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MILITÄR/952: NATO-Manöver 2018 - Normales Üben oder Kriegsplanung gegen Russland? (Stefan Kühner)


NATO-Manöver 2018: Normales Üben oder Kriegsplanung gegen Russland?

von Stefan Kühner, 18. Oktober 2018


Das NATO-Manöver "Trident Juncture 2018", das vom 25.10. bis 07.11.2018 an der nordöstlichen NATO-Flanke in Norwegen, Schweden und Finnland stattfindet, ist das größte Manöver des Nordatlantikpakts seit Ende des 'kalten Krieges'. Simuliert wird der Angriff auf einen der 29 Verbündeten und die Ausrufung der Beistandsklausel nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags. Die Manöver soll die Fähigkeit der NATO testen, schnell Truppen aus anderen Teilen Europas und aus Nordamerika zusammenzuziehen. Statt wie bislang geplant 45.000 Soldaten wurde am 09.10.2018 die Truppenstärke nochmals um 5.000 Mann und den US-Flugzeugträger Harry Truman aufgestockt, melden zahlreiche Medien am 09.10.2018. Das Schiff kann bis zu 85 Kampfjets aufnehmen.

"Das Szenario richte sich nicht gegen Russland" sagt NATO-General Rune Jakobsen. "Die Einsätze der Luftwaffe fänden in 500 Kilometer Abstand statt." Klingt viel, ist aber lächerlich. Für einen modernen NATO-Jet sind es gerade mal 15 Minuten Flugzeit. Und man stelle sich mal vor, was für ein Theater das wäre, wenn russische Truppen auf Cuba üben würden. Von Cuba bis Miami sind es nämlich ebenfalls ca. 500 km.

Das Manöver "Trident Juncture" ist aber beileibe nicht das einzige Manöver unmittelbar an der Grenze zu Russland. Es ist 'nur' das größte in diesem Jahr. Vier weitere NATO-Manöver gab es zwischen Juni und August 2018. BALTOPS in der Ostsee, auch hier größer als zuvor: erstmals nahm ein US-Flugzeugträger, die Harry Truman, teil. "Namejs" mit 10.000 Soldaten in Lettland, Manöver "Noble Partner 2018" mit 'Defensiv- und Offensivübungen' mit 3.000 Soldaten Anfang in Georgien und das See-Manöver "Dynamic Mongoose 2018" in der Barentssee unmittelbar vor den Küsten Russlands. Dort wurde "... in einer realistische Liveübung die Kriegsführung gegen Unterseeboote" geprobt. Das 'Bundeswehrjournal' berichtete darüber unter der Überschrift "Ein starkes Signal an Russland".

Eine neue Qualität beinhalten diese Manöver auch dadurch, dass sie immer häufiger in Nicht-NATO-Ländern durchgeführt werden. Schweden, Finnland und Georgien gehören nicht zur NATO.

Die Beteuerungen, dass sich die Manöver nicht gegen Russland richten, sind Schönfärbereien, die durch andere Aussagen der NATO und ihrer Mitglieder offensichtlich widerlegt werden:

Curtis Scaparrotti, Oberster NATO-General in Europa und Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, sagte im März 2018, dass er mehr Truppen, Spionageflugzeuge und andere Ressourcen brauche, um die militärische Überlegenheit der USA zu erhalten und Russland abzuschrecken. Die Abschreckung Russlands sei seine wichtigste Aufgabe. [1]

"Wir bekräftigen unsere auf den Gipfeltreffen in Wales und Warschau zu Russland getroffenen Beschlüsse. Wir reagieren weiter auf das verschlechterte Sicherheitsumfeld, indem wir unser Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv unter anderem durch eine Vornepräsenz im östlichen Teil des Bündnisses verbessern. Außerdem haben wir jegliche praktische Zusammenarbeit im zivilen und militärischen Bereich zwischen der NATO und Russland ausgesetzt." Und weiter: "Wir haben beschlossen, das Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv des Bündnisses in allen Bereichen zu stärken. Wir verstärken das maritime Dispositiv und haben konkrete Schritte ergriffen, um unser gesamtes maritimes Lagebild zu verbessern. Wir haben militärisch-strategische Bewertungen der Ostsee, des Nordatlantiks, des Schwarzen Meeres und des Mittelmeers vorbereitet." So steht es in der Abschlusserklärung des letzten NATO-Gipfels vom 11. und 12. Juli 2018. [2] Ein kurzer Blick auf den Globus zeigt, dass dies nicht anderes ist als ein weiterer Schritt in der Einkreisung Russlands und zusätzlich eine klare Kriegsdrohung.

Unbestritten, auch Russland übt, allerdings stets auf seinem Territorium und in seinen Gewässern. [3]


Eine neue NATO Kommandozentrale in Ulm

Im Sommer 2018 hat die Bundeswehr die Aufgabe übernommen, eine neue Kommandozentrale zur Kriegsvorbereitung aufzubauen. "Mit großer Geschlossenheit der NATO-Partner wurden weitreichende Entscheidungen, sowohl was die Vorwärtsverteidigung an der Ostflanke als auch die Aufrüstung der Streitkräfte angeht, getroffen", schreibt das Verteidigungsministerium der Bundesregierung [4] in entlarvender Offenheit am 15. Februar 2018 auf seiner Homepage. Mit dem Begriff Vorwärtsverteidigung greift die Bundeswehr sprachlich auf die Strategie der NATO in den 50er Jahren gegen Russland zurück. Am 7. und 8. Juni 2018 trafen sich die NATO-Verteidigungsminister und beschlossen auf Wunsch der Bundesregierung, dass die Kommandozentrale für die Kriegsvorbereitung, JSEC (Joint Support and Enabling Command) genannt, im baden-württembergischen Ulm aufgebaut werden soll. Das Verteidigungsministerium bebilderte die dazugehörige Meldung mit einer glücklich lächelnden Ministerin von der Leyen im Kreis hochrangiger Offiziere. [5] Das Ziel der Planungen des JSEC sei es, die Verlegbarkeit und Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte und ihrer Ausrüstung im gesamten Bündnis und darüber hinaus zu stärken. Die militärische Mobilität auf dem Land, in der Luft und zur See solle so schnell wie möglich verbessert werden. Das heißt, dass die neue Kommandozentrale die Bewegung von Truppen und Kriegsgerät an die NATO-Ostflanke besser und schneller machen soll. Bis Ende 2018 "sind die Haupt- und alternativen Versorgungsrouten zu identifizieren, auf denen militärische Transporte durchgeführt werden können." Dafür hat die EU eingeplant, in den nächsten sieben Jahren 6,5 Milliarden Euro auszugeben. "Damit sollen Schienennetze, Straßen und Brücken panzertauglich ausgebaut werden", schreibt "Die Welt" am 8. Juni.

Bis Ende 2019 "soll ein Netzwerk zwischen der NATO und den zivilen und militärischen nationalen Stellen einschließlich der zentralen nationalen Anlaufstellen eingerichtet werden, um die Kommunikation und die Koordinierung am Grenzübergang zu erleichtern und zu beschleunigen" und bis Ende 2020 "soll eine NATO-Initiative für den schnellen Einsatz mit Namen 4x30 umgesetzt sein". Dabei gehe es um eine neue "Einsatzbereitschaftskultur", die Truppenteile in hoher Einsatzbereitschaft halten soll, erklärte von der Leyen in einem Interview am 8. Juni. Hinter dem Kürzel "4x30" verbirgt sich der Plan, 30 schwere und mittlere Infanteriebataillone, 30 Kampfflugzeugstaffeln und 30 Schiffe innerhalb von 30 Tagen kampfbereit zu haben.


Anmerkungen:

[1] zitiert nach Reuters, 25.05.2018
https://www.reuters.com/article/us-europe-security/u-s-top-commander-in-europe-wants-more-resources-forces-to-deter-russia-idUSKCN1IP3IG

[2] Gipfelerklärung des Treffen des Nordatlantikrats vom 11.-12. Juli 2018 in Brüssel
https://nato.diplo.de/blob/2117930/013c5039a92ee43bd31dd9002d792b3f/erklaerung-gipfeltreffen-bruessel-data.pdf
Charta von Paris für ein neues Europa; 1990
https://www.bundestag.de/blob/189558/21543d1184c1f627412a3426e86a97cd/charta-data.pdf

[3] Jörg Kronauer: Meinst Du die Russen wollen Krieg, PapaRossa Verlag, Köln, 2017

[4] Glaubwürdige Abschreckung - gestern und heute. Homepage des Bundesministeriums für Verteidigung, vom 15.02.2018
https://www.bmvg.de/de/themen/dossiers/die-nato-staerke-und-dialog

[5] Neues Unterstützungskommando der NATO (JSEC) in Ulm: Homepage des Bundesministeriums für Verteidigung; vom 08.06.2018
https://www.bmvg.de/de/aktuelles/neues-unterstuetzungskommando-der-nato--jsec--in-ulm-25332

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Quelle:
© 2018 by Stefan Kühner
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2018

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