Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

PARTEIEN/088: Gleichheit - und wie die Parteien dazu stehen (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 9/2009

Gleichheit - und wie die Parteien dazu stehen

Von Christian Krell


Gleichheit? Eine unerhörte Forderung! Provozierend und mutig war die Vorstellung von Gleichheit allemal, als sie mit den Vertragstheorien des 17. und 18. Jahrhunderts und der Französischen Revolution die hergebrachte Ordnung radikal in Frage stellte - sowohl ideengeschichtlich wie praktisch-politisch.


Zumindest Gleichheit vor dem Gesetz ist heute im deutschen politischen Diskurs wenig umstritten. Gleichheit in rechtlicher und politischer Hinsicht ist eine zentrale Bedingung für Demokratien. Jede Stimme zählt gleich viel. Gleichheit als Wesensprinzip der Demokratie wird von ernstzunehmenden Kräften nicht in Frage gestellt.

Sobald sich die Forderung nach Gleichheit jedoch auf sozio-ökonomische Dimensionen ausdehnt, beginnt die Auseinandersetzung. Mehr Gleichheit in der Verteilung von Einkommen oder Gütern ist hoch umstritten. Konservative werden nicht müde, vor den Gefahren der "Gleichmacherei" zu warnen, die sie progressiven Kräften unterstellen. "Gleichmacherei", egal ob im Klassenzimmer oder im Wartezimmer, werde dem Menschen nicht gerecht.

Liberale verweisen darauf, dass man zwischen einem Gleichheitsanspruch in politischer und rechtlicher Hinsicht und in sozialer und ökonomischer Hinsicht strikt unterscheiden müsse. Denn wenn sich die Forderung nach Gleichheit auch auf materielle Dimensionen bezieht, dann seien politische und bürgerliche Freiheitsrechte bedroht. Das Anstreben von sozialer und ökonomischer Gleichheit gefährde die bürgerliche und politische Gleichheit, so die liberale Argumentation.

Damit sind Gegenpositionen zur Forderung nach mehr Gleichheit beschrieben. Aber was spricht für mehr Gleichheit bei der Verteilung von Gütern? Wer die Ergebnisse der Meinungsforschung hierzu befragt, findet zwei bemerkenswerte Zusammenhänge.


Gleichheit und Demokratie

Eine Vielzahl von Untersuchungen beschreibt einen engen Zusammenhang zwischen dem Anspruch von Demokratie - also Gleichheit in bürgerlicher und politischer Hinsicht - und materiellen sowie sozialen Fragen. In der FES-Studie zu Demokratie und Demokratievertrauen (Embacher, 2009) wird dies deutlich. Nach den wichtigsten Elementen von Demokratie befragt, wird die "Gleichheit vor dem Gesetz" von 74% der Befragten als "sehr wichtig" beschrieben. Als zweitwichtigstes Element von Demokratie wird genannt: "Dass es sozial gerecht zugeht". 67% der Befragten betonen, dass dies "besonders wichtig" sei. "Dass alle Menschen gleiche Lebenschancen haben" wird ebenfalls als zentrales Merkmal der Demokratie gewertet. Offenbar besteht aus Sicht der Bevölkerung eine enge Verknüpfung von sozialen und materiellen Fragen und Demokratie. Ohne ein Mindestmaß an materieller Gleichheit ist keine Demokratie möglich. Das lässt sich auch kaum bestreiten, denn soziale und ökonomische Ungleichheiten sind in rechtlicher und politischer Hinsicht eindeutig dann zu groß, wenn die einen aufgrund von Armut ihre Rechte, politische Beteiligung und eine Teilnahme am soziokulturellen Leben kaum oder nicht mehr wahrnehmen können und die anderen aufgrund ihres Reichtums sich einen übermäßig großen Einfluss in diesen Bereichen sichern können.


Lohnt sich Leistung noch?

Die Verteilung von Gütern in der Gesellschaft soll fair sein und sich an Leistung und Talenten orientieren. Eine Verteilung, die etwa von ererbtem Besitz oder Status abhängt, wird als ungerecht wahrgenommen. Jede(r) - egal ob arm oder reich - soll die gleiche Chance auf materiellen Erfolg und Aufstieg haben. Dieser Anspruch ist immer wieder Ergebnis empirischer Erhebungen. Ebenso wie der sinkende Glaube daran, dass dieser Anspruch real eingelöst wird. "Statusfatalismus" nennt das Renate Köcher, Geschäftsführerin des Allensbacher Instituts für Demoskopie. Während 1980 noch 61% der Westdeutschen überzeugt waren, dass sich Leistung lohnt, glauben heute nur noch 47%, dass Leistung mit wirtschaftlichem und sozialem Aufstieg honoriert wird. 65% der Befragten mit niedrigem sozioökonomischen Status glauben indes: "Sozialer Aufstieg ist vor allem etwas für diejenigen, die schon relativ weit oben sind. Für die Masse der Bevölkerung gilt das aber nicht." Damit geht eine entscheidende Triebfeder der sozialen Marktwirtschaft verloren: "Durch den zunehmenden Statusfatalismus gehen von der sozialen Spreizung immer weniger motivierende Impulse aus." (Köcher) Leistung scheint sich nicht mehr zu lohnen, wofür sich also noch anstrengen?

Was kann aus diesen beiden Ergebnissen geschlossen werden? Sicher nicht, dass die Forderung nach materieller Gleichheit in Kürze die revolutionären Massen auf die Straße treiben wird. Wohl aber lässt sich feststellen, dass es ein ausgeprägtes Gespür für ein zu starkes Maß an sozialer Ungleichheit gibt. Wenn die soziale Spreizung zu stark wird, dann geht das Vertrauen in unsere Staats- und Wirtschaftsform verloren, die Armen werden buchstäblich abgehängt und die Reichen entkoppeln sich vom Rest der Gesellschaft. Nicht Ergebnisgleichheit, aber gleiche Chancen und gleiche Ausgangsbedingungen und damit auch mehr Gleichheit bei der Verteilung von Gütern sind wichtig für Demokratie und soziale Marktwirtschaft.

Wer diesen Befund ernst nimmt, muss besorgt sein. Denn die Ungleichheit wächst - dramatisch. Die OECD-Studie Growing Unequal zeigt, dass gerade in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren die Einkommens- und Vermögensungleichheit deutlich zugenommen hat. Und zwar stärker als in allen anderen 30 OECD-Staaten.

Mehr Gleichheit ist also eine hochaktuelle und gut begründete Forderung. Wie stehen die politischen Parteien dazu?


Die Haltung der Parteien

Die FDP warnt eindringlich vor dem Versuch, sozialen Ausgleich so zu organisieren, wie es etwa die Sozialdemokraten versuchen: "Der liberale Sozialstaat konzentriert seine Hilfe wirksam auf die wirklich Bedürftigen. Der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat verteilt an alle ein wenig", heißt es in den Wiesbadener Grundsätzen. Soziale Leistungsfähigkeit werde erst erreicht, wenn sich ökonomische Leistungsfähigkeit möglichst ungebrochen entfalten könne. Der Glaube daran, dass auch in dieser Hinsicht der entfaltete Wettbewerb und der ungezügelte Markt zu den bestmöglichen Ergebnissen führe, ist ungebrochen.

Die Grünen formulieren in ihren Grundsatzdokumenten einen anspruchsvollen Gerechtigkeitsbegriff, der neben klassischen Verteilungsgrößen auch Dimensionen ökologischer Nachhaltigkeit in den Blick nimmt und darüber hinaus Teilhabe als zentrales Element beschreibt. In der kritischen Auseinandersetzung mit realen gesellschaftlichen Zuständen streben sie so mehr Gleichheit an.

Gleichheit wird in den programmatischen Eckpunkten der Partei "Die Linke" - ein Grundsatzprogramm wurde bisher noch nicht formuliert - als "grundlegende Wertorientierung" beschrieben. Aber nicht nur aufgrund des fehlenden Grundsatzprogramms fällt es schwer, die Politik der Partei "Die Linke" eindeutig einzuordnen, stellt sie sich doch in der politischen Praxis höchst heterogen dar. Das Bekenntnis zur Gleichheit ist so zwar zentrales Anliegen der Partei, bleibt aber auch relativ abstrakt.

Die CDU bekennt sich in ihrem Grundsatzprogramm zwar zu "gleiche(n) Startchancen in Bildungswege und in die Arbeitswelt" und argumentiert, dass "die Verwirklichung der Freiheit [...] der sozialen Gerechtigkeit" bedarf. Doch es bleibt offen, was passiert, wenn die einmal gewährten Startchancen - aus welchen Gründen auch immer - nicht genutzt wurden und wie dies zu modernen Konzepten lebenslanger Chancengleichheit steht.

Diese Widersprüchlichkeit ist nicht überraschend, ist doch der inhaltliche Kern der CDU-Programmatik seit jeher schwer zu bestimmen. Die CDU integriert - ähnlich wie die SPD - starke Flügel und heterogene Wählerschichten. Wo genau der Identitätskern zwischen Arbeitnehmerflügel und wirtschaftsliberaler Orientierung liegt, bleibt offen. In der Regierungspraxis hat dies dazu geführt, dass die CDU der 80er und 90er Jahre nie in gleichem Umfang wie etwa angelsächsische Konservative Ungleichheit als Motor wirtschaftlicher Dynamik begriffen und entsprechend forciert haben. Ob sich ein Streben nach mehr Gleichheit künftig in Programm und Praxis der Partei niederschlägt, dürfte stark von den Kontexten abhängen, in denen die Partei eingebunden ist. Wäre sie weiter in eine Große Koalition eingebunden, ist eine Orientierung an dem relativ ausgleichend formulierten Grundsatzprogramm der CDU wahrscheinlich. Würde sie gemeinsam mit der FDP die Opposition anführen oder regieren, spricht vieles für die Rückkehr zu den marktliberalen Beschlüssen des Leipziger Parteitags von 2003.


Gleiche Rechte und Pflichten

Die SPD ist die Partei, die historisch am eindeutigsten für mehr Gleichheit einstand. Nicht neue Privilegien für eine Klasse, sondern gleiche Rechte und Pflichten für alle standen am Beginn der Arbeiterbewegung. Immer wurde dabei der Anspruch nach mehr Gleichheit in Bezug gesetzt zu Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Chancengleichheit war eines der zentralen Motive der Brandt'schen Reformpolitiken. Auch das aktuelle Hamburger Programm knüpft daran an: "Daher erfordert Gerechtigkeit mehr Gleichheit in der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Macht."

Wer fragt, wie sich diese Forderung in der Regierungspraxis der vergangenen Jahre ausdrückt, wird sich unwillkürlich an die Agenda-Politik und die heftigen Debatten darum erinnern. Dabei muss eine differenzierte Einordnung erfolgen. Einerseits wurde die Reformpolitik als Verstärker von Ungleichheit empfunden. Andererseits zeigen die Daten des SOEP, dass durch den, auch von der Reformpolitik angeregten, Aufschwung ab 2006 der Trend zur wachsenden Einkommensungleichheit gestoppt wurde. Ferner wurde ein Paradigmenwechsel von einer Statussicherung zu einer Grundsicherung eingeleitet. Aus sozialethischer Sicht ist eine Grundsicherung eher gerecht, denn die Statussicherung verlängert tendenziell die Ungleichheiten der Markteinkommen in die sozialen Sicherungssysteme. Virulent ist freilich die Frage der Höhe der Grundsicherung.

Für ihre künftige Politik hat die SPD mit dem Deutschlandplan einen klaren Entwurf vorgelegt, der durchaus auf mehr Gleichheit abzielt und sich zugleich der Frage stellt, wie der gerechter zu verteilende Wohlstand erwirtschaftet werden soll. Mit dem Ziel Vollbeschäftigung, der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit und der Konzentration auf einen fairen Zugang zu Bildung steht dieser Plan in der Tradition einer sozialdemokratischen Politik der Gleichheit der Lebenschancen. Zweifellos, dieser Entwurf ist ambitioniert. Aber ein fantasieloses "Weiter so" wäre angesichts der Krise und ihrer Folgen - gerade auch für gesellschaftliche Gleichheit und Ungleichheit - verheerend.

Fazit: Mehr Gleichheit ist notwendig - im Interesse der Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft. Die Parteien haben sich hierzu erklärt. Die Wähler entscheiden.


Christian Krell (* 1977) ist Leiter der Akademie für Soziale Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung und Lehrbeauftragter der Universität Siegen. (Christian.Krell@fes.de)


*


Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 9/2009, S. 52-55
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
Redaktion: c/o Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin
Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin
Telefon: 030/26 935-71 51, -52, -53
Telefax: 030/26 935-92 38
ng-fh@fes.de
www.ng-fh.de

Die NG/FH erscheint monatlich, wobei die Hefte 1+2
und 7+8 im Januar bzw. Juli als Doppelheft erscheinen.
Einzelheft: 5,50 Euro zzgl. Versand
Doppelheft: 10,80 Euro zzgl. Versand
Jahresabonnement: 50,60 Euro frei Haus


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2009