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SICHERHEIT/144: Nahost - Atomwaffenfreie Zone in weiter Ferne (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. September 2014

Nahost: Atomwaffenfreie Zone in weiter Ferne

von Thalif Deen


Bild: © Bomoon Lee/IPS

Von einer atomwaffenfreien Zone Nahost ist die Welt noch weit entfernt
Bild: © Bomoon Lee/IPS

New York, 12. September (IPS) - Nach vier langen Verhandlungsjahren hängt der Vorschlag einer atomwaffenfreien Zone Nahost nach wie vor in der Schwebe und könnte sogar völlig in der Versenkung verschwinden. Doch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, ein unermüdlicher Verfechter für nukleare Abrüstung, will ihm zum Durchbruch verhelfen.

"Ich bin auch weiterhin fest entschlossen, eine Konferenz über die Einrichtung einer von Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen freien Zone Nahost einzuberufen", versicherte er in seinem Jahresbericht für die bevorstehende, am 16. September anlaufende 69. Sitzung der UN-Vollversammlung. Eine solche Zone sei von "größter Wichtigkeit" für die Integrität des Atomwaffensperrvertrags (NPT).

"Atomwaffenfreie Zonen tragen dazu bei, die Bemühungen um nukleare Abrüstung und nukleare Nicht-Verbreitung zu stärken und die regionale und internationale Sicherheit zu fördern", meinte er. Bisher sind Zentralasien, Afrika, die Mongolei, Südasien, der Südpazifik, Lateinamerika und die Karibik, die Antarktis und der Weltraum vertraglich geregelte atomwaffenfreie Zonen.

Doch die politischen Konflikte in Nahost, die zur Destabilisierung des Iraks, des Jemens, Syriens, Libyens und Palästinas geführt haben, tragen zur Unterminierung des langjährigen Vorschlags für eine atomwaffenfreie Zone in dieser Unruheregion bei. Der auf der NPT-Revisionskonferenz 2010 mandatierte Vorschlag zugunsten einer Konferenz über eine atomwaffenfreie Zone Nahost dürfte, wenn überhaupt, kaum vor der Anfang 2015 geplanten Revisionskonferenz prosperieren. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre nach Ansicht von Abrüstungsaktivisten die Konferenz selbst gefährdet.

Finnland, das mit seinem Angebot, die Zusammenkunft auszurichten, eine aktive Rolle im Kampf für eine atomwaffenfreie Zone Nahost einnehmen wollte, sieht sich durch den Widerstand der USA gegen die Konferenz ausgebremst. Washington befürchtet, dass sich die Veranstaltung auf die Forderung nach einer nuklearen Abrüstung Israels einschießen könnte. Israel ist der wichtigste Nahost-Verbündete Washingtons.


"Neue Möglichkeiten"

Hillel Schenker, Ko-Redakteur des 'Palestine-Israel Journal' mit Sitz in Jerusalem, erklärte gegenüber IPS, dass es zwar danach aussehen könnte, dass der jüngste Krieg zwischen Israel und dem Gazastreifen die Durchführung der Konferenz noch unwahrscheinlicher gemacht habe. Tatsächlich jedoch böten sich dadurch, dass Ägypten als Organisator und Faszilitator bei den Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien eine wichtige Rolle gespielt habe und weiter spielen werde, neue Möglichkeiten.

Im Zusammenhang mit der letzten Runde der Gewalt habe sich zwischen Ägypten, Israel, Jordanien, Saudi-Arabien, den Golfstaaten und der von Präsident Mahmud Abbas geführten palästinensischen Autonomiebehörde ein gemeinsames, gegen die radikal-palästinensische Hamas gerichtetes strategisches Interesse herauskristallisiert, das sich auch auf die Bedrohung durch die fundamentalistisch-islamistischen Kräfte im Irak und Syrien übertragen lasse.

"Die inoffizielle Allianz schafft Möglichkeiten für die Entwicklung eines neuen regionalen Sicherheitsverständnisses", meinte der Journalist. Eine solche Entwicklung würde Initiativen jenseits der Feuerpause und eine Wiederaufnahme von ernsthaften Verhandlungen erforderlich machen, um den gesamten israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen.

Rob Rigg, ein ehemaliger Vorsitzender des Neuseeländischen Nationalen Beratungsausschusses, erklärte gegenüber IPS, dass es bereits viele Versuche gegeben habe, eine Konferenz über eine waffenfreie Zone Nahost abzuhalten. "Alle haben zu nichts geführt, insbesondere weil eine regionale atomwaffenfreie Zone eine unter internationaler Aufsicht durchgeführte Zerstörung der israelischen Atomwaffen bedeuten würde."

Für Israels ersten Regierungschef Ben Gurion hatte die atomare Aufrüstung seines Landes oberste Priorität genossen, wie Rigg, ein überzeugter Atomwaffengegner und ehemaliger Redakteur bei der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW), betonte. Und auch heute noch nähmen Atomwaffen eine Schlüsselrolle in der nationalen Sicherheitspolitik ein.

Rigg zufolge fehlt die Grundlage für bedeutende Abrüstungsgespräche. So müsse Israel zunächst formell den Besitz von Atomwaffen bestätigen. "Die westlichen Regierungen, die Israel geholfen haben, den nuklearen Weg einzuschlagen, haben das Problem verkompliziert, indem sie sich an dieser Verschwörung des Schweigens über israelische Atomwaffen beteiligen", meinte Rigg und erinnerte daran, wie der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter von US-Politikern und den Medien massiv attackiert worden war, nachdem er erklärt hatte, dass Israel Atomwaffen besitzt.


NPT gefährdet

Laut Alice Slater, der New Yorker Leiterin der 'Nuclear Age Peace Foundation' und Mitglied des Koordinationskomitees von 'Abolition 2000', hat UN-Chef Ban in der ersten Septemberwoche zu Recht darauf hingewiesen, dass ohne die Bereitschaft, die Konferenz für eine atomwaffenfreie Zone Nahost abzuhalten, der Atomwaffensperrvertrag obsolet sei. Der 1970 in Kraft getretene NPT verbietet die Weitergabe beziehungsweise den Erwerb von Kernwaffen und verpflichtet die Atomwaffenstaaten zu nuklearer Abrüstung.

Dazu gehört, dass die Vertragsstaaten Gespräche über wirksame Maßnahmen vorantreiben, die das atomare Wettrüsten möglichst bald beenden. Außerdem sieht der NPT die vollständige atomare Abrüstung unter internationaler Aufsicht vor. Mit Ausnahme von Israel, Indien und Pakistan haben alle Atomwaffenstaaten - einschließlich China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA - das Abkommen unterzeichnet.

Nach Meinung von Hillel Schenker wird die Konferenz ohne die aktive Mitwirkung der USA nicht einberufen. Wie immer auch die Kongresswahlen im November ausfallen würden - Staatspräsident Barack Obama habe dann noch zwei weitere Amtsjahre, um seinen Nachlass als Präsident zu regeln, sich des Friedensnobelpreises als würdig zu erweisen und die Vision, die er 2009 in seiner Prager Rede von einer "Welt ohne Atomwaffen" heraufbeschworen hat, voranzubringen.

Wie Schenker weiter betonte, hat der UN-Generalsekretär rechtzeitig darauf hingewiesen, dass ein Nicht-Zustandekommen der Konferenz über eine atomwaffenfreie Zone Nahost Anfang 2015 "die Möglichkeiten der Staaten, die Operationsfähigkeit des (NPT-) Abkommens zu überprüfen, beeinträchtigen, den Vertragsprozess unterminieren und die damit einhergehenden Nichtverbreitungs- und Abrüstungsziele gefährden werde".


Arabische Friedensinitiative nutzen

Wie er weiter erklärte, könnte die Arabische Friedensinitiative (API), die von der Arabischen Liga auf ihrem Gipfeltreffen in Beirut 2002 gestartet worden war, dazu genutzt werden, um den Prozess voranzubringen. Die API stellt Israel die Anerkennung und Normalisierung der Beziehungen zu allen arabischen Ländern in Aussicht. Voraussetzung wäre das Ende der israelischen Besatzung der Palästinensergebiete und die Einrichtung eines Palästinenserstaates unter Einbeziehung des Westjordanlandes, des Gazastreifens und Ostjerusalems. Darüber hinaus hält der Experte die API für einen guten Ausgangspunkt, um eine neue regionale Initiative für Frieden und Sicherheit auf den Weg zu bringen.

Die Einberufung einer internationalen Konferenz, wie sie von der NPT-Revisionskonferenz 2010 verfügt wurde, könnte, wenn sich alle Seiten von einer weisen Diplomatie leiten ließen, eine der Komponenten sein, die diesen neuen Friedens- und Sicherheitsplan nach vorne beförderten, zeigte sich der Journalist überzeugt. Die neue strategische 'Allianz' in der Region könnte als Ausgangspunkt dienen, um die Konferenz einzuberufen, so Schenker.

Ein erfolgreiches Ergebnis der Verhandlungen über das iranische Atomprogramm hätte ebenfalls das Potenzial, die Konferenz über eine atomwaffenfreie Zone Nahost zustande zu bringen.

Slater erklärte gegenüber IPS, dass sie die Aussichten auf Erfolg auf der bevorstehenden NPT-Revisionskonferenz für gering halte. Auch sei unklar, was aus dem stiefkindlich behandelten und oft in Misskredit gebrachten NPT werden solle.

"Es lässt sich nur sehr schwer kalkulieren, ob der jüngste katastrophale Krieg zwischen Israel und dem Gazastreifen dazu führen wird, dass sich an der Weigerung Israels, an der versprochenen Nahostkonferenz teilzunehmen, etwas ändern wird." Umso mehr bestehe die Notwendigkeit, die vielversprechende neue Initiative, ein rechtsverbindliches Atomwaffenverbot auszuhandeln, zu unterstützen, nachdem die Welt chemische und biologische Waffen verboten habe, fügte sie hinzu. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/09/mideast-nuclear-weapons-free-zone-remains-in-limbo/

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IPS-Tagesdienst vom 12. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2014