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REDE/785: Annette Schaven - Aussprache zur Regierungserklärung der Kanzlerin, 11.11.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 11. November 2009 in Berlin


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Der Koalitionsvertrag sendet starke Signale an die junge Generation. Gute Bildung und leistungsstarke Forschung sollen die Bildungsrepublik Deutschland prägen. Die Grundidee, also die ganz konkrete Entfaltung dessen, was gemeint ist, steht in dem Vertrag der christlich-liberalen Koalition.

Was meinen wir im Grundsatz, wenn wir sagen: "Bildungsrepublik Deutschland ist das Ziel, ist das Zukunftsbild, das wir vor Augen haben"?

Wir meinen viererlei:

Erstens. Kein Kind darf verloren gehen.

Zweitens. Niemand darf um die Entfaltung seiner Talente gebracht werden.

Drittens. Bildung und Forschung werden als inspirierende Kräfte und Quellen künftigen Wohlstands anerkannt.

Viertens. Bildung und Forschung müssen - das ist unsere Aufgabe in Parlament und Regierung hier in Berlin, aber auch in den 16 Ländern sowie in den Städten und Gemeinden - in den nächsten Jahren mehr denn je politische Priorität haben.

Wir beginnen nicht am Punkt null. Auch für den Bereich von Bildung und Forschung gilt: Da gibt es manches, auf das wir aufbauen können. Da gibt es gute Initiativen in einzelnen Städten und in den Ländern. Aber das Fundament muss noch stabiler werden. Wir wollen eines der besten Bildungssysteme der Welt. Wir wollen, dass Deutschland im internationalen Vergleich einer der attraktivsten Wissenschafts- und Forschungsstandorte ist.

Der Koalitionsvertrag enthält die starke Zusage des Bundes, in den kommenden vier Jahren zusätzlich zwölf Milliarden Euro in Bildung und Forschung zu investieren. Damit erhöhen wir den Anteil des Bundes für Bildung und Forschung auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts: sieben Prozent für Bildung, drei Prozent für Forschung. Auch das ist ein starkes Signal und zeigt, welche Priorität diese christlich-liberale Koalition der Bildung und Forschung beimisst. Wir haben dies in der Zeit der schwersten Wirtschaftskrise in Deutschland beschlossen, weil wir davon überzeugt sind, dass Bildung ein Bürgerrecht ist und dass gute Bildung und starke Forschung Quellen für künftigen Wohlstand sind.

Die Bundeskanzlerin hat gestern Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland genannt. Bis zum Jahre 2020 ist mit einem Rückgang der Zahl der unter 25-Jährigen zu rechnen. Das setzt sich in einem etwa 20-prozentigen Rückgang der Zahl der Schülerinnen und Schüler in Deutschland fort. Das bedeutet: Eine Gesellschaft mit weniger Kindern und Jugendlichen muss noch mehr tun, um jedem Kind und jedem Jugendlichen Chancen durch Bildung zu eröffnen und sie zu Bildung, Ausbildung und Studium zu ermutigen.

Ich füge hinzu: Das ist nicht allein eine Aufgabe des Staates. Das ist die Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Kinder und Jugendliche brauchen auch die Ermutigung durch ihre Eltern. Deshalb sage ich: Bildungsrepublik Deutschland meint mehr als ein gut finanziertes Bildungs- und Wissenschaftssystem, meint auch - dies muss noch stärker eingefordert werden - Leidenschaft und Begeisterung für Lernen und Forschen als die besten Seiten des Menschen.

Ich sage das auch deshalb, weil sich da niemand Illusionen machen soll. Allein mehr Geld und das Versprechen an die Bürgerinnen und Bürger, dass Bildung nichts kostet, führen noch nicht zu besserer Bildung und starker Forschung.

Deshalb sage ich: Die Bürgerinnen und Bürger wollen mehr. Sie erwarten kreative Konzepte. Sie verlangen, dass endlich die Vergleichbarkeit der Bildungsinhalte und Schulabschlüsse möglich wird.

Die Lehrerinnen und Lehrer erwarten eine verlässliche Partnerschaft mit den Eltern, um ihre Aufgabe in der Schule gut wahrnehmen zu können. Die Öffentlichkeit erwartet, dass wir endlich geeignete Wege finden, um die Bildungsarmut in einem wohlhabenden Land zu überwinden. Ich sage Ihnen: Das Wichtigste in dieser Legislaturperiode ist, dass es allen politischen Akteuren gelingt, dass Bildungsarmut in diesem Land keinen Platz mehr hat.

Gute Bildung und die Teilhabe aller Kinder an einem leistungsfähigen Bildungssystem beginnen mit der frühkindlichen Bildung. Deshalb werden wir die Weiterbildung der Erzieherinnen voranbringen, den Bildungsauftrag der Kindergärten stärken und sie zu Häusern der kleinen Forscher weiterentwickeln. Außerdem sorgen wir - gestern haben schon einige Redner darauf hingewiesen - gemeinsam mit den Ländern dafür, dass jedes Kind vor dem Schulbeginn eine Sprachförderung erhält, wenn seine Sprachentwicklung dies erfordert. Das ist ein Schritt zur Integration; darin liegt für Kinder und ihre Eltern der Schlüssel für gute Bildung: früh beginnen, Sprache lernen.

Wir werden ein Konzept für Bildungspartnerschaften von Bund, Ländern und Kommunen entwickeln. Wir schaffen im Hochschulpakt 275.000 neue Studienplätze. Wir bauen gemeinsam mit den Ländern ein nationales Stipendienprogramm für zehn Prozent der Studierenden auf. Wir sichern das BAföG und entwickeln es weiter. Sollte jemand von Ihnen schon ein Manuskript haben, in dem steht, dass es abgebaut wird, dann streichen Sie bitte diesen Satz. Wir schaffen Anreize für das Bildungssparen, bauen die Aufstiegsstipendien aus und werden das Büchergeld für die Stipendiatinnen und Stipendiaten der zwölf Begabtenförderungswerke auf monatlich 300 Euro erhöhen. Wir tun nicht so, als koste Bildung nichts. Wir geben attraktive Impulse und Anreize für die Finanzierung von Bildung und Studium.

Gemeinsam mit den Sozialpartnern, den Ländern, der Bundesagentur für Arbeit und den Weiterbildungsverbänden werden wir eine Weiterbildungsallianz schmieden. Wir werden zügig die Anerkennung von ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen voranbringen und unsere Maßnahmen zur Integration von Jugendlichen durch Bildung und Ausbildung verstärken.

Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte - wir wissen das - sind besonders häufig in der Gefahr, keinen Schulabschluss zu erreichen. Wir haben gute Vorarbeit aus den letzten Jahren in diesem Bereich, vor allen Dingen was das Engagement in der beruflichen Bildung angeht. Nachdem es erste Fortschritte gibt, müssen wir jetzt aber den Ehrgeiz haben, zu sagen: Im nächsten Jahrzehnt muss es in Deutschland gelingen, dass kein Jugendlicher mehr ohne Schulabschluss ins Leben geht.

Auch an diesem Punkt gilt: Eine ausreichende Finanzierung ist das Erste, wirksame Konzepte sind das Zweite, aber das Dritte ist, dass Kinder und Jugendliche eben auch Erwachsene brauchen, die sie ermutigen, die Chancen wahrzunehmen, die Bildung bietet. Dies betrifft die Mentalität in dieser Gesellschaft. Deshalb bedarf es mehr Zustimmung zur Bildung nicht nur in Rede und Theorie, sondern vor allem im alltäglichen Leben. Da brauchen Kinder und Jugendliche Ermutigung.

Wir werden den Ausbildungspakt zum Qualitätspakt weiterentwickeln. Jetzt geht es um die Frage, wie wir Qualität und Ausbildungsreife so weiterentwickeln, dass wirklich jeder eine Ausbildung antreten kann.

Deutschland ist Teil des europäischen Bildungsraumes. Wir werden den deutschen Qualifikationsrahmen analog zum europäischen Qualifikationsrahmen erarbeiten, das Übergangssystem neu strukturieren und effizienter gestalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden auch gerade mit dem Flaggschiff unseres Bildungssystem, der beruflichen Bildung, noch stärker international präsent sein.

Gemeinsam mit den Ländern und den Hochschulen werden wir ein Bologna-Qualitäts- und Mobilitätspaket schnüren, das die Studienreform voranbringt. Sie ist richtig; aber sie verlangt Korrekturen, was die Gestaltung der Studiengänge und die Verbesserung der Lehre, die bessere Betreuung und Beratung der Studierenden angeht. In den nächsten Monaten können seitens der Länder und da, wo wir helfen können, auch von unserer Seite deutliche Signale an die Studierenden gegeben werden.

Wir werden bereits ab dem Wintersemester 2011 in Deutschland das modernste Konzept der Studienplatzvergabe haben. Auch das ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre ein wichtiger Schritt für die Studierenden.

Mit steuerlichen Anreizen für Investitionen in Forschung und Entwicklung in den Unternehmen stärken wir die Innovationskraft unseres Landes. Wir wollen es so gestalten, dass neue Arbeitsplätze für Forscherinnen und Forscher geschaffen werden können. Wir werden die Hightech-Strategie weiterentwickeln als ein europäisches Konzept mit den Flaggschiffen im Bereich der Gesundheitsforschung und der Energie- und Klimaschutzforschung. Wir werden ein integriertes Energieforschungsprogramm vorlegen. Wir werden weitere Spitzenforscher aus aller Welt unter anderem mit den Alexander-von-Humboldt-Professuren nach Deutschland holen.

Die Elektromobilität erweist sich als Querschnittsthema. Ich glaube, sie wurde in drei Reden angesprochen; auch ich könnte sie jetzt noch einmal nennen. Wenn ich mir die Kompetenz und die Kompetenznetze, die wir in Deutschland geschaffen haben, ansehe, dann bin ich davon überzeugt, dass das ein Renner wird.

Die christlich-liberale Koalition wird mit dem Pakt für Forschung und Innovation und einem jährlichen Zuwachs von fünf Prozent ein verlässlicher Partner unserer Forschungsorganisationen sein und die Exzellenzinitiative in eine zweite Runde bringen.

Schließlich: Auch in der Forschungspolitik gilt: Die Transparenz und die Akzeptanz der Chancen und die Risiken der Forschung sind so bedeutsam wie ihre Finanzierung. Deshalb werde ich für den 2. Dezember zum nächsten Runden Tisch zur Grünen Gentechnik einladen. Das ist ein Element dessen, was wir in den nächsten Jahren verstärken werden: Dialogplattformen, Stärkung der Forschungsmuseen, Gründung eines Hauses der Zukunft, um den Diskurs über Zukunftstechnologien in unserer Gesellschaft zu befördern.

Der Blick in die 16 Bundesländer zeigt, dass nahezu alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien bildungspolitische Verantwortung tragen. Das kann man bedauern, je nachdem. Aber man kann es auch als Chance sehen. Es ist eine Chance - ich sage das ganz ernst - zum Konsens über Parteigrenzen hinweg. Dazu lade ich Sie ein. Lassen Sie uns bei allen Meinungsverschiedenheiten und allem Wettbewerb gemeinsam daran arbeiten, durch gute Bildung und starke Forschung Kinder und Jugendliche zu ermutigen und unser Land voranzubringen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 113-7 vom 11.11.2009
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan,
im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin
vor dem Deutschen Bundestag am 11. November 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009