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MILITÄR/841: Piratenhatz am Horn von Afrika (IPG)


Internationale Politik und Gesellschaft 1/2010

Piratenhatz am Horn von Afrika
Zur politischen Ökonomie eines Piratenkonflikts und seiner geopolitischen Bedeutung

Von Birgit Mahnkopf


Um die Piraterie am Horn von Afrika zu bekämpfen, war im Sommer 2009 eine Armada von 40 Kriegsschiffen in den Gewässern vor der somalischen Küste und im »Somali Basin«, weiter im Indischen Ozean, unterwegs. Doch selbst diese größte Anti-Piraten-Armada in der modernen Geschichte scheint noch immer zu klein. »Nato sucht Schiffe für Piratenkrieg«, so titelt die Financial Times Deutschland im Juni 2009. Nicht nur der Umfang dieser Militäreinsätze ist gewaltig, auch die Kosten sind es: Allein der deutsche Einsatz wird für die Dauer des Jahres 2009 43,1 Millionen Euro verschlingen; von den 213 Millionen Euro, die im April 2009 auf einer Geberkonferenz in Brüssel für Somalia gesammelt worden sind, sollen gerade einmal zwei Prozent für andere als für militärische Aktivitäten ausgegeben werden (EED 2009). Doch wenig deutet bislang darauf hin, dass die militärische Präsenz eines unverhältnismäßig großen NATO-EU-Verbandes weitere Übergriffe auf Schiffe im Golf von Aden und im westlichen Indischen Ozean verhindern wird. Eher könnte sich die militärische Reaktion der an den Missionen beteiligten Staaten auf eine offenkundig nicht-militärische Konfliktkonstellation im Hinblick auf eine Verbindung von Piraterie und jihaddistischen Terrorangriffen oder zur internationalen organisierten Kriminalität als eine »self-fulfilling prophecy« erweisen.


Internationale politische Ökonomie der Piraterie im Golf von Aden

Offenkundig hat der Einsatz der größten Anti-Piratenflotte der Neuzeit viel mit der besonderen geostrategischen Lage Somalias zu tun - zwischen den ölreichen Regionen auf der Arabischen Halbinsel und im Sudan, am nordwestlichen Indischen Ozean und am Roten Meer, über die ein Großteil des europäisch-asiatischen Handels und viele Öltransporte laufen. Dass neben der NATO und der EU auch Russland, China, Indien und Japan mit Kriegsschiffen am Horn von Afrika präsent sind und die mit einem »robusten« UN-Mandat ausgestattete EU-Mission »Atalanta« inzwischen sowohl zeitlich (bis Ende 2010) als auch räumlich (bis zu den Seychellen) ausgeweitet wurde, deutet darauf hin, dass der Kampf gegen somalische Piraten im Kontext weitergehender (geo-)strategischer Überlegungen gesehen werden kann. Diese stehen fraglos im Zusammenhang mit einem »new scramble on Africa«, in dem jedoch, anders als vor 150 Jahren, zur Hochzeit des Imperialismus, nicht nur große westliche Wirtschaftsmächte ihren Einfluss am »Greater Horn of Africa« geltend machen. Der Einsatz einer überdimensionierten Kriegsflotte zur Bekämpfung krimineller Aktivitäten, die in erster Linie erhebliche, wenngleich auch nicht gravierende wirtschaftliche Kosten für einige wenige Unternehmen erzeugen, kann im Lichte eines sich verändernden Machtgleichgewichts zwischen dem Westen und Asien und insbesondere vor dem Hintergrund eines wachsenden Einflusses Chinas in Afrika gesehen werden.

Die Herausforderung für eine bislang ausschließlich von westlichen Mächten geprägte Weltordnung durch aufstrebende Schwellenländer (insbesondere durch China) und die Implikationen, die sich mit der Wiederkehr klassischer Machtpolitik (darin eingeschlossen die neuerliche Bedeutung von Seemacht und Seestreitkräften) für die Region des »Greater Horn of Africa« ergeben, können in diesem Beitrag nicht ausgeführt werden. Beabsichtigt ist jedoch deutlich zu machen, dass die Piratenjagd am Horn von Afrika durch die Gründe, die zur Rechtfertigung des massiven Militäreinsatzes vorgebracht werden, eben nicht hinreichend erklärt werden kann.


Piraterie als Praxis "ursprünglicher Akkumulation"

Die Piraterie vor der langen Küste und im Seegebiet vor Somalia weist einige Eigentümlichkeiten auf, die an die Praxis der "ursprünglichen Akkumulation" erinnert, wie sie in der historischen Vergangenheit insbesondere im Mittelmeerraum und im Golf von Bengalen weit verbreitet war. Piraterie wurde von den aufstrebenden europäischen Staaten im 17. und 18. Jahrhundert gefördert, gestützt und genutzt. Ein Großteil der englischen Marine bestand aus »privateers«, die feindliche Schiffe aufbringen durften (Senior 1976); Kaperbriefe der europäischen Herrscherhäuser machten aus einfachen Seeräubern ganz legale Geschäftsleute. Die »Gewaltökonomie im Mittelmeerraum der frühen Neuzeit« (so der Titel einer Studie von W. Kaiser 2008) legte den Grundstein für den bürgerlichen Reichtum in Europa und hat den Modernisierungsprozess angeschoben. Piraterie hat nicht nur den Malteserorden (durch den Handel mit Menschen und den Verkauf anderer Beute) reich gemacht, sondern vermutlich auch das Herrscherhaus der Grimaldis, deren Nachfahren heute das Steuerparadies Monaco regieren und daher von den Früchten einer »zivilisierten«, jedenfalls modernen Variante des organisierten Raubes leben.

In der Zeit, als Nationalstaaten zur dominanten Organisationsform in den Ländern des Westens wurden, überlappten sich Kriegsführung, Piraterie und Staatenbildung. In gewisser Hinsicht haben die Kriege die Staaten »gemacht«, und zumindest in der Phase der Nationalstaatsbildung in Europa wiesen die Strukturen des Staates und die der organisierten Kriminalität gewisse Gemeinsamkeiten auf. In beiden Fällen ging es nämlich darum, Ordnung durch eine Monopolisierung der Gewaltanwendung herzustellen (vgl. dazu ausführlich Tilly 1985 sowie Thomson 1994).

Doch mit der Ausweitung des maritimen Handels und stetig steigenden Gewinnspannen, vor allem im Fernhandel, verlor die Piraterie ihre frühere Akzeptanz. Die Handel treibenden Nationen setzten nun auf die kontinuierliche Entwicklung von rechtlichen Regelungen, um maritime Handelsrouten zu sichern - bis zu dem Zeitpunkt, als mit der Pariser Seerechtsdeklaration im Jahr 1956 die offiziell legitimierte Piraterie verboten wurde. Auch während der letzten 50 Jahre ist die Piraterie niemals ganz verschwunden. Dort, wo das Gewaltmonopol umkämpft und zugleich die ökonomische und politische Unsicherheit groß ist, wird immer wieder auf diese bewährte Praxis der ursprünglichen Akkumulation zurückgegriffen.

Dass dies auch in Somalia der Fall ist, verwundert wenig. Hier ist das Gewaltmonopol nach wie vor umkämpft, sind Gesetzlosigkeit, Raub und zahlreiche Konflikte allgegenwärtig (vgl. dazu ausführlich Matthies 2005). Seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 1991 ist die Zahl der Menschen, die auf die Verteilung von Lebensmitteln angewiesen ist, auf 3,2 Millionen gestiegen; das macht etwa 40 Prozent der Bevölkerung aus. In den Augen der westlichen Staatengemeinschaft gilt Somalia als ein »failed state«, weil nationalstaatliche Strukturen in diesem Land, das in fünf zum Teil teilautonome Gebiete zerfallen ist, nicht mehr existieren. Gleichwohl weisen zumindest die zwei nördlichen Regionen Somaliland und Puntland, die sich nach einer Übereinkunft unter eng verwandten Clans unabhängig erklärt haben, relativ stabile, von den Clans gestützte Strukturen auf, welche eine »governance without government« (Menkhaus 2008: 37) möglich machen. Vor allem die relative Stabilität Somalilands scheint in besonderer Weise auf Erfolge traditioneller Konfliktlösungsmechanismen zurückzuführen zu sein (Glavitza 2008). Dagegen haben zahlreiche Versuche des »external state building«, die während der letzten Jahrzehnte unternommen wurden, nicht dazu beigetragen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu fördern, sondern sie haben diese eher unterminiert, »by undercutting existing informal security and governance systems« (ebd.).

Gleichwohl greifen Erklärungen zu kurz, die die Ursachen der Piraterie in Somalia auf die spezifische Kombination von lang anhaltendem Bürgerkrieg, staatlicher Instabilität, Armut und die besonderen geografischen Gegebenheiten des Landes - eine lange Küste mit zum Verstecken gut geeigneten Mangrovensümpfen und vorgelagerten Inseln und Untiefen, welche die Schiffe zwingen, ihr Tempo zu drosseln - zurückführen (Petretto 2008: 73).


Kriminelle Aktivitäten vor der Küste Somalias ohne Sanktionen

In den 1990er Jahren, also unmittelbar nach Ausbruch des Bürgerkrieges, war die Piraterie vor Somalias 3 300 Kilometer langer Küste unbedeutend. Es waren nicht die Somalies, die von der prekären staatlichen Stabilität des Landes durch illegale Praktiken zu profitieren versuchten; wohl aber nutzten wirtschaftliche Akteure aus reichen Ländern die fehlende rechtliche Kontrolle in Somalia für private Profitinteressen aus. Als in der Folge des Bürgerkrieges die Überwachung der Küstengewässer und der ausschließlichen Wirtschaftszone durch die Marine und Küstenwache Somalias zusammenbrach, betrieben industrielle Fischereiflotten aus Europa und Asien Fischdiebstahl in großem Stil. Andere europäische Länder (und vermutlich auch Kanada) haben Tausende von Tonnen von Giftmüll (darunter radioaktiven Müll, Lithium, Cadmium, Quecksilber, Industrie- und Krankenhausabfälle und andere toxische Substanzen) illegal in das Meer vor Somalias Küste verklappt (vgl. UNEP 2005a).

Nach Schätzungen der FAO waren im Jahr 2005 ca. 700 Fischereischiffe vor den Gewässern Somalias unterwegs, auf der Jagd nach Thunfisch, Krebsen und Garnelen für die Konsumenten in Europa, Japan, Südkorea und anderen Ländern (FAO 2005). Auch im Juli 2009 sollen 400 europäische Trawler in den küstennahen Gewässern Somalias gefischt haben (EED 2009). Nach dem 1994 in Kraft getretenen Seerechtsübereinkommen der UN (SRÜ) gilt dies als Verletzung des Rechts der friedlichen Durchfahrt durch das Küstenmeer (Artikel 19 Absatz 2, lit i SRÜ). Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass ausländische Fischtrawler, die somalische Fischer von ihren Fischgründen (zum Teil mit Gewalt) verdrängen, dies unter dem Schutz der ausländischen Militärschiffe tun (IRIN 2009a,b).

Die Einnahmen der IUU-Flotten (»illegal, unreported and unregulated«) schätzt die High Sea Task Force weltweit auf 4 bis 9 Milliarden US-Dollar pro Jahr; ein Großteil dieser Einnahmen wird im subsaharischen Afrika, vor allem in Somalia erzielt (vgl. HSTF 2005), die Einnahmen aus IUU-Fischerei vor Somalia werden von der FAO mit 300 Millionen bis eine Milliarde Euro pro Jahr angesetzt. Viele der Industrieschiffe aus Europa und Asien fuhren (und fahren noch immer) unter einer so genannten »Billigflagge«, darunter alle Schiffe der spanischen Thunfischflotte, die, wie die französische und japanische, ihren Geschäften zunehmend im Indischen Ozean nachgeht, weil die Bestände des begehrten Thunfisch in heimischen Gewässern längst vom Aussterben bedroht sind. »Billigflaggen« sind aber nicht nur unter steuerpolitischen Gesichtspunkten und wegen ihrer oft miserablen Beschäftigungsbedingungen ein Problem, sie dienen vor allem auch dem Zweck, Fangquoten und andere Vereinbarungen zum Schutz der Fische zu unterlaufen, und ermöglichen es den Kapitänen, »aus dem Moment heraus mit einem bestimmten afrikanischen Land eine Vereinbarung zu treffen und in Eigenregie Fischereiverhandlungen per Fax zu führen« (Clover 2004: 188) - so wie dies offensichtlich lange Zeit mit somalischen Kriegsherren geschehen ist. Zwischen der EU und Somalia gibt es jedenfalls kein Fischereiabkommen, das die ausländischen Trawler berechtigt hätte, in somalischen Hoheitsgewässern zu fischen. Es gab hingegen Mafiaunternehmen aus Europa und Nordamerika, die oft gemeinsam von Exilsomaliern und Einheimischen betrieben wurden und eng mit somalischen »warlords« zusammenarbeiteten und von diesen »Lizenzen« zum Plündern der somalischen Gewässer erhielten (vgl. dazu Waldo 2009).

Doch selbst ein ganz legaler Erwerb von Fischereilizenzen für die Hoheitsgewässer armer Staaten des globalen Südens durch reiche Industrieländer darf in den meisten Fällen schlichtweg als neokoloniale Praxis bezeichnet werden - und wird inzwischen insbesondere in vielen afrikanischen Ländern auch so gesehen. Denn zum einen werden diese Lizenzen von den Subventionen bezahlt, mit denen die EU, Japan oder die USA ihren Fischern eine Vorteilsposition gegenüber den Fischern im globalen Süden verschaffen, zum anderen werden die lokalen Fischer durch die modernen und hochproduktiven Fischereiflotten aus dem Norden in ihrer Existenz bedroht, und sie können auch nicht damit rechnen, dass die von den Regierungen eingenommenen Gelder zum Ausgleich der entstandenen Einkommensverluste aufgewandt werden. Außerdem ist es inzwischen fast unmöglich geworden, legal von illegal gefangenem Fisch zu unterscheiden, weil die illegalen Fänge auf See auf Transportschiffe umgeladen und dort miteinander vermischt werden.

Nachweislich sind in Folge der Raubfischerei die Fischbestände in der Region Puntland (aus der die meisten Seepiraten stammen) in der Zeit von 1995 bis 2005 von 200 kg pro Bootsgang auf weniger als die Hälfte gesunken.(1) Hinzu kam, dass der Tsunami von 2004 viele Fischerboote und mit ihnen die Existenzgrundlage der Küstenbewohner vernichtete. Zunächst hatten die somalischen Fischer wohl versucht, die fremden Boote aus ihrer Wirtschaftszone zu vertreiben, stießen dabei aber nicht selten auf massiven Widerstand seitens der ausländischen Besatzungen und begannen daher, sich selbst zu bewaffnen. War das Ziel zunächst die Vertreibung der Industrieschiffe, so verlegten sich die ehemaligen Fischer später darauf, eigenmächtig eine »Fischsteuer« von gekaperten Schiffen einzutreiben.

Allerdings hat es neben der Spirale der gegenseitigen Bekämpfung und Aufrüstung von einheimischen Fischern und Piratenfischern nicht nur Anfang der 1990er Jahre sondern auch in der Zeit von 1998 bis 2006 immer wieder Versuche gegeben, die internationale Staatengemeinschaft zum Eingreifen gegen die Raubfischerei und die Vergiftung somalischer Gewässer durch ausländische Akteure zu bewegen - durch Führer der politischen Fraktionen in Somalia, seitens der »Ministers of Fisheries of Puntland«, von Vertretern der Fischer in den verschiedenen Regionen wie von zwei somalischen NGOS (vgl. dazu Waldo 2009, der sich auf Angaben des UN-Office for the Coordination of Humanitarian IRIN [2006] stützt). Denn im Prinzip fallen Fischraub und die illegale Verklappung von Giftmüll ebenso unter die UN-Seerechtskonvention wie das Kapern eines Schiffes und das Aussetzen der Passagiere oder Aneignung einer Ladung unter Anwendung von Gewalt: Verboten sind alle drei Aktivitäten, verfolgt wird aber nur die letztere (vgl. auch Ashkenazi 2009). Doch weder die UN noch die um Hilfe gebetene EU, die Afrikanische Union oder die Arabische Liga waren zu einem Engagement bereit, auch nicht einzelne Länder, die (wie etwa Italien) in der Lage gewesen wären, die von ihrem Territorium ausgehenden mafiösen Praktiken zu unterbinden.


Die glokale Ökonomie der modernen Seepiraterie

Die Piraten-Gangs, die heute vor der Küste Somalias bis weit in den Indischen Ozean hinein operieren, rekrutieren Nachwuchs aus der Gruppe ganz »normaler Jugendlicher« aus armen Verhältnissen; wie die Piraten der frühen Neuzeit, fragen diese Jugendlichen: »Why not I?«(2) Für diese jungen Männer, selbst wenn sie ein Hochschulstudium abgeschlossen haben (vgl. dazu das Interview mit dem Führer einer Piratengang in The Guardian vom 23. April 2009), bietet Somalia keine Perspektive, und daher liegt es für sie nahe, zwischen zwei gleichermaßen (lebens-)gefährlichen Alternativen zu wählen: Entweder sie versuchen, über die See in eines der Länder zu migrieren, aus denen die reich beladenen Frachtschiffe, Öltanker und Luxusjachten kommen, die den Golf von Aden passieren und in die modernen Industriefangschiffe ihre Beute aus dem Indischen Ozean bringen, oder sie entführen eines dieser Schiffe und erpressen Lösegeld. In einem Telefoninterview, das in BBC NEWS am 22. April 2009 ausgestrahlt wurde, formuliert der 25-jährige Dahir Mohamed Hayesi dies so: »Thousands of young desperate Somali migrants continue to risk their lives in the sea in search of a better life abroad. So it is no surprise to see us in the same water, pirating in search of money - there is no difference. (...) The only way the piracy can stop is if [Somalia] gets an effective government that can defend our fish. And then we will disarm, give our boats to that government and will be ready to work. Foreign navies can do nothing to stop piracy.« Daher werden sich somalische Piraten wohl noch lange als inoffizielle Küstenwache sehen, die mit den Lösegeldern, die sie durch das Kapern von Schiffen erpressen, eine lokale Ökonomie in Gang halten, die ansonsten auf Nahrungsmittellieferungen aus dem reichen Norden angewiesen ist und in der Tausende Menschen dazu gezwungen sind, ihr Glück in der undokumentierten Migration über immer gefährlichere Routen zu suchen, weil die EU (anders als Somalia!) über einen rigiden Küstenschutz verfügt und diesen zunehmend militarisiert.

Das lokale Gewerbe der Piraten ist gleichwohl in globale Waren-, Informations- und Geldströme eingebettet. Es profitieren von dieser kriminellen Aktivität viele Akteure: Neben den bereits erwähnten Fangflotten aus Frankreich, Spanien, Japan, Südkorea und einer Reihe anderer Länder (darunter auch Anrainerstaaten des »Greater Horn of Africa«) sind Reedereien, Jachtbesitzer und die Giftmüllmafia aus Europa und Nordamerika involviert. Hinzu kommen die Länder, die die »Billigflaggen« und mithin »das Recht zur Verfügung stellen«, das auf den Schiffen zur Anwendung gelangt. Betroffen von der Piraterie sind Schiffsbesatzungen, die in ihrer Mehrheit aus Ländern des »Globalen Südens« stammen. Beteiligt und begünstigt sind weiterhin Waffenproduzenten und -händler, die wie die Anbieter von nautischen Geräten und elektronischer Logistik ihren Geschäftssitz in einem Industrieland haben dürften, sowie die Lieferanten von Treibstoff und Ausstattungsmaterial für die Piratenschiffe im Jemen. Die somalische Diaspora in Europa, den USA und Kanada stellt informelle Kredite und Informationen zur Verfügung. Internationale Versicherungsgesellschaften mit Sitz in London, in den USA oder auf den Bahamas haben mit ihrer Definition des Golfes von Aden als einer »war risk zone« die Versicherungsprämien für die Passage durch den Suezkanal kräftig nach oben getrieben und daran gut verdient. Lösegeldzahlungen, Krisenberater, Verhandlungen mit Kidnappern und die Übergabe von Lösegeld per Helikopter werden mitversichert. »Kidnapping and Ransom«-Policen für ein Schiff mit einer Drei-Millionen-Dollar-Deckung können bis zu 30.000 US-Dollar betragen (Financial Times Deutschland vom 11. Mai 2009). An der Piraterie verdienen aber auch professionelle Verhandler (etwa 2 500 bis 5 000 US-Dollar pro Tag) und vor allem private Sicherheitsfirmen, die für die Übergabe von Lösegeld zwischen 250 000 und 500 000 US-Dollar verlangen. Doch die Seeräuberei ist nicht zuletzt auch für internationale Anwaltskanzleien zu einer einträglichen Geldquelle geworden, verlangen diese für ihre Beratung doch oft sechsstellige Beträge.


Eine neue Gefahr für die globale Sicherheit?

Wer danach sucht, wird Gemeinsamkeiten zwischen Piraten und »neuen Kriegsakteuren« entdecken: Fraglos handelt es sich bei der Piraterie im Golf von Aden um einen Typus nicht-staatlicher Gewalt, der das geschwächte Gewaltmonopol des Staates ausnutzt. Keine Frage, in dieser Weltregion ist die Piraterie in ihrem derzeitigen Umfang nur deswegen möglich, weil staatliche Institutionen, die ihr Einhalt gebieten könnten (Polizei, Küstenschutz und ein funktionierendes Rechtssystem) geschwächt und in einigen Regionen des Landes ganz verschwunden sind. Daher lässt sich auf nationale Governance-Strukturen für eine Konfliktlösung nicht zurückgreifen. Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, die Piraterie als Ergebnis von Staatszerfall zu beschreiben. Zum einen gibt es in der autonomen Region Puntland, von der aus die Piraten operieren, kein vergesellschaftetes Gewaltmonopol, sondern durchaus ein gewisses Maß an Ordnung, das über Clanstrukturen hergestellt wird (vgl. Weber 2008). Zum anderen haben die somalischen Piraten durchaus Züge von »Sozialrebellen« (vgl. Hobsbawm 1972), die zwar kriminelle Methoden anwenden, um die etablierten Hierarchien von Macht und Reichtum in Frage zu stellen, in den lokalen Gemeinschaften aber sozial akzeptiert sind und für ihr Tun sogar bewundert werden (vgl. Biegon 2009).

Auch ließe sich die Piraterie in somalischen Gewässern als erste Stufe einer Gewaltökonomie beschreiben: Das über Erpressung erworbene Geld stimuliert in den bitterarmen Ortschaften, aus denen die jungen Piraten kommen, eine rege Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen und sorgt dafür, dass eine große Anzahl von Menschen direkt oder indirekt von den Erträgen der Piraterie leben kann - und dies in einem Land, in dem nahezu die Hälfte der Bevölkerung nach einem 18 Jahre andauernden Bürgerkrieg, der immer wieder von außen angeheizt wird, auf Lebensmittelhilfen angewiesen ist und Auslandsüberweisungen von Migranten mehr als ein Fünftel des somalischen Bruttoinlandsprodukt ausmachen.

Die Piraterie ist sicherlich vorrangig durch private, eigennützige Motive motiviert; doch es fehlt es an Belegen dafür, dass die Entführungsindustrie ein Mittel zur Ressourcenbeschaffung für den Bürgerkrieg darstellt. Nach einer von der BBC zitierten UN-Studie über die Verwendung von Lösegeldzahlungen in Eyl, einem der drei Dörfer im Nordosten Somalias, aus denen viele Piraten kommen, fließt das erpresste Geld in zu viele Taschen, als dass es einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung des Bürgerkrieges leisten könnte (Harper 2009).(3) Einmal ganz abgesehen davon, dass gerade die radikal-islamische al-Shabab Miliz, die von den USA als jihaddistische Terrororganisation eingestuft wird, sich immer wieder dezidiert gegen jede Form von Piraterie positioniert hat und Verbindungen zwischen den Piraten und islamistischen Terrornetzwerken sich durch statistische Daten, wie sie am American National Terrorism Center gesammelt werden, schlichtweg nicht bestätigen lassen (vgl. Struwe 2009: 15).

Auch für eine Einbindung der Piraten in ein komplexes System der organisierten Kriminalität lassen sich (gegenwärtig noch) wenige Belege finden. Ein sehr großer Anteil der erpressten Lösegelder scheint in der Region zu bleiben und sich auf viele Profiteure aufzuteilen. Wenn aber so viele Menschen ihren Anteil an 1-3 Millionen Lösegeldzahlungen erhalten, können die Summen, die ins Ausland fließen, nicht groß genug sein, um internationale Verbrechersyndikate zu interessieren. Vermutungen, dass ein Großteil der Lösegelder über Syndikate der organisierten Kriminalität in Dubai und der Golfregion gewaschen würden, konnten bislang von keinem Seegeheimdienst bestätigt werden (Struwe 2009) und erscheinen vor dem Hintergrund des in Somalia verbreiteten »hawala banking«4 (vgl. dazu Altvater / Mahnkopf 2002: 245ff) auch wenig plausibel: Da die Lösegelder bar gezahlt werden und das somalische Finanzsystem schon so lange, wie es Handel über Grenzen hinweg gibt, ohne Banken und Dokumentation auskommt - die Transaktionen erfolgen auf der Basis von Vertrauen und Ehre über persönliche Beziehungen - , braucht es keinerlei Geldwäsche, um kriminell erworbenes Geld in den formellen Wirtschaftskreislauf einzuführen.

Gleichwohl soll die Piraterie »wegen ihrer globalen Wirksamkeit« bekämpft werden (Petretto 2008: 77) - und am wirkungsvollsten, so sehen es viele Politiker nicht nur in Deutschland, mit allen Mitteln, die ein »robustes« UN-Mandat erlaubt, also nicht nur durch »Schüsse vor den Bug« der Piratenschiffe, sondern durch die Zerstörung der Mutterschiffe, der Stützpunkte und Häfen in Somalia und natürlich durch Einsätze an Land. Da der gegenwärtige Militäreinsatz im Golf von Aden durchaus das Potential hat, größere Gefahren für die globale Sicherheit, die befürchtet werden, erst heraufzubeschwören, mag es hilfreich sein, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass die Erteilung eines UN-Mandats zur Piratenbekämpfung im Jahr 2008 alles andere als selbstverständlich war.


Die Militarisierung des Piratenkonflikts durch die Staatengemeinschaft

Zwischen 1994 und 2003 hatte sich die Zahl der beim International Maritime Bureau (IMB) der International Chamber of Commerce (ICC) gemeldeten Überfälle auf See von 90 auf 445 nahezu verfünffacht; 176 dieser Überfälle ereigneten sich in Südostasien, mit einer hohen Konzentration an dem aus der Sicht der großen, Handel treibenden Staaten bedeutendsten »choke point«, der Straße von Malakka zwischen Indien, Malaysia, Birma, Indonesien und Singapur. Mit circa 90 000 registrierten Schiffspassagen pro Jahr kommt der schmalen Meerenge zwischen der Andamanensee und dem Südchinesischen Meer, zwischen dem Indischen Ozean und dem Pazifik, durch die fast zwei Drittel der weltweiten Schiffstransporte gehen und circa die Hälfte der weltweiten Energielieferungen, eine Schlüsselstellung für den Schiffsverkehr zu. Inzwischen werden 80 Prozent des Welthandels mit dem Schiff abgewickelt, und meist muss die Ladung im Laufe ihres Transports mindestens einmal durch ein maritimes Nadelöhr - wie die Straße von Malakka oder den Suez Kanal.

Verglichen mit den Überfällen an dem südostasiatischen »hot spot« waren die im Jahr 2003 am Horn von Afrika gemeldeten Überfälle mit insgesamt 27 eher drittrangig; allein in den Gewässern Bangladeshs und Nigerias fanden zu dieser Zeit weit mehr Piratenübergriffe statt als in Ostafrika insgesamt. Auch in den folgenden Jahren blieb die Piraterie in den süd- und südostasiatischen Regionen auf einem hohen Niveau. Hinzu kommt, dass ein Terroranschlag in der Straße von Malakka »zu den Horrorszenarien maritimer Sicherheitsbehörden« gehört (Tophoven 2008) und es zwischen Piraten und islamischen Separatisten zumindest im Falle Indonesiens Verbindungen zu geben schien. Gleichwohl waren weder die Schlüsselstellung der Straße von Malakka für den Welthandel noch die vermutete Verbindung zwischen Piraterie und islamischem Terrorismus für die internationale Gemeinschaft ein Anlass, auf die Piraterie in Südostasien mit einem massiven Militäreinsatz zu reagieren.


Der Einsatz der »größten Anti-Piraten-Armada« der Neuzeit

Noch im Jahr 2007 lag die Zahl der gemeldeten Überfälle in ostafrikanischen Gewässern niedriger als die vor den Küsten Südostasiens und des indischen Subkontinents. Doch dann gab es einen Anstieg der Überfälle um beeindruckende elf Prozent, von 263 Überfällen (2007) auf 293 im Jahr 2008; für das IMB stellte dies einen »unvergleichlichen Anstieg« von Entführungen auf hoher See dar (ICC 2009) - und für die Staatengemeinschaft gab dieser Anstieg, der nahezu ausschließlich auf Angriffe im Golf von Aden zurückzuführen war, den Ausschlag für einen Vorstoß im Sicherheitsrat der UN.

Überzeugen kann das quantitative Argument indes nicht. Denn es passieren 16 000 bis 20 000 Schiffe pro Jahr den Golf von Aden, das macht etwa 1 700 bis 2 000 pro Monat oder 60 Schiffe pro Tag. Wenn davon 40 bis 100 Schiffe gekapert werden, so rechtfertigt dies wohl kaum einen x Millionen teuren Militäreinsatz. Zweifel sind vor allem angebracht, wenn dieser mit dem Schutz der Schiffe des World Food Programme gerechtfertigt wird. Denn im Jahr 2008 wurden gerade einmal zehn Schiffe des WFP entführt, aber 90 Frachtschiffe, Öltanker und Kreuzfahrtschiffe. Wäre es vordringlich um die Sicherstellung der Nahrungsmittellieferungen nach Somalia gegangen, hätte eine Luftbrücke wohl auch ihren Zweck erfüllen können. Das sehen selbst vehemente Befürworter des Militäreinsatzes so: »Wenn es nur darum ginge, Schiffe des WFP zu begleiten, dann ist >Atalanta< hoffnungslos überdimensioniert. Die Sicherung dieser Schiffe lässt sich mit einer oder maximal zwei Kriegsschiffen problemlos bewerkstelligen. Dazu bedarf es keiner riesigen, multinationalen Operation mit allein fünf deutschen Schiffen (Stand Ende Mai) im Einsatz.« (Stinner 2009: 112) Und sicherlich ist der Militäreinsatz auch überdimensioniert, um einige kleine Hafendörfer (insbesondere Eyl und Harardheere) zu überwachen, aus denen offenbar viele der Piraten kommen.

Auch wenn der gesamte monetäre Schaden, der durch somalische Piraten angerichtet wird, im Verhältnis zum Gesamtwert der Ware, die von 20 000 Schiffen pro Jahr durch den Suez-Kanal transportiert wird, nur gering ist, kann eine Schiffsentführung im Einzelfall freilich sehr teuer werden. Denn zu den direkten Kosten, die sich aus der Entführung ergeben, müssen die Ausfallzeiten der Schiffe (ein Tag kostet bis zu 20 000 Dollar), Vertragsstrafen wegen Lieferverzug, zusätzliche Heuer für die Besatzung, die bereits erwähnten höheren Versicherungsgebühren sowie die Kosten für Maßnahmen hinzugerechnet werden, die von den Reedern zum Schutz der Schiffe vor Piratenüberfällen ergriffen werden (vgl. Münchner Rück 2006: 19; Financial Times Deutschland vom 17. April 2009). Im Einzelfall können sich die Gesamtkosten schon auf drei bis fünf Millionen Dollar pro Schiffspassage belaufen. Doch rechtfertigen die direkten und indirekten Kosten der Piraterie im Golf von Aden tatsächlich den Einsatz der größten Anti-Piraten-Armada der neueren Geschichte - gäbe es nicht auch Handlungsalternativen?

Nicht allein wegen der hohen Kosten, die von den Reedern getragen werden müssten, stellt die Privatisierung des Schutzes der Schiffe jedenfalls keine Alternative dar. Schon in der Vergangenheit hat sich diese Praxis als nicht erfolgreich erwiesen und sie würde - auch nach Einschätzung der Reeder - nur zu einer Eskalation der Gewalt führen. Praktikabel wäre es indes, die Schiffe generell im Konvoi fahren zu lassen. Das würde allerdings »Zeit kosten«, denn die leistungsfähigeren Schiffe der Flotte müssten ihr Tempo dem der langsamsten anpassen; und noch mehr Zeit würde die längere Ausweichroute um das Kap der Guten Hoffnung in Anspruch nehmen. Allerdings würde die 200 000-Dollar-Gebühr für die Benutzung des Suez-Kanals eingespart (was für die Regionalmacht Ägypten freilich zu einer schweren ökonomischen Belastung werden könnte). Doch weil im Kapitalismus »Zeit Geld ist«, scheinen beide Alternativen fast chancenlos.

So beteiligen sich inzwischen vier internationale Marinegruppen mit Schiffen und Seeaufklärungsflugzeugen an der »Piratenjagd«: die von den USA geführte »Combined Task Force 150«, welche, ausgestattet mit einem UN-Mandat, die maritime Komponente der US-geführten »Operation Enduring Freedom« (OEF) darstellt und eigentlich dafür vorgesehen ist, in der »Koalition der Willigen« den »Kampf gegen den Terrorismus« zu betreiben, sowie eine Marinegruppe namens »Task Force 151«, die ebenfalls von den USA geführt wird und deren ausschließliches Ziel die Piratenbekämpfung ist. Hinzu kommen Kriegsschiffe und Flugzeuge der EU-Operation Atalanta, die seit Dezember 2008 läuft und gerade sowohl zeitlich (bis Ende 2010) als auch räumlich (bis zu den Gewässern der Seychellen) ausgedehnt wurde, sowie Schiffe unter NATO-Kommando, die bis Oktober 2008 als »Operation Allied Provider« im Einsatz waren und ab Juli 2009 im Rahmen der Antipiratenmission »Ocean Shield« operieren sollen. Im Vergleich zu OPE ist die EU-Mission mit dem »robusteren Mandat« ausgestattet, denn dieses erlaubt das Betreten verdächtiger Schiffe. Neben der Beteiligung der großen, Handel treibenden Industrieländer - darunter zuvorderst die USA, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Italien und Griechenland - an den durch die UN mandatierten Operationen sind inzwischen auch Japan, Russland, China und Indien mit Einheiten unter nationaler Führung beteiligt. Es geht darum, »Flagge zu zeigen« gegen ein paar Hundert ehemalige Fischer, Küstenschützer und Soldaten, die, scheinbar unbeeindruckt von dem internationalen Flottenverband, die Zahl ihrer Überfälle auf Schiffe in den Gewässern vor Somalia gegenüber dem Vorjahr noch gesteigert haben.


Kriegsschiffe im polizeilichen Auftrag - und in einer rechtlichen Grauzone

Leicht könnte der Eindruck entstehen, die Staatengemeinschaft führe einen Krieg gegen eine vergleichsweise kleine Gruppe von Kriminellen, die Gewaltakte, Eigentumsdelikte und Freiheitsberaubungen zu privaten Zwecken in den durch keine staatliche Gewalt (mehr) kontrollierten Gebieten des westlichen Indischen Ozeans begehen. Es handelt sich bei der Piraterie um ein »criminal law issue« und nicht um ein völkerrechtsrelevantes Vergehen, gegen das nach UN-Recht ein Krieg geführt werden könnte (Middleton 2009). Das Seerechtsübereinkommen der UN (Artikel 111 SRÜ) berechtigt zwar zur Verfolgung, zu Anhalt und Durchsuchung und zum Aufbringen eines Seeräuberschiffes auf Hoher See - doch eben nur dort, nicht aber innerhalb der »Ausschließlichen Wirtschaftszone« von 200 Seemeilen ab der Küste und sicherlich nicht zur »Nacheile« an Land. Gleichwohl hat der UN-Sicherheitsrat im Frühjahr 2008 (mit seinen Resolutionen 1816, 1838, 1846) die Piraterie im Golf von Aden als eine »Bedrohung des regionalen Friedens« und damit als eine »kriegerische Handlung« definiert. Kriegsschiffe der Handel treibenden Länder wurden ermächtigt, Piraten in somalischen Gewässern zu verfolgen und gefangen zu nehmen und diese sodann ordentlichen Gerichten zu überstellen; darüber hinaus legitimiert die Resolution 1851 auch eine Verfolgung und Gefangennahme zu Lande. Die UN-Seerechtskonvention von 1982 erlaubt also eine Bekämpfung von Piraterie durch Seestreitkräfte zu Wasser und zu Lande, weist diesen aber rein polizeiliche Aufgaben zu.

Der Auftrag scheint klar formuliert: Die Marineschiffe sollen Handels- , Fischerei- und Touristenschiffe, die das Seegebiet passieren, begleiten, Kaperschiffe aufbringen und Piraten verfolgen und festnehmen. Doch ist es keineswegs einfach, zwischen Fischern und Piraten zu unterscheiden und mutmaßliche Seeräuber müssen damit rechnen, dass bereits der Versuch, sich einer Überprüfung durch die ausländischen Militärs zu entziehen, mit Waffengewalt beantwortet wird. Umstritten aber ist vor allem, ob die »robuste Antwort«, mit der EU-Marinekräfte auf Überfälle und Entführungen von Piraten »in hot persuit« reagieren dürfen, auch die Verfolgung, Verhaftung und Erschießung von Piraten zu Lande einschließt - und zwar nachdem die Geiseln befreit und die Übergabe des Lösegeldes erfolgt ist, so wie dies durch französische Soldaten geschehen ist. Umstritten ist ebenfalls, was etwa deutsche Marinekräfte nach internationalem Recht (im Rahmen des »robusten« Atalanta-Mandats) und was sie nach deutschem Recht im Anti-Piratenkampf tun dürfen. Wenn nicht im rechtlichen Sinne fragwürdig so doch zumindest im politischen Sinne bedenklich ist »Justizflucht nach Afrika«: das Überstellen von gefangen genommenen Piraten an ein Land (Kenia), in dem weder eine rechtsstaatliche Behandlung der Angeklagten noch ordentliche Verfahren garantiert sind - außer sie werden im Ausnahmefall unter internationaler Beobachtung durchgeführt. Die inzwischen von der EU, den USA und Kanada mit Kenia getroffenen Abkommen sehen eine finanzielle Unterstützung des chronisch überlasteten kenianischen Justizwesens vor.(5) Doch dürfte Geld wenig daran ändern, dass von einer unabhängigen Untersuchung der Vorwürfe gegen die inhaftierten Seeräuber allein deswegen keine Rede sein kann, weil das Beweismaterial von den Marinebesatzungen, die die Gefangenen in Kenia abliefern, gleich mitgeliefert wird. Einmal ganz abgesehen davon, dass die Behandlung der Piraten, die in Einzelhaft ohne Kontakt zu anderen Gefangenen oder der Außenwelt isoliert werden - wie sonst nur Häftlinge unter Terrorverdacht -, bei weitem nicht den Standards entspricht, unter denen die Verdächtigen in europäischen Gefängnissen leben würden.

Die mit Kenia monetär geregelte »Justizflucht« dient im Grunde vor allem dem Zweck, eine potenzielle »Menschenflucht« zu verhindern. Es soll der Möglichkeit vorgebeugt werden, dass beispielsweise in Deutschland verurteilte somalische Piraten, die aufgrund der Bürgerkriegssituation in Somalia nicht abgeschoben werden können, einen Antrag auf Asyl stellen könnten. So gesehen wird die Bekämpfung von Piraterie zu einem Element des »neuen europäischen Grenzimperialismus« (Euskirchen / Lebuhn / Ray 2009), der mit Hilfe von zwischenstaatlichen Verträgen, finanziellen Hilfen, aber auch mit Militärgerät, technischem und sicherheitsrelevantem Informationsaustausch die Grenzen der EU immer weiter nach außen verlagert - sei es nach Afrika oder in osteuropäische »Pufferstaaten« wie die Ukraine oder Moldawien.

Kurzum: Auch wenn der Kampf gegen die Piraterie nach internationalem Recht erfolgt, so findet bei der Strafverfolgung doch eine Verlagerung der Auseinandersetzungen aus der Zuständigkeit des Völkerrechts in eine Grauzone zwischen innerstaatlichem und zwischenstaatlichem Recht statt - und eine sukzessive Aufweichung der Gewaltenteilung zwischen verschiedenen Sicherheitsbehörden und Polizeiapparaten.

Obwohl alle Beteiligten sowohl um die ökonomischen und sozialen Ursachen des Phänomens wissen als auch darum, dass eine Lösung des Konflikts ökonomischer und entwicklungspolitischer Natur sein müsste, wird die argumentative Verknüpfung von Piraterie, organisierter Kriminalität und Terrorismus im Falle Somalias fortgeschrieben. Denn ohne diese Verknüpfung wäre der kostspielige Militäreinsatz schwer zu legitimieren - zumal er sich bislang als wenig erfolgreich erweist.

Wenig Aussichten auf eine baldige Umsetzung dürfte daher auch die vom Danish Institute for Military Studies vorgeschlagene »Greater Horn of Africa Sea Patrol« haben, eine strikt regionale, wenn auch rein technokratische Antwort auf das Piratenproblem, bei der eine regionale Einsatzgruppe - gebildet aus Polizeikräften und der Küstenwache aller Nachbar- und Anrainerstaaten des Golfs von Aden (von Ägypten im Norden über die Arabische Halbinsel bis nach Tansania im Süden) - durch gemeinsame Patrouillen für maritime Sicherheit sorgen sollte. Denn realisierbar wäre eine Lösung wohl nur, wenn ein neues UN-Mandat I) die Herstellung maritimer Souveränität anstreben würde, II) nicht nur auf die Bekämpfung der Seepiraterie, sondern auch auf den Schutz natürlicher Ressourcen gerichtet wäre, III) lokale Kräfte mit den dafür anfallenden Aufgaben (Fischereiinspektion, Umweltschutz, Seerettungsdienst) beauftragt würden, die für ihre Leistungen aber IV) zu großen Teilen von denen bezahlt werden müssten, die von der Sicherheit der Seewege den größten Nutzen ziehen (6), und wenn V) sowohl die NATO wie die EU sich aus der Region zurückziehen würden.

Dagegen könnte der jetzt eingeschlagene Pfad einer Militarisierung des Konflikts durch NATO und EU zu einer deutlichen Konfliktverschärfung führen. Billigend wird dabei in Kauf genommen, dass die Einbindung der Piraten in Strukturen der organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus ebenso wie eine Eskalation und Entgrenzung von Gewaltanwendung mit der Fortdauer des Militäreinsatzes zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird. Trotz des massiven Militäreinsatzes nehmen die Piratenangriffe zu; allein von Januar bis Juni 2009 sind nach Angaben des International Maritime Bureau 249 Schiffe überfallen worden, im Vorjahreszeitraum waren es 114. Die Patrouillen ausländischer Kriegsschiffe in der Region wirken also keinesfalls abschreckend, sondern sind eher Anlass dafür, dass das Operationsgebiet der Piraten nun deutlich über 500 Seemeilen hinaus ausgeweitet wird und immer mehr Männer rekrutiert werden; inzwischen beteiligen sich nicht mehr nur Küstenanwohner an den Attacken, sondern auch junge Männer aus dem Landesinneren.

Als Reaktion auf die massive ausländische Militärpräsenz am Horn von Afrika kann auch eine Annäherung zwischen den Piratengruppen, den Clans, denen diese angehören, und der islamistischen Gruppe al-Shabab nicht mehr ausgeschlossen werden. Vorstellbar ist aber mehr noch, dass die Piraten gerade durch die Einschränkung ihrer Operationsmöglichkeiten in die Arme des organisierten Verbrechens getrieben den. Anders als die Piraten im südostasiatischen Raum verfügen die somalischen bislang nicht über die Infrastruktur für den Verkauf ganzer Schiffsladungen, die Neuregistrierung der Schiffe unter anderem Namen und mit einem anderen Anstrich, also für das Betreiben so genannter »Phantomschiffe«; sie bedienen sich also nicht aller Erscheinungsformen moderner Piraterie. Das aber könnte sich unter dem Druck, dem sie nunmehr ausgesetzt sind, durchaus ändern.

Also bleibt es eine offene Frage, was mit der riesigen multinationalen Operation eigentlich bezweckt wird. Naheliegend ist die Vermutung, dass die Zunahme der Piraterie im Golf von Aden einen Anlass für die militärische Operation geliefert hat, diese Operation aber auch noch anderen als den deklarierten Zielen dienen könnte.


Der Militäreinsatz am Horn von Afrika im Kontext geopolitischer Kalküle

Vor dem Hintergrund des sich rasch verändernden Mächtegleichgewichts zwischen den »alten« (westlichen) und den »neuen«, (insbesondere) asiatischen Mächten und angesichts eines wachsenden Einflusses von China in Afrika erscheint der »Piratenkampf« im Golf von Aden weniger rätselhaft als auf den ersten Blick. Dabei geht es eben nicht nur um die ungehinderte Nutzung von Seeverbindungen durch die Handel treibenden Nationen und um die Kontrolle einer wichtigen Meerenge als Voraussetzung dafür, den eigenen Handel ausweiten und schützen zu können, sondern letztlich auch um die Frage, wer zukünftig die Region des »Greater Indian Ocean« beherrschen und daher in der Lage sein wird, Konkurrenten (und potenzielle Feinde) zu schwächen. Seemacht und Seeherrschaft waren in der Vergangenheit ein unentbehrlicher Faktor für Machterwerb, Machterhalt und Machtverlust von Staaten - und im Zeichen einer Wiederkehr von Geopolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts dürfte dies zukünftig ebenso der Fall sein (vgl. Pfeiffer 2009). Dazu passt die Leitthese einer Studie, die der noch immer einflussreiche Neokonservative Robert D. Kaplan vom Center for a New American Security kürzlich in der Zeitschrift »Foreign Affairs« zur Diskussion gestellt hat: Der Indische Ozean werde zur Hauptbühne des globalen Wettbewerbs und der globalen Konflikte im 21. Jahrhundert werden (Kaplan 2009) - oder anders formuliert: Wer den Indischen Ozean kontrolliert, der kontrolliert die Ökonomie des 21. Jahrhunderts.

In der Perspektive des neuen geopolitischen Denkens stellt sich die heutige Weltwirtschaftsordnung, deren Spielregeln - ob sie die NATO, das Völkerrecht, die WTO oder die Nichtverbreitung von Atomwaffen betreffen - allesamt »von westlichen Staatskanzleien geschrieben« wurden, als ein »Auslaufmodell« dar, ist doch zu erwarten, dass die aufstrebenden Schwellenländer nicht lange »unpolitische Produktionsorte für Halbleiter, Autos und Computer bleiben« (Busse 2009: 49f). Das hatte schon Wladimir Putin auf der Sicherheitskonferenz im Februar 2007 in München so formuliert: »Es steht außer Zweifel, das Wirtschaftspotential neuer Wachstumszentren schlägt unweigerlich in politischen Einfluss um und stärkt die Multipolarität.« Folglich rechnet auch der National Intelligence Council (NIC 2008), die Dachorganisation der US-amerikanischen Geheimdienste, schon für die nächsten zwei Jahrzehnte mit einer »transformed world«. In dieser resultieren Gefahren für die globale Sicherheit aus dem Aufstieg neuer Mächte, weil diese eigene wirtschaftliche und politische Ziele verfolgen und dem westlich-liberalen Modell »freier Märkte« ein »staatskapitalistisches« Entwicklungsmodell entgegensetzen, welches für viele Entwicklungs- und Schwellenländer attraktiv werden könnte. Bedrohlich für die westliche Staatengemeinschaft erscheint dabei nicht allein, dass wichtige Abkommen und Bündnisse, die sich um Handel und Investitionen drehen, oder Innovationen, die den Zugang und die Beschaffung auf technologischem Gebiet betreffen, in Zukunft möglicherweise von wichtigen BRIC-Staaten »gemacht« werden. Auch die massiven Aufrüstungsaktivitäten, die asiatische Staaten rund um den Indischen Ozean derzeit unternehmen, gehören zu den neuen Bedrohungen der etablierten Weltordnung, ebenso wie der »Hunger« vieler Schwellenländer nach natürlichen Ressourcen, die im Jargon der Sicherheitspolitiker stets als »strategische« bezeichnet werden: Energie, Wasser und Nahrungsmittel.

Im Lichte dieser Entwicklungen muss auch das »new scramble on Africa« (Adolf / Köstner 2007) gesehen werden. Der Kontinent mag für die USA und die EU zwar nicht dieselbe große geostrategische Bedeutung haben wie die Arabische Halbinsel, Iran, Russland, Lateinamerika und Zentralasien. Doch geht es neben banalen wirtschaftlichen Interessen - am Öl des Sudan, im Tschad oder im Golf von Guinea, an den Erzen und dem fruchtbaren Land des Kongo, an den Weiten der Sahara für solarthermische Kraftwerke im Rahmen des europäischen, vor allem aber deutschen »Desertech-Projektes«, den Fischgründen im Indischen Ozean sowie den Pipelines, Leitungen und Häfen zum Abtransport der Ressourcen - immer auch darum, den Einfluss Chinas in Afrika einzudämmen. Denn faktisch ist längst ein kleiner »kalter Krieg« zwischen China und den westlichen Staaten im Entstehen, ausgelöst durch eine unkonditionierte Form der chinesischen Entwicklungshilfe und deren (sogar vergleichsweise wenig korruptionsanfälligen) Technologie- und Infrastrukturprojekte im subsaharischen Afrika, durch eine massive Ausweitung der chinesisch-afrikanischen Handelsbeziehungen und vor allem durch chinesische Großinvestitionen im Bereich mineralischer und landwirtschaftlicher Rohstoffe in Ländern, die westlichen Firmen bislang zu risikoreich erschienen. Vor diesem Hintergrund sind die chinesischen und indischen Zerstörer, die derzeit gemeinsam mit Fregatten aus NATO und EU am Horn von Afrika gegen Piraten eingesetzt sind, mehr als nur eine symbolische Geste, welche die Hochseefähigkeit der »blue water power« zweier aufstrebender Mächte demonstrieren sollen: Es passt in das strategische Kalkül US-amerikanischer Sicherheitspolitik ebenso wie in das Konzept der »erweiterten Sicherheit« von NATO und EU, potenziell rivalisierende Staaten wie Indien und China in gemeinsame Operationen einzubinden: »with the U.S. Navy functionig as both a mediator and an enforcer of standards procedures. (...) Piracy has the potential to unite rival states along the Indian Ocean coastline.« (Kaplan 2009)

Nicht zuletzt geht es bei dem Einsatz der größten Anti-Piraten-Armada der Neuzeit am Horn von Afrika aber sicherlich auch um einen Praxistest der neuen NATO-Strategie und für die EU darum, sich als eine eigenständige militärische Kraft zu etablieren, um weltpolitische Handlungsfähigkeit so zu demonstrieren, wie es der - noch nicht ratifizierte - Lissabon-Vertrag vorsieht. Für Zwecke wie den Einsatz am Horn von Afrika wurden das Konzept der »vernetzten Sicherheit« der NATO und die neue Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 entwickelt. Um zukünftig als globale Ordnungsmacht operieren und die ökonomischen Interessen westlicher Industriestaaten bis an die Grenzen Chinas verteidigen zu können sowie den chinesischen Einfluss in »privilegierten Einflusszonen« - dazu gehört die gesamte arabische und islamische Welt einschließlich des subsaharischen Afrikas - zurückzudrängen, wurde das Einsatzgebiet der NATO schier grenzenlos ausgedehnt und das der EU sukzessive erweitert. Um die Kontrolle über See- und Luftwege, Kommunikationsnetze und Knotenpunkte zu behalten, den freien Zugang zu Rohstoffen zu (wie es stets heißt) »fairen Bedingungen« zu sichern und »spontane Migrationsbewegungen« möglichst zu verhindern, sollen »neuartige Gefahrenpotenziale« präventiv (und nicht etwa reaktiv) »an geografischen und funktionalen Interdiktionslinien möglichst frühzeitig an ihren Entstehungszentren zurück [ge]drängt [werden]« (Adam 2007). Dazu aber bedarf es einer »unkonventionellen«, »gemeinsamen Sicherheitsstrategie von Wirtschaft und Staat«, die sich fortbewegt vom Schutz staatlicher Grenzen »hin zum Schutz von Räumen und Strukturen«, so der Präsident der Deutschen Sicherheitsakademie Rudolf Adam auf einer 2007 von der Alfred Herrhausen Gesellschaft organisierten Tagung zum Thema »Öffentliche Sicherheit: Staatsmonopol oder marktfähiges Gut?«. Unverblümt offen stellt Adam fest, dass sich auf diese Weise die »Unterschiede zwischen Krieg und Frieden« wie »zwischen Politik und Wirtschaft« verwischen würden. Diesem Zweck dient letztlich auch die Verknüpfung von (geo-)politischen, diplomatischen, kulturellen, finanziellen, polizeilichen und militärischen Instrumenten, welche das Konzept der vernetzten Sicherheit auszeichnet.

Da die EU nach größerem Einfluss in der NATO strebt, muss sie ihre militärischen Kapazitäten - und in Zeiten der Wiederkehr von Geopolitik sind dies vor allem die Fähigkeiten ihrer Seestreitkräfte - auch unter Beweis stellen. Denn nur wer mitkämpft darf darauf hoffen, dass seine Interessen über ein substanzielles Mitspracherecht berücksichtigt werden. Im Golf von Aden, im Kampf gegen die vergleichsweise harmlosen Seepiraten, haben die europäischen Mächte eine relativ »schmerzlose« Möglichkeit dazu gefunden. Partnerschaft mit den USA ist in diesem Fall relativ leicht zu realisieren, ohne dass große Legitimationsprobleme in den Herkunftsstaaten der Streitkräfte zu befürchten sind. Ein willkommener Nebeneffekt mag darin bestehen, dass sich mit der Operation Atalanta auch eine neue deutsch-französische Achse imperialer Herrschaftssicherung austesten lässt.


Anmerkungen:

1. Die Haifischfänge gingen sogar von mehr als 600 kg auf etwa 200 kg zurück und die Hummererträge von 450 kg auf ca. 80 kg (vgl. FAO 2005). Erst seit die Angriffe auf Fischerei- und Handelsschiffe im Golf von Aden zugenommen haben, scheint der Fischbestand langsam wieder zu wachsen (Eveleens 2009).

2. »Why Not I« war der Name eines Piratenschiffes im Mittelmeer der frühen Neuzeit; die Namen anderer Schiffe signalisierten ein ähnliches Selbstverständnis, sie lauteten: Hazard, Poor Man's Hope, Wheel of Fortune (Kaiser 2006).

3.Demnach können die Entführer ca. 30 Prozent der Lösegelder für sich behalten; das dürften im Einzelfall zwischen 5 000 und 20 000 US-Dollar sein. Es wird geschätzt, dass die Piraten im Jahr 2007 ca. 30 Millionen Dollar und 2008 zwischen 100-150 Millionen Dollar erpresst haben. Lokale Milizen, die das Territorium kontrollieren, von dem aus die Piraten operieren, erhalten nach der in der BBC erwähnten UN-Studie lediglich zehn Prozent der Einnahmen; ebenso viel geht an die lokalen Gemeinschaften resp. an Dorfälteste und lokale Würdenträger. 20 Prozent der Lösegeldzahlungen erhalten die oft im Ausland lebenden Finanziers der Operationen; zumeist handelt es sich dabei wohl um Angehörige der somalischen Diaspora in Nordamerika, der EU und den Golfstaaten; 30 Prozent der Einnahmen gehen an die so genannten »Sponsoren«, an Jeminiten, die die Schiffe ausrüsten, auftanken und bewaffnen und möglicherweise auch Informanten in London, die die wichtigen Daten für die Kaperoperationen liefern (Harper 2009).

4. Unter dem Begriff »hawala banking« wird eine Dienstleistung von wirtschaftlichen Akteuren verstanden, die die Weiterleitung von Geldern an einen vom Auftraggeber bestimmten Empfänger gegen Provision anbietet, wobei die Transfers so durchgeführt werden, dass keine Papiere geschaffen werden, die auf den Auftraggeber hindeuten. Zu der besonderen Bedeutung von »hawala baking« in Somalia vgl. Aden 2002.

5. Nach Auskunft eines der Anwälte, der 34 mutmaßliche Piraten verteidigt, sind in Kenia mehr als 860 000 Gerichtsverfahren anhängig (Eveleens 2009).

6. Nicht aber, wie dies Roger Middleton (2008) in neokolonialer Manier vorschlägt, durch den Transfer von Mitteln, die dem (nicht existierenden) Staat Somalia aus Fischereikonzessionen und Importzöllen zustehen, auf ein Treuhandkonto, um daraus den Aufbau einer somalischen Küstenwache zu finanzieren, die international sanktioniert und verwaltet würde, entweder von der UNO oder von der Afrikanischen Union.


Birgit Mahnkopf, *1950; Professorin für Europäische Gesellschaftspolitik, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin;
mahnkopf@hwr-berlin.de



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Quelle:
Zeitschrift "Internationale Politik und Gesellschaft" /
journal "International Politics and Society", Ausgabe 1/2010, S. 58-81
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2010