Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

REDE/798: Zu Guttenberg - Mandatsverlängerung für den ISAF-Einsatz in Afghanistan, 26.11.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) unter Führung der NATO vor dem Deutschen Bundestag am 26. November 2009 in Berlin


Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren!

Herr Kollege Pflug, ich will gerne Stellung nehmen zu dem geheimen Untersuchungsbericht, über den die Bild-Zeitung heute berichtet. Dieser Bericht war mir zum Zeitpunkt meiner Erklärung zu dem Bericht des ISAF-Kommandeurs nicht bekannt. Ich habe ihn jetzt zum ersten Mal vorgelegt bekommen.

Dieser Bericht wurde - wie andere Berichte und Meldungen aus der letzten Legislaturperiode - nicht vorgelegt. Hierfür wurde an maßgeblicher Stelle Verantwortung übernommen, und die personellen Konsequenzen sind erfolgt. Der Generalinspekteur hat mich gebeten, ihn von seinen Dienstpflichten zu entbinden. Ebenso hat Staatssekretär Wichert Verantwortung übernommen. - Wenn ich hier hämisches Lachen höre, will ich an dieser Stelle trotzdem beiden für ihren jahrzehntelangen Dienst für unser Land danken.

Selbstverständlich werden diese Berichte unverzüglich ausgewertet und den Fraktionen zur Einsicht zur Verfügung gestellt. Das versteht sich von selbst, und das ist auch mein Verständnis von Transparenz, was den Umgang mit solchen Vorfällen anbelangt. Der Bericht wird auch der Generalbundesanwaltschaft übergeben.

Bei meinen jüngsten Besuchen in Afghanistan - ich grüße die Gäste, die heute hier sind - in Kunduz und in Masar-i-Scharif haben mir unsere Soldaten, aber auch die zivilen Helfer in persönlichen Gesprächen wiederholt mitgegeben, wie wichtig ihnen ist, dass die Debatte und die Diskussion über ihren Einsatz verantwortungsvoll geführt wird, in dem Sinne verantwortungsvoll, dass wir uns auch in diesem Rahmen ein gewisses Niveau in der Diskussion leisten.

Umso wichtiger ist es, dass wir immer wieder darauf hinweisen, welchen Dienst die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Helfer vor Ort leisten: Sie sind motiviert, sie sind professionell, sie sind pflichtbewusst, sie haben selbstverständlich auch Emotionen, und sie leisten Vorbildliches. Auch an einem Tag, wo man über Dinge diskutiert wie die, über die wir heute diskutieren, dürfen wir ihnen von Herzen danken für ihren Einsatz, den sie vor Ort annehmen und entsprechend wahrnehmen. Sie stellen sich jeden Tag der Gefahr von Verwundung oder Tod. Diese Wahrheit gehört zu dem Einsatz ebenso wie die, dass in Teilen Afghanistans kriegsähnliche Zustände herrschen. Unsere Soldatinnen und Soldaten wissen das. Ihre Einschätzung muss für uns ebenso wichtig sein wie manche, die wir gelegentlich aus der Ferne wahrnehmen.

Seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes bis heute sind 36 Soldatinnen und Soldaten gefallen beziehungsweise gestorben und über 120 wurden verletzt beziehungsweise verwundet. Von daher dürfen wir uns unsere Entscheidung wie bislang alles andere als leicht machen. Unsere Entscheidung hat in dieser Hinsicht größtes Gewicht. Sie hat mit unserer Verantwortung gegenüber unseren Soldaten zu tun, einer Verantwortung, die letztlich Leben und Tod beinhaltet. Sie ergibt sich - Kollege Westerwelle hat darauf hingewiesen - aus unseren Sicherheitsinteressen. Diese Sicherheitsinteressen sind weiterhin maßgeblich gegeben. Unsere Verantwortung ergibt sich aber auch aus Bündnisverpflichtungen; auch das wollen wir nicht vergessen. Es ist eine gestaltende Aufgabe, bei der wir gefordert sind und bei der wir Ergebnisse nur im Zusammenwirken mit unseren Partnern erzielen können. Wir sollten aufhören, den Afghanistan-Einsatz lediglich zum Lackmustest für die NATO herabzustilisieren. Wenn er überhaupt ein Lackmustest ist, dann einer für die gesamte internationale Gemeinschaft.

Ich halte es für einen richtigen und für einen klugen Schritt, dass wir Anfang des nächsten Jahres auf einer Afghanistan-Konferenz zusammen mit den Vertretern Afghanistans auch diesen unseren Einsatz neu justieren und auf eine neue Grundlage stellen. Die Frau Bundeskanzlerin hat dazu gemeinsam mit dem britischen Premierminister und mit dem französischen Präsidenten den Anstoß gegeben. Sie können von der Bundesregierung daher zu Recht einen entsprechenden Beitrag erwarten, einen gestaltenden Beitrag inhaltlicher Art zunächst: wie diese Afghanistan-Konferenz zu sehen ist und welche Impulse wir geben können.

Ich fand sehr richtig, dass Kollege Westerwelle gesagt hat, wie die Abfolge zu sein hat: dass wir uns jetzt nicht den Planungen anderer unterwerfen, sondern dass wir unseren Zeitrahmen so einhalten, dass auch eine sinnvolle Debatte im Bundestag, eine Einbindung des Parlamentes, stattfinden kann, damit wir auch unseren Traditionen gerecht werden.

Wir müssen den Afghanistan-Einsatz gerade auch - das klingt so furchtbar banal und ist trotzdem so entscheidend - vom Ende her denken. Das erfordert eine Klarheit hinsichtlich der Ziele, eine klare Ansprache dessen, was wir erreichen wollen, und eine entsprechend tief gehende Diskussion. Vor allen Dingen müssen wir noch deutlicher festlegen, wie und unter welchen Umständen wir diesen Einsatz auch beenden können. Ich werde mich dafür einsetzen, dass hier ein klarer Rahmen definiert wird. Das erwarten die Menschen in unserem Lande von der politischen Führung, und auch die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz dürfen von uns erwarten, dass wir uns hier klar sind.

Deshalb trete ich auch und gerade international für die Festlegung klarer Benchmarks, wie man das heute neudeutsch nennt, ein. Wir werden auch unsere nationalen Grundlagen und Strukturen angehen, wenn wir über die Koordinierung und über die Führung unseres Gesamtengagements sprechen. Das schließt im Übrigen die eigentlich selbstverständliche Erkenntnis mit ein, dass die Bundeswehr alleine nicht für die Erreichung unserer Ziele und die Lösung der jeweiligen Probleme sorgen kann.

Es ist also gut und richtig, dass wir im Zuge der heutigen Diskussion über das Mandat ISAF, über den Einsatz, gerade auch diese Vernetzung miteinander diskutieren. Es reicht jedoch nicht, immer nur den Blick auf einen Teil zu richten. Wir müssen ressortgemeinsam handeln. Ich kann nur sagen: Die Art, wie wir uns miteinander abstimmen, stimmt mich sehr zuversichtlich, dass die jeweils beteiligten Ressorts den Afghanistan-Einsatz als eine gemeinsame Aufgabe ansehen und dieser gemeinsamen Aufgabe auch mit aller Kraft und unter Bündelung aller Anstrengungen nachgehen.

Dieses Ziel ist klar formuliert: Wir wollen, dass die Afghanen bald selbst in der Lage sind, für ihre Sicherheit zu sorgen. Das ist das, was wir "Übergabe in Verantwortung" nennen. Die Übergabe in Verantwortung ist übrigens nicht mit einer Exit-Strategie gleichzusetzen, mit der ein Enddatum gesetzt wird. Es zeugt nur von einer begrenzten Weisheit, ein Enddatum zu setzen, weil wir damit, wenn wir sagen: "Zu diesem oder jenem Zeitpunkt soll der letzte Soldat Afghanistan verlassen haben", im Grunde eine Steilvorlage für all jene liefern, die die Destabilisierung Afghanistans weiterhin zum Ziel haben. Von daher ist es wichtiger, Zielmarken zu setzen - auch Zielmarken für den Beginn der Übergabe von Verantwortung - und diese Zielmarken klar zu definieren. Von Afghanistan darf keine Gefahr mehr für die internationale Sicherheit ausgehen.

Wir sprechen gerne über Aufständische, und wir sprechen in dem Zusammenhang gerne auch darüber, dass der Konnex zur internationalen Sicherheit gesucht werden muss; das ist richtig. Wahrscheinlich muss man auch noch etwas genauer hinblicken und prüfen, ob jeder, den wir bisher unter "aufständisch" subsumiert haben, jemand ist, der die internationale Sicherheit gefährdet, oder ob man an der einen oder anderen Stelle auch klarere Trennlinien ziehen muss.

Wir müssen es verhindern, dass Afghanistan wieder zum Ruhe- und Rückzugsraum für den internationalen Terrorismus wird. Es gibt weiterhin klare Gefährdungen: auch durch terroristische Maßnahmen und damit auch mit Blick auf unser Land. Kollege Ströbele, ich habe auf die Konsequenzen hingewiesen, und ich habe diese Konsequenzen nicht einem Medium mitgeteilt, sondern den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, weil ich finde, dass sich das so gehört. Das ist der erste Schritt.

Zum Zweiten habe ich zu Beginn gesagt - Sie haben sicherlich genau zugehört; davon gehe ich bei Ihnen grundsätzlich aus -, dass ich meine Bewertung auf der Grundlage des COMISAF-Berichtes abgegeben habe. Das war der einzige Bericht, der mir - wann war das? - ein paar Tage nach Amtsantritt vorlag. Ich werde selbstverständlich auch selbst eine Neubewertung der Fälle auf der Grundlage der Berichte, die mir in einer Gesamtschau gegeben sind, vornehmen. Auch das gehört sich, Herr Kollege. Ich glaube, damit sind die beiden Fragen entsprechend beantwortet.

Deutschland ist weiterhin der drittgrößte Truppensteller in Afghanistan. Das wird gelegentlich vergessen. Wir tragen die Verantwortung für einen großen Teil des Nordens Afghanistans. Es geht um eine Region - daran kann man gelegentlich erinnern -, die halb so groß ist wie Deutschland, in der rund 35 Prozent der afghanischen Bevölkerung leben. Die Stabilität und die Wirtschaftskraft dieser Region sind wichtig für ganz Afghanistan. Es lohnt auch gelegentlich, an den Aspekt Wirtschaftskraft einer Region zu erinnern. Auch das gehört in den Gesamtkontext mit hinein.

Wir führen das Regionalkommando Nord und stellen dort maßgebliche Unterstützungsleistungen in den Bereichen Führung, Führungsunterstützung, Lufttransport, Sanitätsdienst, Sanitätsdienstlogistik sowie Aufklärung. Wir betreiben zwei der sogenannten PRT im Norden, namentlich in Kunduz und in Faizabad. Man darf an der Stelle auch sagen, dass sich in den letzten Monaten die Situation in Faizabad vergleichsweise positiv entwickelt hat, wohingegen bekannt ist, dass sich um Kunduz herum die Sicherheitslage signifikant verschärft hat und wir auch immer damit rechnen müssen, dass angesichts der Versorgungsrouten die laufende Situation nicht zwingend an jedem Ort einfacher werden muss.

Wir beteiligen uns maßgeblich an der Ausbildung der afghanischen Streitkräfte. Eines der Schlüsselelemente zu einem Erfolg wird weiterhin gerade dieser Ausbildungsaspekt sein: Training, Training, Training, damit man die Übergabe an entsprechend ausgebildete Sicherheitskräfte stattfinden lassen kann.

Daneben stellt die Bundeswehr Feldjäger zur Unterstützung der Polizeiausbildung im Einsatz. Auch die Polizeiausbildung bleibt eine wichtige Säule. Wir müssen hier weiterhin auch mit den europäischen Partnern alle Kraft daransetzen, dass die Polizeiausbildung in dem Umfang gewährleistet werden kann, den wir uns in seinen Höchstgrenzen vorstellen.

Seit dem Jahr 2002 unterstützen wir den Aufbau der "Drivers and Mechanics School" der afghanischen Streitkräfte in Kabul. Aus dieser Schule wächst mit unserer Unterstützung die Logistikschule der Armee auf. Wir werden uns auch weiterhin mit der "Afghan Defence University" und der Pionierschule noch stärker in der Schullandschaft der Streitkräfte engagieren. Auch das ist ein wichtiger Punkt.

Für unser Ziel selbsttragender Stabilität investieren wir in dem Sinne noch intensiver in die Ausbildungsunterstützung. Im kommenden Jahr werden innerhalb des Mandates und der Mandatsstruktur, die wir heute vorschlagen, noch mehr deutsche ISAF-Soldaten als Ausbilder der afghanischen Streitkräfte tätig sein.

Ich will auch darauf hinweisen - das ist schon mitgeteilt worden -, dass ich zur Verstärkung unserer Truppe die Verlegung einer Infanteriekompanie nach Kunduz angewiesen habe. Diese Kräfte geben dem militärischen Führer vor Ort eine Handlungsfreiheit dahin gehend zurück, dass zusätzlich eine entsprechende Sicherheitskomponente gewährleistet werden kann, sodass die Durchhaltefähigkeit gewährleistet werden kann, was in dieser Provinz derzeit von größter Bedeutung ist.

Wir werden dann den deutschen Beitrag im Rahmen des internationalen Gesamtengagements in Afghanistan aufgrund der Ergebnisse der internationalen Afghanistan-Konferenz einer erneuten Prüfung unterziehen und dort, wo es nötig ist, auch unter der notwendigen Befassung des Deutschen Bundestages Anpassungen vornehmen. Was erforderlich ist, soll getan werden. Aber das kann erst im Lichte der Afghanistan-Konferenz und im Lichte der nächsten Schritte gesehen werden.

Ich will allerdings in Ergänzung zu dem, was Kollege Westerwelle bereits festgestellt hat, auch sagen: Der Rhythmus, der dadurch vorgegeben wird, dass wir zum einen wohl am 1. Dezember die Rede des amerikanischen Präsidenten zu erwarten haben und zum anderen bereits am 7. Dezember - sehr ehrgeizig - eine NATO-Truppenstellerkonferenz stattfinden soll, wird uns nach meiner beziehungsweise unserer Überzeugung nicht dazu bringen, zum 7. Dezember sofort und nacheilend Vorschläge auf den Tisch der internationalen Gemeinschaft zu legen. Wir wollen eigene Impulse geben. Wir wollen unseren strategischen Ansatz deutlich machen. Wir lassen uns deswegen nicht in ein Zeitkorsett zwängen. Das haben wir den Partnern schon mitgeteilt. Ich glaube, wenn wir hier eine eigene, klare Handschrift erkennen lassen und deutlich machen, wie wir im Rahmen des vernetzten Ansatzes Afghanistan so in die Lage versetzen wollen, dass eine Verantwortungsübergabe möglich ist, dann ist eine klare und gute Grundlage gelegt.

Ich darf Sie alle um Unterstützung der Verlängerung dieses ISAF-Mandates bitten.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 119-2 vom 26.11.2009
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,
zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz der
Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF)
unter Führung der NATO vor dem Deutschen Bundestag am 26. November 2009 in Berlin
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, D-10117 Berlin
Telefon: 01888 / 272 - 0, Telefax: 01888 / 272 - 2555
E-Mail: InternetPost@bundesregierung.de
Internet: http://www.bundesregierung.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2009