hibakusha ist ein japanischer Begriff, der wörtlich "Die Bombardierten" bedeutet. In Japan wird er nicht nur für die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki, sondern auch als Bezeichnung für die Anti-Atomwaffen-Bewegung verwendet.

Das allgemeine Unwissen über die Strahlenkrankheit trug und trägt heute noch zur Diskriminierung der Hibakusha bei. Die Angst vor Ansteckung sowie Arbeitslosigkeit, Krankheit und allein der Status als Hibakusha drängt diese an den gesellschaftlichen Rand. Viele schweigen daher bis heute über ihre Erlebnisse während und nach der Bombardierung.

Ab 1950 wurden Hibakusha von der amerikanisch-japanischen ABCC (Atomic Bomb Casualty Commission) untersucht. Allerdings wurde über Hiroshima und Nagasaki eine Nachrichtensperre verhängt. Erst der Friedensvertrag von San Francisco im April 1952 beendete die Zensur und Reglementierung der Untersuchungsergebnisse. In diesem Vertrag hatte Japan auf sämtliche Reparationsforderungen zu verzichten - damit waren die USA von der Verpflichtungen gegenüber den Atombombenopfern entbunden.

Nach jahrelangen Forderungen des Verbands der Organisationen der Atom- und Wasserstoffbombenopfer wurde die Lage der Hibakusha schließlich auch auf staatlicher Ebene behandelt. 1958 wurde ein Gesetz verabschiedet, welches allen anerkannten Atombombenopfern unentgeltliche medizinische und ärztliche Versorgung ermöglicht.

Das Gesetz definiert Hibakusha als Menschen, die zum Zeitpunkt der Explosion bis zu 4 km vom Hypozentrum entfernt waren, kurz nach der Bombardierung nach Hiroshima und Nagasaki gekommen sind, oder als Fötus verstrahlt worden sind. Wer dies nachweisen konnte, bekam einen Ausweis. Ohne Heim und Familie war dies in vielen Fällen jedoch nicht einfach. Bisher wurden 367.000 Menschen als Atombombenopfer anerkannt. Bedürftige Überlebende bekommen je nach Erkrankung eine monatliche Unterstützung von 150-500 Euro, was allerdings die Lebenshaltungskosten in Japan nicht deckt.

Zu den Überlebenden der Atombombenabwürfe zählen auch ungefähr 40.000 koreanische Zwangsarbeiter. Sie können keine Reparationszahlungen aus Japan erwarten, da Südkorea im Normalisierungsvertrag mit Japan 1965 auf alle Ansprüche verzichtete. Bis heute hat euch der südkoreanische Staat keine Hilfsmaßnahmen ergriffen. Chinesische und andere asiatische Zwangsarbeiter kämpfen mit ähnlichen Schwierigkeiten.

Aus der IPPNW-Broschüre "Hiroshima", bearbeitet von Duong Khoi


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Quelle:
IPPNWforum | 117|18 | 09, S. 22-23
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2009