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SICHERHEIT/168: Nahost - Neues Wettrüsten nach Atomabkommen mit dem Iran (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Juli 2015

Nahost: Neues Wettrüsten nach Atomabkommen mit dem Iran

von Thalif Deen


Bild: © Simmo Simpson/OGL-Lizenz

Militärübung, bei der ein kuwaitisches F18-Hornet-Kampfflugzeug die HMS St. Albans, eine Fregatte vom Typ 23 der königlichen Marine angreift
Bild: © Simmo Simpson/OGL-Lizenz

NEW YORK (IPS) - Das in diesem Monat mit dem Iran erzielte Atomabkommen droht einen neuen Rüstungswettlauf in der Region Nahost mit konventionellen Waffensystemen in Gang zu setzen.

Die USA denken derzeit über die Lieferung weiterer Waffen an enge Verbündete wie Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) nach. Damit soll möglichen Versuchen Teherans gegengesteuert werden, ihre Waffenarsenale mit Hilfe von Geldern aufzustocken, die durch die Aufhebung der Sanktionen gegen den Mullah-Staat freigesetzt werden.

In allen sechs Mitgliedstaaten des Golfkooperationsrats (GCC) sind Sunniten in der Mehrheit, während im Iran schiitische Muslime in der Übermacht sind.

Einem Zeitungsbericht zufolge zieht die Regierung von US-Präsident Barack Obama zudem in Erwägung, den alljährlichen zinsfreien Kredit für Israel, der in den letzten Jahren hauptsächlich für den Ankauf US- amerikanischer Waffensysteme verwendet wurde, zu erhöhen. Die Maßnahme sei als eine Art Trostpreis für Israel gedacht, das den Atomdeal mit dem Iran als "historischen Fehler" bezeichnet hatte.


Atomare Nichtverbreitung, doch Aufrüstung mit konventionellen Waffen

Wie Natalie J. Goldring, führende Wissenschaftlerin des Programms für Sicherheitsstudien an der 'Edmund A. Walsh School of Foreign Service' der Georgetown-Universität, ausführt, wird das Nuklearabkommen einerseits Bemühungen um die atomare Nichtverbreitung stärken, andererseits die Gefahr einer gefährlichen Verbreitung konventioneller Waffen in Nahost erhöhen. So gebe es bereits Bemühungen, aus dem Vertrag vom 14. Juli waffentechnisch Kapital zu schlagen.

Wie immer werde auch diesmal argumentiert, die Waffen für Nahost und Israel dienten der Verteidigung, so Goldring. "Doch gegen wen müssen sie sich eigentlich verteidigen? Und wer profitiert davon? Wer zieht einen militärischen Vorteil daraus?"

Der 'New York Times' zufolge verfügt der Iran über einen Rüstungsetat, der nur ein Zehntel der Militärbudgets der sunnitischen Staaten und Israels ausmacht, rechnet man deren Budgets zusammen. Außerdem ist unter dem Atomdeal vorgesehen, dass die langjährigen Sanktionen, die den Transfer größerer konventioneller Waffen, Raketen und Raketensysteme an den Iran verbieten, über weitere Jahre fortbestehen.

Die New York Times hatte ebenfalls berichtet, dass die arabischen Golfstaaten 130 Milliarden Dollar jährlich für Verteidigungszwecke ausgeben. Der Iran investiert rund 15 Milliarden Dollar. Israel wiederum gibt etwa 16 Milliarden Dollar aus. Hinzu kommt der Drei-Milliarden-Dollar-Militär-Kredit.

Laut Nicole Auger, einer auf Rüstungsausgaben spezialisierten Analystin des führenden US-Rüstungsforschungsunternehmens 'Forecast International', trifft die Analyse der New York Times ins Schwarze. Die Golfstaaten und Israel verfügten über eine militärische Stärke, der der Iran nicht gewachsen sei. Auch seien die hochmodernen westlichen Waffensysteme den veralteten des Irans haushoch überlegen. Israel und alle sechs GCC-Länder seien mit hochmodernen Kampfjets ausgestattet, die mehrheitlich aus den USA stammten.

Israels Luftwaffe verfügt über F-16-Kampfjets, während Saudi-Arabien mit F-15-Kampfjets und Mehrzweckkampflugzeugen des Typs 'Eurofighter Typhoon' ausgestattet ist. Die VAE besitzen F-16- und Boeing F/A-18C-Kampfflieger. Katar wiederum ist im Besitz von französischen Dassault-Mirage 2000-5-Flugzeugen, die gegen modernere Rafale-Kampfflugzeuge ausgetauscht werden sollen.

Der modernste Kampfflugzeugtyp, über den der Iran verfügt, ist die MiG-29. Sie war Anfang der 1990er Jahre in den Golfstaat geliefert worden. Der Rest der Luftflotte besteht aus alten US-unterstützten F-14-, F-4- und F-5-Kampfflugzeugen sowie aus von Russland gelieferten S-24-Kampfjets und F-IAD-Bombern aus der Schmiede des französischen Flugzeugherstellers 'Dassault Aviation'. Die meisten Waffensysteme seien unbrauchbar, weil der Iran aufgrund der US-, EU- und UN-Sanktionen keinen Zugang zu erforderlichen Ersatzteilen habe, berichtete Auger.

Goldring zufolge haben die USA, China, Frankreich, Großbritannien Russland und Deutschland ein Abkommen mit dem Iran zustande gebracht, das die Entwicklung von Atomwaffen durch Teheran erschweren wird. Es verringere zudem die Wahrscheinlichkeit eines US-iranischen Krieges.

Die Nahoststaaten mit modernsten US-Waffensystemen weiter hochzurüsten, hält Goldring jedoch angesichts der schlechten Menschenrechtslage und der politischen Instabilität in den Empfängerstaaten für keine gute Idee. Die neuen Rüstungsgeschäfte bergen zudem die Gefahr, dass US-Militärvertreter vor dem Kongress erscheinen und mit der Begründung, die USA müssten waffentechnisch im Vorteil sein, weitere Gelder für neue Waffensysteme fordern.


Altbekannte Taktik

"Wir kennen diese Taktik schon. Ein solcher Ansatz ignoriert die Gefahren, die mit solchen Waffenlieferungen verbunden sind. Es besteht das Risiko, dass sich unsere Streitkräfte am Ende mit unseren eigenen Waffen konfrontiert sehen", erläuterte sie. "Dass im Zuge des Atomabkommens mit dem Iran die Lieferungen konventioneller Waffen zunehmen könnten, ist vor allem für die Rüstungsindustrie, nicht für uns, ein gutes Geschäft."

Es sei längst an der Zeit, dieses klassische Verhaltensmuster der US-Regierung zu durchbrechen, Lieferungen konventioneller Waffen als Verhandlungsmasse zu missbrauchen. "Nahöstliche Staaten sollten ihre Waffenarsenale eher abspecken als sie noch mehr zu füllen", fügte Goldring hinzu. (Ende/IPS/kb/24.07.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/07/mideast-arms-build-up-negative-fallout-from-iran-nuclear-deal/

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IPS-Tagesdienst vom 24. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2015

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