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REDE/754: Schäuble - Vom Dialog zur Zusammenarbeit, für eine gemeinsame Zukunft (BMI)


Bundesministerium des Innern - 25. Juni 2009

Schäuble zieht positives Fazit der DIK und wirbt für ihre Fortsetzung

Unter Leitung von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble trat heute nach einem Empfang bei Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum letzten Mal in der Legislaturperiode das Plenum der Deutschen Islam Konferenz (DIK) im Hamburger Bahnhof in Berlin zu seiner 4. Sitzung zusammen.


"In den vergangenen drei Jahren haben wir das Verhältnis von Staat und Muslimen in Deutschland grundlegend verändert und einen Prozess der Integration auf den Weg gebracht", so Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble. "Die Konferenz setzt ein deutliches Zeichen, dass Muslime in Deutschland angekommen und aufgenommen und damit ein Teil Deutschlands geworden sind."

Mit der Deutschen Islam Konferenz ist erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein gesamtstaatlicher Rahmen für den Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen geschaffen worden.

Thema der heutigen Sitzung waren die Ergebnisse der Studie "Muslimisches Leben in Deutschland", die Empfehlungen der Arbeitsgruppen und des Gesprächskreises der DIK zur Förderung des Wertekonsenses im Alltag, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Integration der in Deutschland lebenden Muslime, zur Lösung religiös begründeter praktischer Fragen im Schulalltag sowie zur Ausbildung von Imamen und zur Etablierung islamisch-theologischer Hochschuleinrichtungen in Deutschland.

"Allen Mitwirkenden der beratenden Gremien gilt unser Dank für ihre intensive Arbeit und ihr großes Engagement in den gesamten letzten drei Jahren" betonte Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble. Die Islamkonferenz habe sich in den vergangenen drei Jahren als Rahmen zur Pflege der Beziehungen zwischen Staat und Muslimen in Deutschland bewährt. Auch biete sie einen Rahmen für den Dialog zwischen den sehr vielfältigen Strömungen und Positionen innerhalb des Islams in Deutschland. Die Deutsche Islam Konferenz ermögliche den Muslimen, Differenzen offen auszutragen und diene damit auch der Stärkung einer demokratischen Streitkultur unter Muslimen in Deutschland. "Dass diese Vielfalt der in Deutschland lebenden Muslime in der Öffentlichkeit im In- und Ausland mittlerweile stärker zur Kenntnis genommen wird, ist ebenfalls ein Erfolg der Islamkonferenz."

Der Dialogprozess bedürfe der Fortsetzung auch über das Ende der Legislaturperiode hinaus, betonte der Bundesinnenminister. "Die vielfältigen Ergebnisse der Studie "Muslimisches Leben in Deutschland", die unterschiedlichen Initiativen der Bundesländer zum islamischen Religionsunterricht und die ermutigenden Signale der Vertreter der deutschen Muslime zeigen, dass die Deutsche Islam Konferenz fortgesetzt werden muss."


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Vom Dialog zur Zusammenarbeit - für eine gemeinsame Zukunft

Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble zur Eröffnung der 4. Plenarsitzung der Deutschen Islam Konferenz (DIK) in Berlin am 25.06.2009


Als wir im September 2006 zum ersten Mal als Deutsche Islam Konferenz zusammengekommen sind, war das ein wichtiges Signal. Zum ersten Mal haben sich damals Muslime in der Vielfalt muslimisch geprägten Lebens in unserem Land und Repräsentanten von allen drei Ebenen unseres Staates an einen Tisch gesetzt. Im Vorfeld gab es viele, die meinten: das wird doch nichts. Sie verwiesen auf Integrationsprobleme, Differenzen der Muslime untereinander, Konflikte rund um die islamische Religionsausübung und auch auf die Belastung durch Extremismus im Namen des Islam. Ich habe damals gesagt: "gerade deshalb müssen wir es machen." Und Sie alle haben meine Einladung angenommen. Als wir uns getroffen haben war das plötzlich ein großer Erfolg. Und als es dann in den intensiven Beratungen, die wir uns damals mit einem umfangreichen Arbeitsprogramm vorgenommen haben, auch Dissens gab, war auf einmal von "Eklat" und "Scheitern" die Rede. Dies aber ist ferne Vergangenheit. Inzwischen reicht das Interesse an der Islamkonferenz längst weit über die deutschen Grenzen hinaus. So werden die Erfahrungen aus der Deutschen Islam Konferenz und ihre Bedeutung auch für die internationalen Beziehungen zwischen dem Westen und der islamischen Welt beispielsweise ab heute Nachmittag Thema der bilateralen Gespräche der Bundeskanzlerin mit US-Präsident Obama sein.

Natürlich gab und gibt es bei den vielen Debatten in den Arbeitsgruppen und dem Gesprächskreis ein Auf und Ab. So ist das eben in einer Demokratie. Ganz ohne Streit geht es nicht. Vor allem gibt es ohne Streit auch keine Gemeinsamkeit und keinen Zusammenhalt. Das muss man sich erarbeiten. Das gilt ja für jede Partnerschaft.

Am vergangenen Sonntag habe ich an der Cairo University in Kairo einen Vortrag zum Miteinander der Religionen in Deutschland und Europa gehalten. Natürlich habe ich vor allem über die Deutsche Islam Konferenz gesprochen. Im Anschluss gab es eine sehr lebhafte Diskussion, übrigens vor allem der Muslime im Publikum miteinander. Ich wurde von einer ägyptischen Professorin gefragt, wie das denn funktionieren könne mit einem deutschen Islam in Deutschland, wo es doch eigentlich nur einen Islam geben solle. Ich habe ihr dann erzählt, aus wie vielen unterschiedlichen Herkunftsländern sich die in Deutschland lebenden Muslime zusammensetzen. Ich habe ihr auch gesagt, wie bei unseren Debatten deutlich geworden ist, wie sehr das Leben in Deutschland die verschiedenen Menschen verbindet und dass wir daher versuchen, das spezifische Deutsche zum Bindeglied für Menschen zu machen, die ganz unterschiedliche Einstellungen zum Islam haben. Die Zuhörer in Kairo waren fasziniert davon, worüber und wie leidenschaftlich wir hier in unserem Kreis über solche Fragen diskutieren.

Wenn ich nach der Islamkonferenz gefragt werde, erzähle ich gerne über unsere Debatten, weil es die Atmosphäre wiedergibt, in der wir uns alle gemeinsam auf diesen Weg gemacht haben. Ich weiß schon, dass es in den Arbeitsgruppen anstrengender zugeht. Darum heißen sie ja auch so. Aber ich will den Menschen immer deutlich machen, dass es in dieser Konferenz eine gemeinsame Haltung gibt, Probleme anzupacken.

Was also können wir heute als handfeste Ergebnisse der Islamkonferenz festhalten?

1. Die Studie "Muslimisches Leben in Deutschland", die im Auftrag der Arbeitsgruppe 1 erarbeitet wurde, zeigt, wie verschiedenartig und unterschiedlich die muslimische Bevölkerung ist. Erstmals wurden in einem repräsentativen Verfahren die deutschen Muslime nach allen ihren Herkunftsländern und ihren Lebensgewohnheiten befragt. Wie notwendig diese Studie war, sehen wir jetzt! Das Ergebnis ist, dass in Deutschland schätzungsweise 4 Millionen Muslime aus 49 verschiedenen Staaten leben.

2. Fast die Hälfte sind deutsche Staatsbürger. Dass muslimische Repräsentanten auf dieser Konferenz eine Grundsatzerklärung abgegeben haben, ist ein eindrucksvoller Beleg für den Willen, sich in unsere freiheitliche Ordnung einzubringen und an der Gestaltung der deutschen Gesellschaft mitzuwirken. Dass für ein gedeihliches Zusammenleben nicht alleine Gesetzestreue ausschlaggebend ist, sondern auch der Konsens aller Menschen über Verhaltensregeln im Alltag ist eine der bemerkenswertesten Aussagen dieser muslimischen Erklärung. Die Werte Toleranz und Respekt für den anderen - sei es das Anderssein nun im Glauben, der Weltanschauung oder der Lebensgestaltung begründet - sind essentiell. Dass die meisten Muslime für diese Werte eintreten, macht deutlich, wie sehr die Islamkonferenz inzwischen zu einer Plattform des Dialogs zwischen Muslimen geworden ist. Es zeigt zugleich, wie wichtig es ist, dass wir hier in einer breiten Vielfalt an Überzeugungen zusammenkommen. Es ist auch ein Beleg für die Qualität des innermuslimischen Diskurses in der DIK.

3. Die Mehrheit der Muslime ist gläubig; zugleich bestehen aber bei der religiösen Alltagspraxis sehr große Unterschiede.

4. Obwohl die Religiosität und die religiöse Praxis bei Muslimen stark ausgeprägt sind, ist die Mitgliedschaft in einem religiösen Verein oder einer Gemeinde geringer ausgeprägt als bei Angehörigen anderer Religionen.

5. Bei der Schulbildung zeigen sich große Herausforderungen der strukturellen Integration. Sie wurden aber von den Bundesländern erkannt und durch vielfältige Initiativen und Schulversuche angepackt. Der geschätzte Kollege und Präsident der Kultusministerkonferenz, Herr Minister Tesch, wird dazu gleich noch mehr ausführen. Auf dieser Grundlage sehe ich gute Perspektiven, auch bei den praktischen Fragen - die für ein Zusammenwirken von Staat und Muslimen wichtig sind - voranzukommen. Die auf Erfahrungen von Kultusbehörden und Schulpraktikern beruhenden Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppe 2 sind hier wegweisend: ihre Empfehlungen zum Umgang mit Konflikten in der Schule, zur künftigen Imamausbildung und vor allem der Einrichtung islamisch-theologischer Lehreinrichtungen eröffnen konkrete Perspektiven. Darüber hinaus ist erwähnenswert, dass im Gegensatz zur Situation in anderen europäischen Staaten die Einführung von islamischem Sonderrecht oder einer religiösen Parallelgerichtsbarkeit von Seiten der islamischen Verbände nicht angestrebt wird.

6. Die Arbeit der vergangenen Jahre hat auch gezeigt, dass bei der besonderen Frage nach Religionsunterricht für muslimische Kinder viele Wege zum Ziel führen können. Seit dem dritten Plenum der Islamkonferenz im März 2008 ist allen Beteiligten klar, dass die deutsche Verfassungsordnung den Staat verpflichtet, bekenntnisgebundenen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen zu ermöglichen, wenn die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen durch die jeweilige Religionsgemeinschaft erfüllt werden. Die unterschiedlichen Länderinitiativen zeigen, wie sich der Staat auf die Muslime zu bewegt hat. Dass Deutschland offen ist auch für neue Glaubensgemeinschaften, zeigt das Beispiel der Alevitischen Gemeinde Deutschlands. Diese ist in einigen Bundesländern im Rahmen der Einführung alevitischen Religionsunterrichts bereits als Religionsgemeinschaft anerkannt.

7. Die langen Beratungen und Diskussion mit allen Teilnehmern haben eindrucksvoll bewiesen, dass es auf allen Seiten pragmatische Überlegungen gibt. Es geht um das Wohl vieler Kinder; und es ist ermutigend, wie sich unzählige Kultusbeamte, Elternvertreter und einzelne Moscheegemeinden und Wissenschaftler um pragmatische Lösungen bemühen und positive Entwicklungen in Gang setzen. Ich bin auch überzeugt, dass sich in konkreten Schritten zu mehr Zusammenarbeit auch manche Hürde, die jetzt noch besteht, meistern lassen wird. Eine der Fragen, die wir noch nicht haben lösen können, ist ja: Wollen die Muslime in Deutschland die Kooperationsangebote unseres Religionsverfassungsrechts tatsächlich aktiv aufgreifen und die dafür zwingend notwendigen organisatorischen Voraussetzungen schaffen? Oder brauchen sie noch Zeit für das Zustandekommen eines innermuslimischen Konsens?

8. Unabhängig davon, wie schnell die Einrichtung von bekenntnisgebundenem islamischen Religionsunterricht erreicht wird oder wir noch auf religionskundlichen Unterricht zurückgreifen müssen, werden wir in Deutschland staatliche Lehrkräfte auch für die islamische Religion brauchen. Deshalb unterstütze ich nachhaltig alle Bemühungen um die Schaffung dauerhafter islamisch-theologischer Forschungs- und Lehrstrukturen an deutschen Universitäten. Hier wird die Deutsche Islam Konferenz weiter wichtige Impulse geben können und auch müssen - erst Recht in Fragen, die einzelne Länder nur schwer alleine beantworten können: Wo richten wir islamisch-theologische Lehrstühle ein? An welchen Fakultäten? In welchen Ländern? Mit welchen Partnern? Ich bin überzeugt, dass wir solche Lehrstühle und vor allem ihre Inhaber als Vordenker einer islamischen Theologie in und für Deutschland brauchen. Sie könnten die Wiege einer Generation von Muslimen werden, die das Motto unserer Islamkonferenz zur Selbstverständlichkeit werden lässt: "Muslime in Deutschland - deutsche Muslime".

9. Der weit überwiegende Teil der deutschen Muslime will den Weg der Deutschen Islam Konferenz weiter beschreiten. Nicht alle können oder wollen sich daran beteiligen. Es gab auch Belastungen, die es uns allen schwerer gemacht haben. So hätte ich mir deutlichere Erklärungen zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaften in Köln und München gewünscht - um des Ansehens der Muslime in Deutschland willen, und als Zeichen, dass es uns allen ernst mit der gemeinsamen Aufbauarbeit ist. Auch wenn Vereinbarungen noch kurz, bevor wir uns treffen, zurückgenommen werden, hilft das unserem gemeinsamen Anliegen nicht.

10. Der Umgang mit Muslimen und mit dem muslimischen als Teil unseres öffentlichen Lebens hat sich in den vergangen Jahren deutlich entspannt und verbessert. Wo es heute Probleme gibt - sei es an der Schule, im Berufsalltag oder in den Medien - da bleibt unsere Gesellschaft nicht bei der notwendigen Problembeschreibung stehen, sondern sucht nach Lösungen, die dann nach Möglichkeit auch umgesetzt werden. Ich glaube, wir haben uns auf allen Seiten kennen und oft auch schätzen gelernt. Ohne Zweifel ist eine Fortsetzung des ernsthaften und strukturierten Dialogs in dieser Konferenz notwendig. Sie wird deshalb auch in den nächsten Monaten in meinem Ministerium vorbereitet.

Ich will noch einmal auf die internationale Dimension, dessen, was wir hier machen, hinweisen. Wenn ich daran denke, wie wenig dieser Konferenz anfangs zugetraut worden ist, dann darf ich sagen: wir haben viel erreicht. Die Leistungen unseres Dialogs werden übrigens auch weithin anerkannt. Es war eine der Überraschungen für mich in den letzten Jahren, wie groß international das Interesse für unsere Arbeit in der DIK und auch für das deutsche Religionsverfassungsrecht ist. Das gilt für unsere europäischen Partner genauso wie für viele muslimisch geprägte Länder. Bei Begegnungen mit Vertretern von Regierungen und muslimischen Gemeinschaften in der Türkei, Bosnien, aber auch Saudi-Arabien und - gerade letzte Woche - in Ägypten und Syrien habe ich viel erfahren, vor allem dass auch in muslimisch geprägten Gesellschaften religiöse Vielfalt und Toleranz zunehmend ein Thema ist. Und dass unser Dialog als aufrichtig und viel versprechend gesehen wird. Auch ist das Verständnis für unseren Wunsch groß, dass sich die Muslime organisatorisch von ihren Herkunftsländern lösen und deutsche Muslime werden. Das ist ein Prozess, der in der Logik des Heimatwerdens angelegt ist. Wenn wir die Islamkonferenz und das durch sie mitgeprägte gesellschaftliche Klima mit dem vergleichen, was in anderen westlichen Ländern geschieht, dann dürfen wir - so glaube ich - schon ein bisschen stolz sein. Und wir sollten Ansporn daraus ziehen, weiter voranzugehen, damit aus Dialog mit konkreten Schritten Zusammenarbeit wachsen kann.


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Anhang

Die Deutsche Islam Konferenz hat nach drei Jahren wichtige Ergebnisse auf dem Weg zu einer besseren gesellschaftlichen und religionsrechtlichen Integration der in Deutschland lebenden Muslimen erzielt. Sie hat dabei in vielen offenen und gleichwohl bedachten Diskussionen und Verhandlungen bedeutende Zeichen für gegenseitigen Respekt, Verständigung und Vielfalt gesetzt und zu einer Versachlichung der Debatte über bestehende Integrationsprobleme beigetragen.
Aus der Arbeit der DIK seit ihrer Etablierung im September 2006 sind insbesondere folgende Empfehlungen, gemeinsame Schlussfolgerungen und Ergebnisse hervorzuheben:

1. Integration als Prozess verändert grundsätzlich beide Seiten, die Mehrheitsgesellschaft wie auch die Zuwanderer. Sie verlangt Zuwanderern dabei ein höheres Maß an Anpassung ab, insbesondere an die auf Recht, Geschichte und Kultur Deutschlands beruhenden Orientierungen der Aufnahmegesellschaft. Integration verlangt auch von in Deutschland lebenden Muslimen die aktive Bereitschaft zu Erwerb und Gebrauch der deutschen Sprache und darüber hinaus die vollständige Beachtung der deutschen Rechtsordnung und der Werteordnung des Grundgesetzes. Zugleich ist die Mehrheitsgesellschaft gefordert, in Deutschland lebende Muslime als gleichberechtigten Teil der deutschen Gesellschaft anzuerkennen und zu respektieren.

2. Um Probleme im Zusammenleben beheben zu können, bedarf es verlässlicher empirischer Erkenntnisse. Die Arbeitsgruppe 1 der DIK hat deshalb eine wissenschaftliche Untersuchung zur Erforschung der vielfältigen Lebenswelten der Muslime in Deutschland in Auftrag gegeben. Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführte Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" hat nun auf der Grundlage von über 6000 direkten Telefoninterviews erstmalig eine bundesweit repräsentative Datenbasis zu Muslimen in Deutschland, insbesondere zu Zahl, Glaubensrichtungen, Religiosität, religiöse Praxis und Integration geliefert.

3. Mit den auf dem 4. Plenum von den Muslimen der DIK eingebrachten Empfehlungen zur Förderung der Integration und des Wertekonsenses nehmen die Muslime der DIK aktiv an der Integrationsdebatte teil. Unter anderem machen die Unterzeichnenden der Stellungnahme deutlich, dass es einen Konsens über Verhaltensregeln jenseits gesetzlicher Regelungen gibt, so über die Notwendigkeit von Toleranz und Respekt gegen über Andersgläubigen und Angehörigen anderer Weltanschauungen sowie der Muslime untereinander. Es wird zudem dafür geworben, dass Schulen stärker zu Orten der Toleranzerziehung und der Toleranzeinübung werden sollen. Zugleich wirbt das Papier dafür, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau als zentrales Element der Werteordnung des Grundgesetzes bei muslimischen Kindern und Jugendlichen zu befördern ist. Die Stellungnahme enthält Übereinstimmungen und Differenzen. Dass sie dennoch gemeinsam veröffentlicht wird, verdeutlicht die demokratische Streitkultur zwischen den Muslimen in der DIK.

4. Es besteht Übereinstimmung, dass islamischer Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach in deutscher Sprache an öffentlichen Schulen eingeführt werden soll. Die DIK hat in ihrer 3. Plenarsitzung einen wegweisenden Bericht angenommen, welcher die dafür Voraussetzungen formuliert und Wege beschreibt, wie möglichst rasch auf der Grundlage der derzeitigen Sach- und Rechtslage im Konsens der Beteiligten ein konfessioneller islamischer Religionsunterricht eingeführt werden kann. Die Klärung der Voraussetzungen für die Einrichtung von islamischem Religionsunterricht war ein wichtiger Meilenstein. Er macht die Gleichberechtigung des Islam in der Schule deutlich und ist integrationspolitisch von großer Relevanz, denn ein konfessioneller Islamunterricht kann maßgeblich zu einer reflektierten Auseinandersetzung mit Fragen der Religion und zur Entwicklung eines selbstkritisch-reflektierten islamischen Selbstbewusstseins als Voraussetzung für Verständnis und Toleranz gegenüber Andersdenkenden beitragen. Aus den Ländern gibt es viele positive Signale hinsichtlich der Umsetzung. Der Präsident der Kultusministerkonferenz hat hierzu im Rahmen der 4. Plenarsitzung über den aktuellen Sachstand in den Ländern berichtet.

5. Es besteht ebenso Übereinstimmung, dass Forschungs- und Lehrangebote zur islamischen Theologie im staatlichen Hochschulsystem eingerichtet und entsprechende Rahmenbedingungen möglichst zeitnah geschaffen werden sollten. Eine akademische Verankerung islamischer Theologie ist nicht nur mit Blick auf die Ausbildung von Lehrpersonal für einen islamischen Religionsunterricht notwendig, sondern auch zur Ausbildung religiösen Personals und vor allem auch wegen der integrativen Wirkung einer in der Mitte der deutschen Gesellschaft verorteten islamischen Theologie, die angemessene Antworten auf Fragen des muslimischen Lebens in der Diaspora geben sowie sich am Diskurs über allgemeine gesellschaftspolitische Fragen beteiligen kann. Unbeschadet der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für das Hochschulwesen sowie für das Verhältnis zwischen dem Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist dies eine für den Integrationsprozess besonders bedeutsame gesamtstaatliche Aufgabe.

6. Zum Thema "Integration in der Schule" konnte nach eingehender Diskussion in der Arbeitsgruppe 2 eine Einigung über eine Handreichung mit einer Darstellung der rechtlichen Grundlagen und Empfehlungen zu religiös begründeten schulpraktischen Fragen erzielt werden. Hierbei handelt es sich um wichtige Fragen des alltäglichen Zusammenlebens, wie etwa den Umgang mit Klassenfahrten, mit dem Sport- und Schwimmunterricht oder mit dem Kopftuch in der Schule. Die Vielfalt der Kulturen und die Verschiedenheit der Erfahrungen und der Lebensweisen führen in den Schulen nicht selten zu Unsicherheiten bei allen Beteiligten. Schulische Konflikte, die sich aus einer Konkurrenz des staatlichen Bildungsauftrags und der staatlichen Erziehungsziele einerseits sowie der Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler und des elterlichen Erziehungsrechts andererseits ergeben können, haben daher neben der rechtlichen auch eine integrationspolitische Relevanz. Der Konsens über das Thema "Islam in der Schule" ist daher von zentraler Bedeutung für die Integr ation der muslimischen Schülerinnen und Schüler.

7. Als Ergebnis der Arbeit der Arbeitsgruppe 3 fordert die DIK eine verantwortungsvolle, vorurteilsfreie und differenzierte Berichterstattung über Muslime und den Islam. Es sollten mehr alltagsnahe Themen zum islamischen Leben in Deutschland aufbereitet werden. Auch die kulturelle Vielfalt muslimischer Mitbürger sollte in dem Sinne dargestellt werden, dass sie zu unserer Kultur in Deutschland als Ganzes beiträgt. Es wird zudem gefordert, deutlich mehr qualifizierte Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in den Fernseh- und Rundfunkredaktionen sowie in den Printmedien einzustellen, um den Sachverstand und das interkulturelle Verständnis dieser Mitbürger zu nutzen.

Zudem hat die Arbeitsgruppe gemeinsam mit der Herbert Quandt-Stiftung einen "Runden Tisch" deutscher und türkischer Journalisten in Berlin ins Leben gerufen. Inhaltliches Ziel des Runden Tisches ist es, aktuelle integrations- und innenpolitische Themen zu diskutieren, für einen informellen wie journalistischen Austausch zwischen deutschen und türkischen Medienmachern zu sorgen und damit auch auf diese Weise integrierend zu wirken.

Mit der DIK-Website www.deutsche-islam-konferenz.de wurde zudem eine Plattform für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über den Islam in Deutschland geschaffen. Die Website der DIK verstärkt die Transparenz der DIK und trägt zur Versachlichung der Debatte über den Islam in Deutschland bei. Die Beteiligungsmöglichkeiten bieten interessierten Bürgern zudem die Möglichkeit, sich in gesellschaftlich relevanten Fragen des DIK-Prozesses einzubringen

8. Um die Zusammenarbeit zwischen Muslimen und Sicherheitsbehörden in Deutschland zu verbessern, wurde im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine "Clearingstelle" eingerichtet, die den Aufbau eines bundesweiten Netzes von Ansprechpartnern bei Sicherheitsbehörden und muslimischen Organisationen unterstützen, Experten für Dialogveranstaltungen bzw. zum Informationsaustausch vermitteln, Aus- und Fortbildungsprojekte der Sicherheitsbehörden sowie sicherheitsbehördliche Informationsangebote an Muslime und die Erstellung von Informationsmaterialien unterstützen wird. Die "Clearingstelle" hat unmittelbar nach der 3. Plenarsitzung am 13. März 2008 ihre Arbeit aufgenommen. Sie hat zwischenzeitlich bundesweit Kontakte zu den islamischen Organisationen und zu einzelnen Gemeinden wie auch zu den Sicherheitsbehörden hergestellt. Derzeit wird der Internetauftritt der Clearingstelle vorbereitet, der die Nutzung des bereits aufgebauten Ansprechpartnernetzwerkes ermöglicht.

9. Die Transparenzdebatte im Gesprächskreis hat aufgezeigt, dass Transparenz und wechselseitige Offenheit eine Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit zwischen islamischen Organisationen und staatlichen Institutionen sind. Es ist den islamischen Organisationen ein Anliegen, aktiv zu werden gegen extremistische Tendenzen in der muslimischen Gemeinschaft und innerhalb ihrer Verbände. Im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sind den islamischen Organisationen Hinweise der Sicherheitsbehörden zu extremistisch-islamistischen Tendenzen und Propaganda willkommen.

10. Der Gesprächskreis stellt fest, dass gemeinsame Projekte von staatlichen Stellen und islamischen Organisationen zur Extremismus- und Radikalisierungsprävention Erfolg versprechend sind. Er wird sich künftig verstärkt der praktischen Präventionsarbeit widmen. Als erstes Projekt hierzu wird eine gemeinsame Publikation mit dem Titel "Muslime für Freiheit und Vielfalt" erarbeitet. Ziel der Publikation ist es, Muslime wie Nichtmuslime in Deutschland über den Islam und seine Rolle im Leben der Muslime zu informieren. Es geht darum, den Islam als Bestandteil unserer Gesellschaft darzustellen, die Identifikation der muslimischen Bevölkerung mit unserer Werte- und Gesellschaftsordnung zu stärken und klar Stellung gegen Gewalt und Terror zu beziehen. Dazu sind Beiträge der in der Deutschen Islam Konferenz vertretenen Verbände und nicht-organisierten Muslime ebenso vorgesehen wie Beiträge weiterer prominenter Muslime, die Vorbildfunktion haben können.

Erscheinungsdatum 25.06.2009


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Quelle:
Pressemitteilung und Rede vom 25. Juni 2009
Bundesministerium des Innern
Alt-Moabit 101D, D-11014 Berlin
Telefon: 01888 681-0, Telefax: 01888 681-2926
E-mail: poststelle@bmi.bund.de
Internet: http://www.bmi.bund.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2009