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PARTEIEN/105: Die Linke - momentan politisch nicht handlungsfähig (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2011

Vielfalt ohne Einheit
Die Linke - momentan politisch nicht handlungsfähig

Von Gero Neugebauer


Querelen um das Führungspersonal, programmatische Desorientierung, ausbleibende Wahlerfolge. Die Partei "Die Linke" befindet sich zweifellos in einer Krise. Ohne eine Überprüfung der alten Profile und Mut zu neuen Themen kommt sie da auch nicht mehr raus.


Ein Ergebnis der empirischen Parteienforschung lautet schlicht und einfach, dass Parteien vor einer internen und vor einer externen Herausforderung stehen: Sie müssen die Organisation funktionsfähig erhalten und stärken sowie Wahlerfolge erringen. Daraus folgt: Parteiführungen müssen dafür sorgen, dass die Partei möglichst geschlossen auftritt und sich ihrer Wählerumwelt optimal anpasst. Werden beide Herausforderungen bewältigt, und nicht nur eine allein, kann die Partei im Parteienwettbewerb Erfolg haben.

Das gelingt der Partei Die Linke momentan nicht. Nach der erfolgreichen Bundestagswahl 2009 hat sie zwei positive Ergebnisse erreicht: In NRW zog sie 2010 in den Landtag ein, in Hamburg hielt sie 2011 ihre 2008 erreichte Position. Die Hamburger Partei Die Linke trat relativ geschlossen auf, vermittelte erfolgreich den Eindruck, soziale Kompetenz zu haben und zeigte - anders als Die Linke in Baden-Württemberg - zu keinem Zeitpunkt Koalitionsbereitschaft an. Damit rettete sie die Parteispitze vor der Diskussion über deren Leistungsfähigkeit. Doch die Resultate der März-Wahlen 2011 verdarben der Führung die Laune. In Sachsen-Anhalt verlor Die Linke leicht an Stimmen und stark an Hoffnung, sie hatte sich zeitweilig auf Platz eins vor der CDU gewähnt. Eine geringe Wechselbereitschaft wie eine avantgardistische Attitüde ("Wir sind gut und machen alles anders - und das auch allein") trugen zu dem Resultat bei. In Baden-Württemberg wie in Rheinland-Pfalz blieb ihr der Erfolg komplett versagt. Es hätte an Fukushima und der Atomfrage gelegen, dass niemand die Kernthemen der Partei Die Linke zur Kenntnis nehmen wollte, jammerte die Parteispitze. Sie fragte sich nicht, warum die "Kernschmelze" eingesetzt hatte. Waren die Medien schuld, die Die Linke nicht so auf die Agenda setzen wie sie sich gesetzt sehen möchte? Sie berichteten nicht über die Beteiligung an der Kampagne "Stuttgart 21", sondern über die irritierende Kommunismusdebatte sowie die Forderung, qua Grundgesetz die Atomenergie zu verbieten. Mehr an ökologischer Kompetenz zeigte Die Linke nicht, und Themen wie öffentliches Eigentum oder öffentlicher Beschäftigungssektor wurden nicht kommuniziert.


Innerparteiliche Spannungen

Die Resultate lösten eine Diskussion über das Führungspersonal aus. Die schloss dann auch Gregor Gysi ein, der sie ausgelöst hatte. Seine Beiträge zu Führungsfragen haben bisher eher destabilisierend gewirkt. Er hatte ohne Mandat der Partei den Bundesgeschäftsführer faktisch gefeuert und in einem Hau-Ruck-Verfahren den Vorschlag für eine neue Parteispitze gegen die bestehende Beschlusslage durchgesetzt. Zufrieden war er mit seiner Auswahl wohl kaum. Bereits fünf Monate nach ihrer Wahl beschuldigte er sie, sich nicht um die Entwicklung der Partei zu kümmern. Gesine Lötzsch konterte mit Vorwürfen gegen die Fraktion und brachte ihn mit ihrem "K-Wort" sogar zum Schweigen. Aber deshalb wird er nicht die jüngste Debatte um den Nachfolger der beiden gegenwärtigen Vorsitzenden, der niemand anders als ihr Vorgänger sein soll, entfacht haben.

Was soll das bringen? Wer kann in der Partei Die Linke als wirkliche Parteiführung angesprochen werden? Der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, der kein Parteiamt hat, oder die beiden Parteivorsitzenden? Sie sind zugleich Mitglieder des Fraktionsvorstandes. Die eine beklagt die Rolle der Fraktion als innerparteiliches "Superschwergewicht" (Gesine Lötzsch) und fordert sie auf, die Partei nicht weiter zu dominieren, der andere nutzt deren Ressourcen. Oder ist es der Ex-Bundesvorsitzende, jetzt "nur" noch Fraktionsvorsitzender in einem erweiterten Kreistag, dem Landtag in Saarbrücken? Er vermittelt über die Medien der Öffentlichkeit den Eindruck, heimlicher "Bestimmer" zu sein. Wer von ihnen repräsentiert wen in der Partei? Wer integriert die Mitglieder? Was haben die lose verknüpften quasi autonomen Elemente noch gemein?

Es wäre jedoch fatal, die Probleme der Partei auf die Diskussion um die Nachfolge der Nachfolger zu konzentrieren. Die lenkt zugleich davon ab, dass das gegenwärtige Verhältnis zwischen Partei und Fraktion den kleinen Königinnen und Königen in der Fraktion - und in manchen Landesverbänden - nützt, die ohne Rücksicht auf bisher nicht ermittelte gemeinsame Interessen der Partei ihre eigenen verfolgen. Oder soll die ersehnte starke Hand verhindern, dass es die Partei zerreißt, wenn Die Linke in Bremen nicht wieder in die Bürgerschaft oder die in Mecklenburg-Vorpommern nicht wieder in eine Koalition einzieht und die Regierungsbeteiligung in Berlin verloren geht? Die aufgelaufenen Spannungen haben das Potenzial, neue Konflikte zu provozieren.


Mischung verschiedener Erfahrungswelten

Es gibt manche, die das befürchten. Anfang des Jahres 2010 hatte Gregor Gysi lediglich von der Gefahr gesprochen, dass entweder der Westen oder der Osten die Partei übernehmen könnte. Im Mai 2010 beschrieb der erfahrene Parteiveteran Heinz Vietze im Neuen Deutschland die einzigartige Mischung verschiedener Erfahrungswelten in der Partei Die Linke und die dort existierende gewöhnungsbedürftige Kultur, die die Ausbildung einer Identität behindere. Zudem müssten unterschiedliche Traditionen, Kulturen, strukturelle Unterschiede und politische Interessen zusammengeführt und sowohl Hartz-IV-Empfänger als auch Unternehmer sowie ausgegrenzte Ossis und enttäuschte Wessis, deren ideologische Positionen von marxistischer Dogmatik bis hin zu postmoderner Beliebigkeit oder Sektierertum geprägt seien, integriert werden.

Nun kann es nicht weiter erstaunen, dass Die Linke wie eine " Patchwork-Partei" erscheint. Ihre Geschichte ist noch zu kurz, um den Erfolg der Integration der unterschiedlichen Teilmilieus jetzt schon beurteilen zu können. Diese Gemengelage gefährdet auch nicht die Einheit der Partei. Das Potenzial dafür haben allerdings die Strömungen und Zusammenschlüsse, die die ideologischen Differenzen repräsentieren. Die Strömungen, zu denen sich jedoch nur eine Minderheit der Mitglieder, vielleicht ein Achtel, bekennt, führen Kämpfe um Macht und Positionen, um Ressourcen und um die Deutungshoheit in politischen Fragen, beispielsweise der Festlegung, ob und zu welchen Bedingungen eine Beteiligung an einer Regierung erfolgen darf oder welche Schlüsse aus Wahlniederlagen zu ziehen sind.

So meinte die "Antikapitalistische Linke", dass weder "hektisch nach einer strategischen Umorientierung" gesucht werden noch Die Linke sich breiter aufstellen sollte, sondern ihr Alleinstellungsmerkmal "antikapitalistische Politik" noch offensiver vertreten müsse. "Darum gilt schlicht: Schwamm drüber und Weiterkämpfen!" (www. antikapitalistische-linke.de).

Ihr Gegenpol, das "Forum Demokratischer Sozialismus", befürwortet dagegen eine gründliche Debatte über eine parteiliche Programmatik. Die Partei dürfe nicht ihr Heil "im kleinsten gemeinsamen Nenner" suchen, denn damit würde sie weder zur Politik noch zur Gesellschaft Zugang finden (www.forum-ds.de).

Unterschiedlicher geht es kaum. Es zeigt sich darin zugleich, dass die widerstreitenden Akteure ein spezifisches eigenes Interesse an der Partei haben, das unter bestimmten Voraussetzungen, beispielsweise dann, wenn sie für sich keinen Gewinn aus dem Verbleib in der Partei sehen, in ein Desinteresse umschlagen kann. Wie ist sonst die Anfang 2011 vom Präsidiumsmitglied Heinz Bierbaum geäußerte Befürchtung zu verstehen, dass Die Linke im Ergebnis der Auseinandersetzungen der parteiinternen Strömungen auseinanderfallen könne?


Neue Themenangebote hat Die Linke nicht

In der Programmdiskussion kommt die externe Herausforderung ins Spiel. Einerseits soll der von Lafontaine geprägte Entwurf mit seinen Positionen möglichst unbeschädigt bleiben. Ein Gegenentwurf wird deshalb nur als Beitrag zur Debatte akzeptiert. Andererseits hat Die Linke in dieser Debatte, wie in der über ihre Themen, bislang wenig Interesse daran gezeigt, was in der Wählerumwelt diskutiert wird. Das fiel spätestens dann auf, als sie mit Themen auf dem Wählermarkt auftrat, die sie früher beinah allein angeboten hatte (Afghanistan, Hartz IV, Rente 67, Mindestlohn). Nun sind diese entweder politisch erledigt oder bei den Konkurrenten ebenfalls im Angebot. Neue Angebote hat sie nicht. Auf der einen Seite wird im Sinne einer self fullfilling prophecy daran geglaubt, dass die nächste soziale und ökonomische Krise kommen muss, weshalb die alten Themen eine permanente Aktualität besäßen. Neue Themen müssten deshalb ihren Wählern nicht angeboten werden, obwohl diese in der Praxis nicht nur in den ostdeutschen Landesverbänden, aber hauptsächlich dort, diskutiert und angeboten werden.

Auf der anderen Seite schafft es die gegenwärtige Führung nicht, die Programmdebatte so zu organisieren, dass das Gemeinsame, das mehr sein sollte als das Interesse an den Ressourcen der Partei, hervortritt. Sie meidet Kritik und Kontroversen, anstatt sie produktiv für die Entwicklung neuer Themen und Positionen zu nutzen.

Wen wundert es, wenn Wähler, die Die Linke als Vehikel für Protest nutzen, sich fragen, warum sie ihre Stimme verschenken sollen, wenn sie registrieren, dass die Partei sich weder für ihre Belange interessiert, noch sich als eine politisch handlungsfähige Organisation ausweist. Da macht Die Linke die Erfahrung, die andere Parteien machen, wenn sie ihre alten Profile nicht überprüfen und keinen Mut zu neuen Themen finden: die SPD steht in einer aktuellen Umfrage (FGW, 06.05.2011) rund 13% über, Die Linke ca. 41% unter ihrem Wahlergebnis von 2009.


Gero Neugebauer (* 1941) ist Politikwissenschaftler und lehrt am Otto-Stammer-Zentrum der FU Berlin. 2007 erschien seine Studie Politische Milieus in Deutschland.
gerosofo@zedat.fu-berlin.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2011, S. 36-38
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2011