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SICHERHEIT/142: Atomtestverbot praktisch durchgesetzt - Doch wo bleibt ein Atomwaffenverbot? (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. September 2014

Abrüstung: Atomtestverbot praktisch durchgesetzt - Doch wo bleibt ein Atomwaffenverbot?

von Thalif Deen



New York, 1. September (IPS) - UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat den Internationalen Tag gegen Atomtests am 29. August genutzt, um auf die globale Bedrohung durch insgesamt 17.000 atomare Sprengköpfe hinzuweisen. Anstatt atomar abzurüsten verfolgten die Atomwaffenstaaten finanziell gesicherte und weitreichende Pläne, die bestehenden Arsenale zu modernisieren.

Ban zufolge lebt die Hälfte der Weltbevölkerung - das sind rund 3,5 Milliarden Menschen - nach wie vor in Ländern, die entweder im Besitz von Kernwaffen sind oder aber nuklearen Allianzen angehören. Abgesehen davon, dass im Jahr 2014 keine einzige Atomwaffe vernichtet worden sei, seien derzeit keine Verhandlungen über nukleare Abrüstung unterwegs.

Außerdem müssen noch immer acht Staaten - Ägypten, China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea Pakistan und die USA - den Vertrag über ein umfassendes Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) ratifizieren, damit dieser in Kraft treten kann. Doch dazu meinte Alyn Ware, Gründer und internationaler Koordinator des Parlamentarischen Netzwerks für nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung (PNND): "Auch wenn ich den Internationalen Tag gegen Atomtests unterstütze, halte ich die Frage der atomaren Abrüstung für wichtiger als die volle Ratifizierung des CTBT."

Wie er betonte, hält sich derzeit eine Art Gewohnheitsverbot, Atomwaffen zu testen. Es wird bisweilen von nur einem Land - Nordkorea - unterlaufen. Dass die anderen Nicht-Ratifizierer die Versuche wieder aufnehmen könnten, hält er, solange sich die politische Situation nicht gravierend verschlechtert, für unwahrscheinlich. "Deshalb sollten wir der Bedeutung von Atomwaffen mehr Aufmerksamkeit schenken als bisher."

Ware zufolge ist die Gefahr, dass Staaten Atomwaffen einsetzen, zwar relativ gering. "Wohl aber besteht das Risiko eines unabsichtlich herbeigeführten Nuklearkonflikts", warnte der in Neuseeland stationierte Anti-Atom-Aktivist und Mitbegründer des internationalen Abrüstungsnetzwerks 'Abolition 2000'.


Abrüstungspionier Kasachstan

Kasachstan gehört zu den wenigen Ländern, das atomar abgerüstet haben. So schloss es 1991 seine Atomversuchsstätte in Semipalatinsk und löste sein Nuklearwaffenarsenal auf, das damals mit mehr als 110 ballistischen Raketen und 1.200 nuklearen Sprengköpfen viertgrößte der Welt.

UN-Botschafter Kairat Abdrachmanow, der ständige Vertreter der Republik Kasachstan bei den Vereinten Nationen, erklärte gegenüber IPS, dass die Entscheidung seines Landes, aus dem Club der Atomstaaten auszuscheren, in erster Linie eine Frage des politischen Willens gewesen sei. Kasachstan sei nicht nur von der Sinnlosigkeit von Atomtests und Atomwaffen überzeugt, sondern sich ihrer katastrophalen Folgen für Mensch und Natur vollständig bewusst gewesen.

"Diese Versuche und die vielen Hunderte mehr, die in anderen Ländern durchgeführt wurden, haben ein nukleares Wettrüsten in Gang gesetzt und die MAD-Doktrin gestärkt", so Abdrachmanow. MAD ('verrückt') steht für 'mutually assured destruction' beziehungsweise 'gegenseitig zugesicherte Zerstörung'.

Wie UN-Generalsekretär Ban am Welttag gegen Atomtests erklärte, hatte er bereits mehrfach Gelegenheit, mit Überlebenden der Atomwaffen- und Atomwaffentests in Hiroshima, Nagasaki und in Semipalatinsk zu sprechen. Ihr Engagement für eine atomwaffenfreie Welt sollte allen anderen zum Beispiel gereichen.


Festhalten an Abschreckungsdoktrin

Die nukleare Abrüstung gehört Ban zufolge zu den ältesten Zielen der UN und wurde bereits 1946 in der ersten Resolution der UN- Vollversammlung thematisiert. Die Doktrin der nuklearen Abschreckung habe überlebt und sei nach wie vor fester Bestandteil der Sicherheitsstrategien aller Atomwaffenwaffenstaaten und deren Verbündeter - trotz der zunehmenden weltweiten Sorge über die humanitären Folgen einer einzigen gezündeten Atomwaffe geschweige denn eines regionalen oder globalen Atomkriegs.

Die derzeit fünf im Atomwaffensperrvertrag (NPT) anerkannten Atomwaffenstaaten sind gleichzeitig die fünf ständigen Mitglieder des für Frieden und Sicherheit zuständigen UN-Sicherheitsrats (P5) USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland. Hinzu kommen vier inoffizielle Atomstaaten: Israel, Indien, Nordkorea und Pakistan. Allerdings gilt Nordkorea als unsicherer Kandidat, denn fest steht derzeit nur, dass das Land Atomtests durchgeführt hat.

Ware erklärte gegenüber IPS, dass die Folgen von Atomtests für Mensch und Natur eine Vorstellung davon gäben, was auf die Menschen im Fall eines Atomwaffeneinsatzes zukäme. Dies habe Länder wie Kasachstan zur Einrichtung des Internationalen Tages gegen Atomtests als Plattform für die Förderung einer atomwaffenfreien Welt veranlasst. "Und es hat die Marschallinseln zu diesem unglaublichen David-gegen-Goliath-Verfahren vor dem Internationalen Gericht in Den Haag veranlasst."

Im April hatten die Marschallinseln die neun Atomwaffenstaaten vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag und in einem weiteren Verfahren vor dem US-Bundesgerichtshof wegen Nichteinhaltens ihrer vertraglich eingegangenen Abrüstungszusagen verklagt. Tatsächlich verpflichtet Artikel 6 des NPT die fünf offiziellen P5-Atommächte dazu, "in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle".

Die Marschallinseln halten einen alljährlich stattfindenden Erinnerungstag am 1. März ab, um der radioaktiven Verseuchung durch 'Operation Castle' zu gedenken. Operation Castle war eine Serie von Atomtests, die der Gemeinsame Einsatzverband der USA ab März 1954 auf dem Bikini-Atoll im Pazifik durchführte. Tausende Menschen sind an den Folgen der schweren Verstrahlung gestorben, die tausendfach stärker gewesen sein soll als die Strahlung der Hiroshima-Bombe. Insgesamt zündeten die USA von 1946 bis 1962 67 Atombomben im Zuge des nuklearen Wettrüstens mit Russland im Kalten Krieg über dem Atoll im Pazifik.

So wie auch im Fall Hiroshima haben sich die USA nicht bei den Marschallinseln entschuldigt, sondern sich lediglich darauf beschränkt, ihre "Trauer" über das von ihnen verursachte Leid zum Ausdruck zu bringen. Abacca Anjain Maddison, eine ehemalige Senatorin der Marschallinseln, meinte diesbezüglich zu IPS, dass die USA noch immer der Meinung seien, dass einige wenige Menschen im Interesse der Sicherheit vieler geopfert worden seien.

Der Vorstoß der Marschallinseln hat den internationalen Abrüstungsbemühungen zwar mehr Gewicht verliehen. Doch Ware zufolge wird sich die Doktrin der nuklearen Abschreckung halten, solange das Vertrauen in die Fähigkeit, Konflikte auch ohne die Androhung von massiver Gewalt zu lösen, nicht gestärkt werde. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/08/ban-on-nuke-tests-ok-but-wheres-the-ban-on-nuke-weapons/

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IPS-Tagesdienst vom 1. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2014