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WISSENSCHAFT/1013: In Bewegung - Innovationen im deutschen Wissenschaftssystem (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 127/März 2010
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

In Bewegung

Innovationen im deutschen Wissenschaftssystem


Die deutschen Hochschulen befinden sich im Umbruch. Zahlreiche Neuerungen wie die Bologna-Reform oder die Exzellenz-Initiative haben das Wissenschaftssystem verändert. Manches ist gelungen, vieles wird heftig kritisiert. Andrea Lietz-Schneider und Kerstin Schneider sprachen mit Dagmar Simon und Andreas Knie über die Innovationsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems.


Frage: Neuerungen im Wissenschaftssystem - das war lange Zeit ein heikles Thema. Schließlich gilt das deutsche System als verstaubt, hierarchisch und starr...

Simon: Das deutsche Wissenschaftssystem ist in den letzten 10 bis 15 Jahren erheblich in Bewegung geraten. An fast allen Stellschrauben ist gedreht worden. Das betrifft Steuerungs- und Koordinationsinstrumente wie Evaluationen, aber auch neue Finanzierungsmodi, die wettbewerbliche Elemente verstärken. Es geht aber auch um Personalentwicklung - lange Zeit ein Fremdwort. Beispielsweise sind in letzter Zeit die Postdocs als wichtige Statusgruppe entdeckt worden, für die neue Förderprogramme wie das Emmy-Noether-Programm aufgelegt wurden. Das Problem ist eher, dass man jetzt überlegen muss: Wie passt das eigentlich alles noch zusammen, und wo will man hin?

Knie: Das System in Deutschland wird durch die Überlappung von ganz unterschiedlichen Logiken geprägt. Wir haben einerseits neue Steuerungselemente, die aus der Betriebswirtschaft kommen. Auf der anderen Seite bleibt das alte, starre System erhalten. Man kann das ganz gut bei der Verbeamtung sehen. Die verbeamteten Professoren über Stimuli zu mehr Leistung zu bringen, kommt einer Paradoxie gleich. Das gilt auch für die Universität: Nahezu alle Hochschulen sind noch nach kameralistischen Methoden organisiert; sie werden vom Staat praktisch als eine ausgelagerte Behörde betrachtet. Neuerdings sollen sich diese Universitäten aber als entrepreneurial universities, als Unternehmen verstehen. Das sind Dinge, die einfach nicht zusammenpassen. Das führt im Alltag zu großen Verwirrungen.

Frage: Nun haben wir dieses System, das schon von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich funktioniert. Dann gibt es Innovationen, die sich ganz verschieden auswirken. Immer wieder sind da Anreize, die leider verpuffen - und das alles heißt Innovation?

Simon: Ich weiß gar nicht, ob sich generell von Innovation sprechen lässt. Ich würde das eher neutraler formulieren. Denn ob daraus einmal Innovationen werden, wird sich zeigen - da muss man erst einmal fünf, sechs Jahre abwarten. Die Exzellenz-Initiative ist dafür ein schönes Beispiel. Innovation hat ja immer auch etwas mit Reversibilität zu tun. Man muss im Grunde genommen ein paar Mechanismen einbauen, um sagen zu können: Dies hat sich vielleicht nicht so bewährt.

Frage: Mit welchen Adjektiven würden Sie das Wissenschaftssystem denn im Jetzt-Zustand beschreiben?

Knie: Unübersichtlich, hybride, unaufgeräumt, irritiert. Das kann man als positiv, aber auch als gefährlich bewerten. Das Wissenschaftssystem ist seit längerem in eine Art Säkularisierungsphase eingetreten. Früher war Wissenschaft eigentlich nicht begründungspflichtig. Heute gibt es Konkurrenz; andere Akteure sind ebenfalls zu Wissensproduzenten geworden. Wichtige Denkanstöße oder Positionspapiere kommen immer mehr von Unternehmensberatern oder privaten Stiftungen. Das Wissenschaftssystem muss heute viel mehr tun, um in diesem Markt zu bestehen und um öffentliche Gelder erfolgreich konkurrieren zu können.

Simon: Das Wissenschaftssystem ist ganz gut mit einer großen Baustelle mit vielen dezentralen Bauleitungen zu vergleichen, die auch alle notwendig sind. Aber bei der Koordination dieser dezentralen Bauleitungen gibt es noch einen Bedarf an neuen, intelligenten Lösungen.

Frage: Brauchen wir einen Masterplan für das Wissenschaftssystem?

Knie: Eine alte, grundlegende Frage in der Wissenschaftsforschung ist: Wer steuert eigentlich was? Die Wissenschaft behauptet immer, sie steuert sich am besten selbst. Wenn sie genug Freiheit und Geld hat, ist sie am produktivsten. Aber es mehren sich die Stimmen, die sagen, dass dies nicht mehr zeitgemäß ist. Der Staat muss als Mittelgeber stärker kontrollieren, ob bestimmte Ziele erreicht und die Mittel angemessen und zweckdienlich ausgegeben werden.

Simon: Der Bund muss sich in Sachen Wissenschaft und Forschungspolitik darüber klar werden, was seine eigentlichen Aufgaben sein können. Es gibt ja Institutionen wie den Wissenschaftsrat, wo bereits vieles zwischen Vertretern von Bund, Ländern und Wissenschaft koordiniert wird. Möglicherweise kann diese Art von Koordination eine stärkere Rolle einnehmen. Sie ist für mich ein Beispiel, wie die Abstimmung zwischen Bund, Ländern und den Interessen der wissenschaftlichen Communities gut koordiniert werden kann.

Frage: Was kann uns der Blick ins Ausland lehren?

Simon: In Bezug auf Europa muss man sehen, dass bestimmte Länder bereits Vorreiter sind, etwa bei der Nachwuchsförderung. Systematische Doktorandenförderung ist beispielsweise von den Niederlanden schon länger betrieben worden. Schwedische Universitäten wiederum können mehr oder weniger autonom entscheiden, welche Disziplinen sie weiter betreiben können. Da stellt sich dann aber die Frage: Was kann oder muss der schwedische Staat machen, wenn etwa mangels Nachfrage das Fach Germanistik nicht mehr en vogue ist? Wie geht man mit der relativ großen Autonomie der Hochschulen um, wenn andererseits bestimmte Fächergruppen durch Moden oder aufgrund finanzieller Restriktionen auf einmal verschwinden? Das sind dann wieder die gleichen Probleme wie in Deutschland.

Knie: Man kann eigentlich zwei Typen von Wissenschaftssystemen unterscheiden. Das Humboldt'sche System geht von einer nicht begründungspflichtigen und sehr autonomen Wissenschaft aus. Deutschland, Frankreich, Österreich und die Schweiz haben ihre Wissenschaftssysteme nach diesem Prinzip aufgebaut. Der zweite Typ, das angelsächsische System, ist wesentlich offener, dynamischer und auch leistungsorientierter. Es wird mittlerweile - das muss man klar sehen - von immer mehr Ländern adaptiert.

Frage: Der Druck nimmt also zu - wie lassen sich dann hierzulande Räume für Innovation schaffen?

Simon: Innovationspotenziale sind gerade in den Übergängen vorhanden, wenn beispielsweise Grundlagenforscher mit Projektentwicklern zusammenarbeiten. Jenseits des Mottos "Wir machen vorrangig dies oder vorrangig jenes" gibt es schon seit vielen Jahren auf der Ebene der Forschungs- und der Entwicklungsarbeit Kooperationen. Diese gehen weit über die institutionellen Dächer der wissenschaftlichen Einrichtungen hinaus und durchbrechen Abgrenzungen im Hinblick auf Themen und Forschungsorientierungen. Aber - und dazu trägt die Exzellenz-Initiative bei - es geraten jetzt auch die institutionellen Formen unter Druck. Neue Formen der Kooperation entstehen. Das Karlsruhe Institute of Technology ist ein Beispiel dafür.

Frage: Gibt es eigentlich eine Art innovativen Forschertyp?

Knie: Die Idee, dass man Forscher und Unternehmer zugleich sein kann, ist eine ganz alte. Es gab immer Innovation, selbst im starren deutschen Wissenschaftssystem: Alois Riedler, der 1899 als Rektor der Technischen Hochschule Berlin die Promotionsrechte für die Technischen Hochschulen erkämpft hat, war eigentlich Unternehmer. Er ist dem Ruf nach Berlin nur gefolgt, weil er seine vielen Firmen weiter betreiben konnte. Diesen Typus von Entrepreneur gibt es in vielen akademischen Einrichtungen. Aber er wird durch das deutsche Hochschulsystem nicht professionell gefördert, das - leider typisch für Deutschland - von einem Menschen immer eine definitive Entscheidung verlangt: Sind Sie jetzt Wissenschaftler, oder sind Sie Unternehmer? Bitte entscheiden Sie sich! Wir müssen lernen, dass es Übergangsformen gibt. Man kann sich heute überlegen, Unternehmer zu sein, aber in sechs Jahren zurück in die Wissenschaft zu gehen. Nur gibt es für dieses Hin und Her hierzulande keine Räume, keine Praktiken - und keine Berufsbilder.

Simon: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nicht auf entfristeten Stellen oder auf Professuren berufen sind, müssen sich sowieso entrepreneurhaft verhalten. Sie müssen sich also ihre eigenen Drittmittel beschaffen, neue Stellen suchen oder möglicherweise auch mal eine kleine Firma gründen und hierzu die entsprechenden Kompentenzen erwerben. Aber da ist eine weitere Paradoxie im deutschen System: Deutsche Hochschulen sind immer noch sehr hierarchisch aufgebaut, was unternehmerisches Handeln nicht gerade befördert. Hier am WZB bilden wir mittlerweile auch Kompetenzen etwa im Projektmanagement oder in der Öffentlichkeitsarbeit aus: als training on the job oder als Weiterbildung für die jüngeren Wissenschaftler. Bei den Forschern, die das WZB verlassen, zeigt sich auch: Es bleiben nicht alle im Wissenschaftssystem, sondern einige gehen in die Politikberatung oder in die Wirtschaft.

Knie: Man hatte sich in Deutschland immer vorgestellt, man bildet an Hochschulen Leute aus, die wieder an Hochschulen gehen. Dass dies aber nur ein kleiner Markt ist, das wird jetzt auch in Deutschland langsam begriffen. Das bedeutet: Jeder muss lernen, sich einerseits innerhalb der wissenschaftlichen Community zu bewegen, aber auch zu schauen, wo er sein Wissen noch zu Markte tragen kann. Dadurch können sich dann wieder Rückflüsse für die Disziplinen entwickeln. Das wird aber - nehmen wir mal die Soziologie - im Moment in Deutschland systematisch nicht gesehen. Es gibt viel soziologisches Wissen, das in unternehmerische Innovationen einfließt, nur geht es der akademischen Disziplin verloren, weil es nicht dorthin zurückkommt.

Frage: Gilt diese Aussage für alle Disziplinen?

Simon: Nein, das ist von Disziplin zu Disziplin verschieden. In geisteswissenschaftlichen Fächern ist es viel schwerer als bei technik- oder ingenieurwissenschaftlichen. Es bleibt auch sinnvoll, dass man geschützte Räume für Grundlagenforschung hat.

Knie: Wir haben in unseren Forschungen herausgefunden, dass die wissenschaftlichen Disziplinen nach wie vor eine hohe Bedeutung haben. Sie disziplinieren im wahrsten Sinne des Wortes. Sie kanonisieren das Wissen, sie entscheiden, was legitimes Wissen und was nicht legitimes Wissen ist. Und sie entscheiden, wer wofür Reputation erhält. Reputation ist nach wie vor das größte Gut, die entscheidende Währung in einer wissenschaftlichen Karriere. Zum Professor oder zur Professorin wird auch heute nur berufen, wer diese Reputationsstrukturen bedient.

Frage: Und der neue Forschertyp, der sich aus der Wissenschaft nach draußen wagt...

Simon: ... findet nicht unbedingt Anerkennung. Entweder gehe ich den wissenschaftlichen Weg, oder ich versuche, ein Unternehmen zu gründen. Diese Idee, das auszuprobieren und für beide Systeme offen zu bleiben, ist zurzeit schwierig zu organisieren. Andererseits sollte man sich aber auch von dem Gedanken verabschieden, dass immer alle alles machen müssen. Es muss nicht jede Universität entrepreneurhaft werden; eine gewisse Ausdifferenzierung hat durchaus ihren Reiz. Wir haben immer die Vorstellung, alle müssen in dieselbe Richtung gehen, stattdessen sollten wir Optionsräume schaffen, die man dann weiterentwickeln kann.

Frage: Wir möchten gerne am Ende noch einmal auf den finanziellen Spielraum von Wissenschaftspolitik kommen. Gibt es den überhaupt?

Knie: Das Hochschulwesen, Universitäten wie Fachhochschulen, ist in Deutschland - gerade im internationalen Vergleich - unterfinanziert. Das kann man gar nicht oft genug wiederholen. Dagegen wird dann immer wieder argumentiert: Dafür fließt ja viel Geld in die außeruniversitäre Forschung. Aber dadurch wird schnell eine falsche Debatte losgetreten, in der es heißt, die außeruniversitäre Forschung müsse dann eben zugunsten der Hochschulforschung weniger bekommen. Wichtig bleibt stattdessen, mehr Geld in das gesamte System zu geben. Sicherlich müssen dabei mehr Synergien geschaffen bzw. Doppelförderungen vermieden werden. Und sicherlich wird man zukünftig mehr darüber nachdenken, wie man die staatlichen Förderungen mit privaten Forschungsmitteln besser als bisher kombinieren kann.


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 127, März 2010, Seite 23-25
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2010