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FRIEDEN/0982: Arbeitet die UNO Terroristen in die Hände? (SB)



Angriffe auf UN-Einrichtungen begleiten Israels Kriege seit jeher. Der Artilleriebeschuß des UN-Stützpunkts Kana während der Offensive im Südlibanon 1996, bei dem 106 Zivilisten ums Leben kamen, war ein besonders schlimmer Vorfall dieser Art. Bei weniger spektakulären Ereignissen im Libanon wie in den Palästinensergebieten kamen immer wieder UN-Mitarbeiter ums Leben, ohne daß dies jemals zu größeren diplomatischen Problemen für Israel geführt hätte.

Die ungestrafte Willkür, mit der die israelischen Streitkräfte nicht nur Libanesen und Palästinensern umbringen, sondern auch Mitglieder internationaler Organisationen attackieren, zielt durchaus darauf ab, Zeugen und Helfer vom Schauplatz der Kriege fernzuhalten, mit denen Israel seine arabischen Nachbarn behelligt. Die übliche Ausrede, daß von den UN-Einrichtungen aus auf israelische Truppen geschossen wurde, konnte im Falle der UN-Schule im Flüchtlingslager Jabaliya im Gazastreifen, bei deren Beschuß mehr als 40 Palästinenser ums Leben kamen, die dort Schutz gesucht hatten, nicht einmal 24 Stunden aufrechterhalten werden.

Während die Widerlegung der israelischen Schutzbehauptung keine weiteren Konsequenzen für die Angreifer hat, erfüllt der Beschuß von mit Hilfsgütern beladener LKW oder UN-Einrichtungen sowie die Behinderung der Arbeit von Rotkreuzhelfern den das Los der Palästinenser verschlimmernden Zweck, daß sich die internationalen Organisationen vom Kampfgebiet fernhalten. Dadurch wird der Zivilbevölkerung nicht nur die dringend benötigte Versorgung und medizinische Hilfe vorenthalten, das bereits gegen westliche Journalisten abgeschottete Gebiet wird damit auch von Zeugen freigehalten, die aufgrund ihres neutralen Status größere Glaubwürdigkeit genießen, als den betroffenen Palästinensern oder auch arabischen Journalisten zugestanden wird.

Der ehemalige sowjetische Dissident und ehemalige israelische Minister Nathan Sharansky sorgt in einem Meinungsbeitrag des Wall Street Journal für publizistischen Flankenschutz. Für ihn sind die Vereinten Nationen im Grunde genommen Helfer von Terroristen, könnten also nach Lesart der US-Regierung zum Ziel militärischer Maßnahmen erklärt werden:

"Jahrzehntelang hat die internationale Gemeinschaft aktiv dabei mitgeholfen, das einzigartige System der Kontrolle der Terroristen - darüber, wo und unter welchen Bedingungen Palästinenser leben, und darüber, was sie denken - aufzubauen, indem sie die Flüchtlingslager in Zentren der palästinensischen Kriegsmaschine verwandelt haben. Anstatt daran zu arbeiten, das Elend der Flüchtlinge zu lindern, haben die Vereinten Nationen eine ganze Agentur, UNRWA, damit beauftragt, es zu verlängern. Beim Rest der Flüchtlinge der Welt arbeiten die UN unermüdlich daran, ihre Bedingungen zu verbessern, sie zurückzusiedeln und ihnen dabei zu helfen, ihr Leben so schnell wie möglich wiederaufzubauen. Im Fall der Palästinenser machen die UN genau das Gegenteil, in dem sie den Urenkeln von 1948 umgesiedelten Personen Flüchtlingsstatus gewähren, indem sie nichts dafür tun, die Lager abzubauen, und indem sie als Mittler für das Ziel der Terroristen fungieren, eine ganze Zivilbevölkerung zu unterdrücken. Nirgendwo auf der Erde erhalten Terroristen so viel Hilfe von der freien Welt."
(Wall Street Journal, 06.01.2009)

Sharansky wirft den Vereinten Nationen darüber hinaus vor, der Hisbollah im Libanon ebenso wie den Palästinensern dazu verholfen zu haben, große Waffenarsenale anzulegen, als wollten sie sie ermutigen, sich auf den Krieg vorzubereiten. Die Vorwürfe dieses gefeierten Antikommunisten entbehren zwar jeder Seriosität, da es nicht die Verantwortung der Vereinten Nationen ist - wenn man einmal ihre Rolle beim Teilungsplan Palästinas außer Acht läßt, der allerdings kein Gegenstand der Kritik Sharanskys sein kann -, daß viele Palästinenser seit Gründung des Staates Israel in Flüchtlingslagern leben, doch in den USA verfangen solche Behauptungen durchaus. Im verengten Blickwinkel der Doktrin des Terrorkriegs werden selbst Frauen und Kinder zu ausführenden Organen des palästinensischen "Terrorismus", dessen "Kriegsmaschine" noch so unterlegen sein kann, als daß man ihn nicht zum primären Aggressor erklärte.

Wenn israelische Soldaten auf solche Weise indoktriniert werden, kann es nicht erstaunen, daß der Finger locker am Abzug liegt, wenn das Symbol der UNO in ihr Zielfernrohr gerät. Das gilt auch für das Publikum in den USA, denn Sharansky ist nicht irgendein israelischer Politiker. Die von Bush am 24. Juni 2002 gehaltene Grundsatzrede zum israelisch-palästinensischen Konflikt, die ganz im Zeichen seiner den Nahen und Mittleren Osten heimsuchenden Demokratisierungskampagne stand, soll wesentlich von diesem Autoren den Demokratismus der Neuen Weltordnung propagierender Werke beeinflußt gewesen sein.

Auf einer Konferenz am 20. Juni 2002 in Beaver Creek, Colorado, hatte Sharansky vor so prominenten Zuhörern wie US-Vizepräsident Richard Cheney, dem damals stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, dem neokonservativen Vordenker Richard Perle und anderen einflußreichen Mitgliedern des Washingtoner Establishments eine Rede gehalten, die als Blaupause für die Nahostrede Bushs gedient haben soll. Dabei forderte er, die arabische Welt von ihren Diktatoren zu befreien und die Entwicklung demokratischer Verhältnisse zur Vorbedingung eines Nahostfriedes zu erklären. Perle, der maßgeblich dafür verantwortlich war, daß Sharansky in Colorado auftreten konnte, behauptete später, dieser Gedanke sei tonangebend für die weiteren Diskussionen auf der Konferenz gewesen. Laut dem US-Nachrichtenmagazin Newsweek (15.07.2002) hat Sharansky den Ausschlag dafür gegeben, daß Bush den Palästinensern in sehr geringem Maße entgegenkam und die Absetzung Jassir Arafats verlangte. Was aus der damaligen Forderung des US-Präsidenten an die Palästinenser wurde, sich neue politische Institutionen zu verschaffen - die alten waren kurz zuvor bei einer Großoffensive Israels in den Autonomiegebieten des Westjordanlands zerstört worden -, ist an der von den USA ausgehenden Boykottierung der gewählten Hamas-Regierung zu studieren.

Nun ist der noch amtierende US-Präsident zwar fast Geschichte, doch an der bedingungslosen Unterstützung Israels ändert sich in Washington nichts, wie die gestern vom US-Senat verabschiedete Resolution zeigt, in der Israel praktisch bedingungslose Unterstützung gewährt wird. Dementsprechend beteiligten sich die USA nicht an der Verabschiedung der Resolution 1860, mit der der UN-Sicherheitsrat eine Waffenruhe im Gazastreifen anordnet. Man muß wohl davon ausgehen, daß die Vereinten Nationen auch in Zukunft immer dann, wenn sie nicht im Sinne der US-Geostrategie handeln, nicht nur von israelischen, sondern auch US-amerikanischen Politikern als potentielle Terrorhelfer angegriffen werden.

9. Januar 2009