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MILITÄR/935: Der Hauptsponsor des Jihadismus (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 23. Oktober 2015
(german-foreign-policy.com)

Der Hauptsponsor des Jihadismus 23.10.2015


BERLIN/RIAD - Inmitten der internationalen Bemühungen um einen neuen Machtabgleich im Mittleren Osten intensiviert die Bundesregierung die Aufrüstung der arabischen Golfdiktaturen. Dies belegt der Rüstungsexportbericht für das erste Halbjahr 2015, der in dieser Woche vorgelegt worden ist. Demnach ist Saudi-Arabien zum drittgrößten Käufer deutschen Kriegsgeräts aufgestiegen. Von den sechs Staaten des Golf-Kooperationsrats, in dem sich die Länder der Arabischen Halbinsel organisiert haben, gehören vier zu den Top 20-Empfängern deutscher Rüstungslieferungen. Dadurch wird nicht nur eine Konfliktpartei im mittelöstlichen Machtkampf gegen Iran mit Waffen ausgestattet. Die Ausfuhren beinhalten auch Mordwerkzeuge, wie sie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate in ihrem Krieg im Jemen einsetzen oder zumindest einsetzen können: von Ersatzteilen für Kampfflugzeuge bis zu Maschinenpistolen. Mit Saudi-Arabien wird zudem ein Staat aufgerüstet, der, wie der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Navid Kermani bekräftigt, "Hauptsponsor des Dschihadismus" ist und religiös eine große Nähe zum "Islamischen Staat" (IS) aufweist. Sollte die Bundeswehr, wie Militärs es jetzt erneut in Aussicht stellen, im Anschluss an einen Machtabgleich in Mittelost in Syrien zum Einsatz kommen, dann stünden deutsche Soldaten wohl auch von Saudi-Arabien aufgerüsteten Milizen gegenüber.


Rege Diplomatie

Parallel zu den russischen Luftschlägen gegen Rebellenmilizen in Syrien halten die internationalen Bemühungen um einen neuen Machtabgleich im Mittleren Osten an. Russland kann spätestens seit dem Beginn seiner Militärintervention bei einer Lösung der Konflikte in Nah- und Mittelost nicht mehr übergangen werden. Am heutigen Freitag treffen sich die Außenminister Russlands, der Vereinigten Staaten, Saudi-Arabiens und der Türkei in Wien, um über die Entwicklung in Syrien zu diskutieren. In den vergangenen Tagen waren eine ganze Reihe hochrangiger Zusammenkünfte zu verzeichnen, die sich ebenfalls um den Syrien-Krieg drehten. So hat der russische Präsident Wladimir Putin am Mittwoch seinen syrischen Amtskollegen Bashar al Assad empfangen und mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan telefoniert. US-Außenminister John Kerry hat am Donnerstag in Berlin mit Außenamtschef Frank-Walter Steinmeier gesprochen. Steinmeier wiederum hatte sich am Wochenende in Teheran und Riad zu Verhandlungen mit den dortigen Staatsspitzen aufgehalten. Aus Riad hat er nicht zuletzt die Nachricht mitgebracht, Saudi-Arabien habe keine Einwände mehr gegen Assads Beteiligung an einer syrischen Übergangsregierung.[1] Iran und Russland hatten schon zuvor durchblicken lassen, nicht auf Assads Verbleib im Amt zu beharren, sollte er an einer Übergangsregierung beteiligt werden, um eine neue Machtteilung in Syrien zu erreichen. Ob die partiellen Annäherungen allerdings ausreichen, um in absehbarer Zeit eine umfassende Einigung über Syrien zu erzielen, steht in den Sternen.


Top-Waffenkunden

Während die Bemühungen um einen internationalen Machtabgleich fortdauern, intensiviert die Bundesregierung die Hochrüstung einer Konflikt- und Kriegspartei in Mittelost - Saudi-Arabiens mit seinen engsten Verbündeten. Dies geht aus dem Rüstungsexportbericht für das erste Halbjahr 2015 hervor, der Mitte dieser Woche in Berlin vorgelegt worden ist. Demnach ist Riad wieder zum drittgrößten Käufer deutscher Rüstungsgüter aufgestiegen und hat sich Importe im Wert von fast 180 Millionen Euro genehmigen lassen. Kuwait ist mit Einfuhrgenehmigungen im Wert von über 120 Millionen Euro auf Platz sieben auf der Rangliste deutscher Rüstungskunden aufgestiegen; die Vereinigten Arabischen Emirate rangieren mit Lieferungen im Wert von mehr als 46 Millionen Euro auf Platz 13, Oman mit Importen im Wert von über 35 Millionen Euro auf Platz 16. Damit befinden sich vier der sechs Staaten des Golf-Kooperationsrats (Gulf Cooperation Council, GCC), in dem die Golfdiktaturen um Saudi-Arabien zusammengeschlossen sind, unter den Top 20 der Käufer deutschen Kriegsgeräts - zwischen den engsten Verbündeten der Bundesrepublik wie Großbritannien, Frankreich und Italien. SaudiArabien, die stärkste Kraft im GCC, gilt als schärfster Gegner Irans; der saudisch-iranische Konflikt zählt zum Kernproblem der aktuellen Verhandlungen um einen mittelöstlichen Machtabgleich.


Kriegsbeihilfe

Die Aufrüstung Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate wiegt umso schwerer, als beide Staaten ihren Krieg im Jemen mittlerweile auch mit Bodentruppen führen - und Berlin die Lieferung von Waffen genehmigt hat, die dafür genutzt werden können. So hat Saudi-Arabien neben Ersatzteilen für Kampfflugzeuge und neben Luftbetankungsausrüstung auch etwa Teile für gepanzerte Fahrzeuge, Fahrgestelle für Transporter und Zieldarstellungsdrohnen in Deutschland bestellt. Die Vereinigten Arabischen Emirate erhalten unter anderem Nachtsicht- und Wärmebildgeräte, Panzertransporter, Teile für Kampfpanzer und Panzerhaubitzen, amphibische Fahrzeuge sowie vor allem Schusswaffen. So erlaubt die Bundesregierung die Lieferung von 3.000 Maschinenpistolen und von großen Mengen an Munition an die Emirate. Sie werdein wie Saudi-Arabien bereits seit langer Zeit von deutschen Unternehmen mit Kriegsgerät aller Art ausgestattet; die Bundeswehr hat gemeinsam mit der saudischen und der emiratischen Luftwaffe Kriegsübungen für koordinierte Angriffe durchgeführt, an die diese nun beim Bombardement des Jemen anknüpfen können (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International werfen der saudischen Kriegskoalition, die sich auch weiterhin zuverlässig auf Waffennachschub aus Deutschland stützen kann, schwere Kriegsverbrechen vor.


Zu 95 Prozent identisch

Saudi-Arabien, das die Bundesregierung mit der Genehmigung umfangreicher Waffenlieferungen seit Jahren systematisch stärkt [3], ist darüber hinaus nicht nur einer der repressivsten Staaten weltweit, sondern bis heute der zuverlässigste Förderer jihadistischer Organisationen aller Art - bis hin zum "Islamischen Staat" (IS). Am vergangenen Sonntag hat der Schriftsteller Navid Kermani in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels öffentlichkeitswirksam darauf hingewiesen. "Wir fragen nicht, warum unser engster Partner im Nahen Osten ausgerechnet Saudi-Arabien ist", der "Hauptsponsor des Dschihadismus", klagte Kermani - und erinnerte daran, "dass die Schulbücher und Lehrpläne im 'Islamischen Staat' zu 95 Prozent identisch mit den Schulbüchern und Lehrplänen Saudi-Arabiens sind".[4] "Gesponsert mit Milliardenbeträgen aus dem Öl, hat sich über Jahrzehnte in Moscheen, in Büchern, im Fernsehen ein Denken ausgebreitet, das ausnahmslos alle Andersgläubigen zu Ketzern erklärt, beschimpft, terrorisiert, verächtlich macht und beleidigt", fuhr Kermani im Hinblick auf die saudischen Missionsbestrebungen in aller Welt fort, die selbst in entfernten Ländern wie Indonesien den Jihadismus fördern, Berlin allerdings nicht davon abhalten, eng mit Riad zu kooperieren (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Die Nähe des saudisch-wahhabitischen Islam zu demjenigen des IS hat kürzlich auch der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, beschrieben. "Die religiös-politische Sprache des selbsternannten Kalifen Baghdadi sowie die dahinterliegende totalitäre Islamauslegung unterscheiden sich an vielen Stellen nur wenig von dem, was man auch von saudischen Religionsgelehrten hören kann", heißt es in Perthes' jüngster Publikation. Zudem seien "bestimmte Institutionen des saudischen Staates wie die Religionspolizei" vom "Islamischen Staat" nur "kopiert worden".[6]


Bundeswehr gegen Jihadisten

Sollte die Bundeswehr tatsächlich in Syrien eingesetzt werden, sobald ein internationaler Machtabgleich hergestellt ist, stünden deutsche Soldaten wohl auch jihadistischen Milizionären gegenüber, die von Saudi-Arabien aufgerüstet worden sind. Tatsächlich ist Saudi-Arabien einer der führenden Förderer salafistisch-jihadistischer Milizen in Syrien, darunter der Al Qaida-Ableger Al Nusra-Front.[7] Dass die Bundeswehr in Syrien eingesetzt werden könnte, hat unlängst der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, geäußert.[8] Jetzt hat der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbands, André Wüstner, eine deutsche Militärintervention in dem Land ebenfalls für durchaus möglich erklärt. Sollte es etwa unter dem Vorwand, "Schutzzonen" errichten wollen, zur Besetzung von Teilen Nordsyriens kommen, "dann wird Deutschland seiner Verantwortung als Mittelmacht gerecht werden müssen", lässt Wüstner sich zitieren.[9] In den Gebieten, die für die Errichtung einer sogenannten Schutzzone in Frage kommen, operieren verschiedene jihadistische Milizen, unter ihnen die Al Nusra-Front - der Ableger von Al Qaida.


Anmerkungen:

[1] Majid Sattar: Keine Brücke von Teheran nach Riad. Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.10.2015.

[2] S. dazu Deutsch-arabische Manöver
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57513
Mit Diktatoren in den Krieg
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58506
und In Flammen (III)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59202

[3] S. dazu Militärpartner am Golf (II)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57807
Ein Stabilitätsfaktor
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58483
und Mit dem G36 gegen das G3
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58609

[4] Navid Kermani: Jacques Mourad und die Liebe in Syrien. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.10.2015.

[5] S. dazu Feind und Partner
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59043

[6] Volker Perthes: Das Ende des Nahen Ostens, wie wir ihn kennen. Ein Essay. Frankfurt am Main 2015.

[7] S. dazu Das Spiel mit dem Terror
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59147

[8] S. dazu Spitzendiplomat fordert Bundeswehr-Einsatz in Syrien
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59200

[9] Daniel Kirch: Bundeswehr-Verband: Einsatz in Syrien möglich.
www.saarbruecker-zeitung.de 21.10.2015.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2015

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