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MILITÄR/977: Italiens Militär an 40 Kriegseinsätzen im Ausland beteiligt (Gerhard Feldbauer)


Italiens Militär derzeit an 40 Kriegseinsätzen im Ausland beteiligt,
obwohl Artikel 11 der Verfassung den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten ablehnt

von Gerhard Feldbauer, 13. August 2021


Italien ist gegenwärtig auf drei Kontinenten an rund 40 Kriegseinsätzen beteiligt. Abzüglich der letzten aus Afghanistan heimkehrenden 800 (von zeitweise bis zu 5.000) Soldaten nehmen 9.449 Angehörige der Forze Armate außerhalb Italiens an Kriegsmissionen teil. Ihre Zahl ist seit 2020 unter der Mitte-Links-Regierung (sozialdemokratischer Partito Democratico und Fünf-Sterne-Bewegung) von Premier Giuseppe Conte um 26 Prozent gestiegen, berichtete das kommunistische Online-Portal Contropiano am Mittwoch. Der Umfang dieser Kriegseinätze, die gegen Artikel 11 der Verfassung, der den Krieg als "Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten" ablehnt, verstoßen, ist in der Öffentlichkeit des Mittelmeerlandes bisher kaum bekannt.

Italien beteiligte sich seit Beginn an den nach dem Ende der UdSSR und der sozialistischen Staaten 1989/90 massiv angewachsenen militärischen Interventionen der NATO-Staaten, auch der unter UN-Flagge geführten. Die 1992 begonnenen Einsätze schlossen alle früheren Kolonien (Libyen, Äthiopien, Eritrea, Somalia und Albanien) ein. Unter anderem beteiligte sich Italien an der Zerschlagung Jugoslawiens in Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, im Kosovo und in Albanien sowie an den NATO-Luftüberfällen auf Jugoslawien 1999. Seine Militärs intervenierten im Sudan, in Ruanda, Äthiopien, Eritrea, Marokko, im Libanon und in Kuwait; seine Kriegsmarine war bei Einsätzen im Roten Meer, im Persischen Golf und im Indischen Ozean dabei.

Im von Serbien abgespaltenen Kosovo hat Italien derzeit das Kommando über die zur NATO-Mission Joint Enterprise gehörende KFOR-Truppe inne. In der Straße von Hormus, die den Golf von Oman mit dem Persischen Golf verbindet und Schauplatz der Eskalation zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ist, leistet Italiens Luftwaffe Unterstützung für die von Frankreich befehligte politisch-militärische EMASOH-Operation von Militärs aus acht europäischen Ländern.

Starke Präsenz zeigt Italien weiter in Somalia, das am Horn von Afrika an den Indischen Ozean angrenzend von besonderer strategischer Bedeutung ist. Hier ist es seit über einem Jahrzehnt an der Mission "EUCAP Somalia" beteiligt, befehligt die europäischen Einsätze "EU NAVFOR Atalanta" und "EUTM Somalia" und stellt Truppen für die UN-Mission "UNSOM". Laut einem kürzlich erschienenen Newsletter der International Affairs vertrete Italien die Auffassung, seine militärische und politische Präsenz in Somalia und im Nahen Osten sei "von größter strategischer Bedeutung für das Land". Dies gelte auch für Gebiete, die in der italienischen Vision jetzt als die Region des "erweiterten Mittelmeers" definiert werden. Rom gehe davon aus, dass die USA wegen ihrer strategischen Verlagerung in den Indopazifik-Raum weniger Interesse an dieser Region zeigen.

Im Irak, wo Italien bis 2006 an der Seite der USA 1.900 Soldaten stationiert hatte, wird Rom ab Mai 2022 die Führung der NATO-Mission "Irak" übernehmen, vorgeblich, um lokale Kräfte im Kampf gegen ISIS auszubilden und zu unterstützen, die Kontrolle der Landesgrenzen zu stärken und die Souveränität des Irak wiederherzustellen.

Ein Großteil der Kriegseinsätze findet in Afrika statt. Dazu zählen Einheiten für die Task Force Takuba zur "Abwehr terroristischer Bedrohungen" in Niger und Mali sowie Luftunterstützung zur Überwachung des Golfs von Guinea. In Libyen nahm Italiens Luftwaffe 2011 am Sturz Gaddafis teil, lieferte in den letzten Jahren der libyschen Küstenwache mehrere Kriegsschiffe und bildet ihr Personal zur "Flüchtlingsabwehr" aus.

Wie ein Bericht des Istituto Affari Internazionali vom März 2020 offen betonte, geht es in den zumeist rohstoffreichen oder strategisch bedeutsamen Einsatzländern darum, Italiens "fundamentale ökonomische Interessen zu sichern". Davon ging auch ein Verteidigungsweißbuch von 2015 aus, das den Artikel 11 der Verfassung zu umgehen versuchte, indem es in den Verfassungsauftrag, "die territoriale Integrität der Italienischen Republik zu verteidigen", einschloss, "lebenswichtige Interessen und Verbindungswege Italiens zu sichern".

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 24. August 2021

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