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REDE/878: Thomas de Maizière zur Beteiligung deutscher Streitkräfte am AWACS-Einsatz, 23.03.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, zur Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan vor dem Deutschen Bundestag am 23. März 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das ist meine erste Rede als neuer Bundesminister der Verteidigung. Bevor ich zur Sache spreche, möchte ich Ihnen gerne sagen, wie ich es auch schon im Ausschuss getan habe, dass ich dem ganzen Hohen Haus insbesondere in all den sensiblen Fragen der Sicherheitspolitik auch meinerseits eine offene, konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit anbiete. Ich hoffe, dass sie auch von allen erwidert wird.

In Afghanistan sind bereits seit weit vor 2011 nationale AWACS-Flugzeuge unserer Partner, vor allem der Vereinigten Staaten von Amerika, im Einsatz. Um diese wichtige operative Fähigkeit 24 Stunden am Tag im Einsatz nutzen zu können, unterstützen seit dem 15. Januar dieses Jahres darüber hinaus auch NATO-AWACS des multinationalen Verbandes aus Geilenkirchen diesen Einsatz - derzeit ohne deutsche Beteiligung.

Dieser 24-Stunden-Einsatz hat sich bewährt. Wir wollen ihn fortsetzen. Ohne deutsche Beteiligung wäre dies jedoch nur beschränkt durchhaltefähig. Wie hier richtig vorgetragen worden ist, würde das ab irgendeinem Zeitpunkt im April, Mai oder Juni gelten. Vor dem Hintergrund der Libyen-Vorgänge gilt das aber jetzt erst recht.

Sie finden in dem Mandatsantrag dazu kein Wort, weil die Entscheidung, um die wir den Deutschen Bundestag bitten, auch aus sich heraus sinnvoll ist. Auch ohne die Entwicklung in Libyen wäre es sinnvoll und nötig, den AWACS-Einsatz in Afghanistan zu beschließen. Ich höre aus den Wortmeldungen der Sozialdemokraten, dass das jedenfalls ein wichtiger Teil der Sozialdemokratie ebenfalls so sieht.

Aufgrund der Entwicklung in Libyen ist es nun aber erst recht richtig, dies so zu beschließen; denn wenn AWACS am Mittelmeer - und niemand weiß, wie lange die Auseinandersetzung geht - noch lange beziehungsweise dauerhaft gebraucht wird, benötigen wir eine tatsächliche fachliche Entlastung der NATO-AWACS. Ohne die Deutschen kann man auf Dauer nicht in Libyen und in Afghanistan gleichzeitig sein. Wenn sich der Einsatz am Mittelmeer länger hinziehen sollte, brauchen wir eine wirkliche Entlastung für NATO-AWACS. Deswegen ist es richtig, die Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS in Afghanistan zu beschließen.

Selbst wenn es nicht nötig wäre, so ist es doch - das will ich nicht in Abrede stellen - ein politisches Zeichen der Bündnissolidarität, dass wir dies gerade jetzt anbieten.

Herr Erler, ich habe Ihr Angebot zur konstruktiven Zusammenarbeit durchaus zur Kenntnis genommen. In einem Punkt möchte ich Ihnen aber widersprechen. Sie haben von einem schnöden einseitigen Abzug der AWACS aus dem Mittelmeerraum gesprochen. Der Abzug geschieht deswegen, weil dies die Verfassungsrechtslage so vorsieht. Speziell zu AWACS gibt es ein Verfassungsgerichtsurteil. Danach wird der Einsatz von AWACS ab dem Moment, in dem Aufklärungsmaterial von den AWACS für einen operativen Einsatz mit militärischem Hintergrund eingesetzt wird, mandatspflichtig.

Deswegen ist das kein schnöder einseitiger Abzug, sondern es ist die Konsequenz aus unserer verfassungsrechtlichen Lage. Das mag man bedauern, aber so ist es nun einmal.

Der Außenminister und ich mussten am Freitag und Samstag - niemand wusste, wie der Beschluss des NATO-Rats ausfallen würde - darüber entscheiden, ob wir erstmalig im Laufe dieser Debatten von dem Instrument der Eilentscheidung Gebrauch machen. Diese Eilentscheidung hätte beinhaltet, dass die AWACS im Mittelmeerraum bleiben können, falls am Freitag oder Samstag ein Operationsplan und eine Executive Directive, also die Ausführung, beschlossen worden wären. Ich hätte sehen wollen, was Sie gesagt hätten, wenn wir Sie erst im Anschluss an eine solche Entscheidung um ein Mandat gebeten hätten. Das Theater im Bundestag hätte ich erleben mögen. Dann hätten Sie zu Recht Kritik geübt.

Nun ein Wort zu den Schiffen. Es ist richtig, dass wir die entsprechenden Schiffe im Mittelmeer seit heute Morgen nationalem Kommando unterstellt haben. Leicht ist mir das nicht gefallen. Aber auch das ist eine Konsequenz aus der Rechtslage. Wenn die NATO einen Operationsplan beschließt, was wir nicht verhindert haben, und es anschließend sofort durch die Executive Directive zur Ausführung kommt, die das Waffenembargo vorsieht, wenn also exekutive Maßnahmen mit Zwangscharakter greifen, dann unterliegt der Einsatz dieser Schiffe ab dieser Sekunde der Mandatspflicht. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Deswegen mussten wir in dieser Sekunde die Schiffe nationalem Kommando unterstellen.

Man kann vor dem Hintergrund der Entwicklung darüber diskutieren, ob dafür ein Mandat geschaffen werden muss. Aber es ist nicht kritikwürdig, dass wir sie in dieser Nacht zurückgezogen haben. Das hat unsere verfassungsrechtliche Lage verlangt.

Richtig ist, dass die bisherige Umsetzung des im Juli 2009 gefassten Beschlusses des Bundestages zum Einsatz der NATO-AWACS in Afghanistan nicht ruhmreich ist. Es ist nicht schön, wenn trotz der Zustimmung des Deutschen Bundestages die Umsetzung nicht erfolgt, weil man keine Überflugrechte hat; das ist wahr. Das Problem ist inzwischen beseitigt. Es gibt in Konya in der Türkei eine Stationierungsbasis, und es besteht die Möglichkeit einer Zwischenlandung in Masar. Frau Abgeordnete Hoff, ich schließe nicht aus, dass die Maschinen irgendwann dauerhaft in Masar stationiert werden können; denn acht Stunden Flug, Zwischenlandung und all das sind doch recht mühsam. Das ließe das Mandat, um dessen Zustimmung wir bitten, auch zu. Aber zunächst ist es wichtig und geboten, dem Mandat zuzustimmen und es umzusetzen.

Der Auftrag lautet in der Tat: Erstellung eines Luftlagebildes und Unterstützung bei der Durchführung von Operationen der ISAF-Kräfte, auch der Bodenkräfte. Sie haben danach gefragt, was das konkret bedeutet. Wir haben darüber im Verteidigungsausschuss bei der Anberatung eben schon diskutiert. Eben wurde das Stichwort "close air support" in dem Zusammenhang genannt. Auch beim Herausholen von verletzten Soldaten mit Sanitätsflugzeugen und Ähnlichem hilft die Koordinierungstätigkeit mithilfe von AWACS. Das heißt, dieser Auftrag dient auch dem Schutz deutscher Soldaten und ist deswegen nicht kritikwürdig, sondern dringend zustimmungsbedürftig.

Zum Auftrag gehören darüber hinaus die Entflechtung von Luftverkehrsbewegungen einschließlich der Koordinierung des militärischen Luftverkehrs unter Berücksichtigung ziviler Luftraumnutzer, die Koordinierung der Luftbetankung und die Relaisfunktion für Kommunikations- und Datenaustausch. Im Übrigen entspricht das Mandat also unverändert dem vom Juli 2009, dem Sie damals zugestimmt hatten. Deswegen können Sie ihm hoffentlich, unabhängig von den Begleitumständen, auch jetzt zustimmen.

Wir haben, auch in der Bundesregierung, über die Obergrenze diskutiert. Dafür ist ein gesondertes Mandat notwendig. Es endet zeitgleich mit dem normalen ISAF-Mandat, also im Januar 2012. Deswegen hätte man die dafür erforderlichen Zahlen ebenfalls gesondert beschließen können. Aber im Blick auf die gemeinsam verabschiedete NATO-Strategie, auf die Obergrenze und auf die gemeinsame Entwicklung einer Abzugsperspektive haben wir uns entschlossen, dass das Mandat sich im Rahmen der für den Einsatz beschlossenen Obergrenze einschließlich der Reserve bewegen muss. Das ist auch eine Geste an die, die sich schwertun, dem Mandat zuzustimmen. Es ist wahr, dass die Reserve zum Teil anders begründet worden ist. Angesichts der bestehenden Lage ist uns aber bei der Abwägung das Einhalten der Obergrenze, auch als Signal an die deutsche Öffentlichkeit, wichtiger, als an der bisherigen Begründung der Reserve festzuhalten.

Wir sagen aber - das finden Sie im letzten Absatz der Begründung -, dass wir auf die Reserve nur im Fall der tatsächlichen Inanspruchnahme der AWACS-gebundenen Soldaten zurückgreifen wollen und darüber hinaus nur, wie in dem Verfahren besprochen, nach vorheriger Konsultation.

Das ist der Grund, warum wir sagen: "Jawohl, es ist ein gesondertes Mandat; aber wir bleiben bei der Obergrenze." Dies muss, wird und soll in die insgesamt verabredete Afghanistan-Strategie einbezogen werden.

Der Grund für die Dringlichkeit ist von mir vorgetragen worden; ich halte ihn für richtig. Wer dem Einsatz zustimmen möchte, weil er ihn im Hinblick auf Afghanistan für richtig hält, soll das tun. Wer ihm nur wegen der Entlastung im Zusammenhang mit Libyen zustimmen möchte, soll das tun. Wer es aus beiden Gründen tut, liegt doppelt richtig. Ich bitte herzlich um Zustimmung.


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Quelle:
Bulletin Nr. 31-2 vom 23.03.2011
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière,
zur Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS
im Rahmen der internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan vor dem Deutschen Bundestag am 23. März 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2011