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FRIEDEN/1020: Hamas wehrt sich gegen islamistische Unterwanderung (SB)



Die inzwischen offen zu Tage liegende Förderung der palästinensischen Hamas durch den Iran hat sich nicht bei allen Führern dieses Ablegers der ägyptischen Muslimbruderschaft ungeteilter Zustimmung erfreut. Hamas-Gründer Scheich Ahmad Jassin hat sich den Hilfsangeboten aus Teheran stets widersetzt, um fremder Einflußnahme auf seine Organisation vorzubeugen. Erst mit seiner Ermordung durch einen gezielten israelischen Angriff auf den im Rollstuhl sitzenden Mann und die sogenannten extralegalen Hinrichtungen weiterer Hamas-Führer aus seinem Umfeld änderte sich diese Politik. Jassins Nachfolger Khaled Meshal gilt als Wegbereiter der offenen Unterstützung der Hamas durch den Iran, die allerdings durch die massive Isolation der Partei und ihre damit ausbleibende Finanzierung durch andere Geldgeber begünstigt wurde (Neue Zürcher Zeitung, 06.08.2009).

Bis heute allerdings unverändert ist die Haltung der Hamas gegenüber Vertretern Al Qaidas. Annäherungsversuchen aus den Reihen dieser schattenhaften Gruppe, von der gutinformierte Kreise behaupten, daß es sie im Sinne einer funktionierenden Organisation gar nicht gäbe, hat sich die Hamas stets entschieden mit der Erklärung widersetzt, ihr ginge es ausschließlich um den nationalen Befreiungskampf und nicht darum, einen internationalen Krieg gegen die USA und ihre Verbündeten zu führen. Das hat die Geheimdienste der USA und Israels nicht davon abgehalten, immer wieder Gerüchte über eine Zusammenarbeit zwischen Hamas und Al Qaida in die Welt zu setzen.

Seit dem 11. September 2001 wird mit dem Begriff Al Qaida Terrorismus in grausamer und entgrenzter Reinkultur assoziiert. Wen immer man mit dieser im verkaufstechnischen Sinne der Polit-PR gut eingeführten und wertvollen Marke in Verbindung bringt, kann ohne große Umstände nach Maßgabe der Sondervollmachten antiterroristischer Strafverfolgung härtester Repression ausgesetzt werden. Das gilt auch für Parteien und Regierungen des Nahen und Mittleren Ostens, so daß die ihrerseits vornehmlich aus machtpolitischen Gründen als terroristisch eingestufte Hamas großen Wert darauf zu legen scheint, nicht auch noch mit diesem Brandmal gezeichnet zu werden.

Als nun der Führer einer fundamentalistischen Organisation namens Jihad al Salafi und Prediger einer Moschee in Rafah, Scheich Abdel Latif Moussa, in der Freitagspredigt die Gründung eines Islamischen Emirats in Gaza ausrief und forderte, die Sharia als einziges Gesetz einzuführen, kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen seinen Anhängern und den Sicherheitskräften der Hamas. Dabei wurden unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 16 und 22 Personen getötet, unter ihnen sechs Polizeibeamte der Hamas und ein elfjähriges Mädchen. 150 Personen wurden laut dem Gesundheitsministerium verletzt.

Laut der Hamas-Führung handelt es sich um die Niederschlagung eines bewaffneten Aufstands, der damit begann, daß Moussas Kämpfer vor seiner Moschee auf Hamas-Polizisten geschossen hätten. Moussa, über dessen Verbleib nichts bekannt ist, hatte nicht nur die Regierung der Hamas mit der Ausrufung eines Islamischen Emirats für illegal erklärt, sondern auch damit gedroht, Internet-Cafés niederzubrennen und gegen Menschen vorzugehen, die sich am Strand von Gaza zu freizügig kleiden. Da mehrmalige Versuche von Hamas-Vertretern, Moussa von seinen aufrührerischen Aktivitäten abzuhalten, nicht fruchteten und er über schwerbewaffnete Anhänger verfügte, beruft sich die Regierung in Gaza darauf, mit dieser Aktion Recht und Gesetz durchgesetzt zu haben (Al Jazeera, 15.08.2009).

Der Al Jazeera-Korrespondent in Gaza, Ayman Mohyeldin, erinnert in diesem Zusammenhang an die in Israel erhobenen Vorwürfe, laut denen Gaza zu einem Ziel- und Zufluchtsort für ausländische Kämpfer geworden wäre, die durch die Tunnel zwischen Ägypten und Gaza in das ansonsten hermetisch abgeschlossene Gebiet einreisten. Dies hat die Regierung in Gaza stets entschieden bestritten. Zwar soll Moussas Gruppe ihrer Aussage nach keinerlei Verbindungen zu ausländischen Organisationen unterhalten haben, dennoch dürfte die militärische Intensität, mit der ihren Aktivitäten nun ein Ende bereitet wurde, auch auf das Motiv zurückzuführen sein, den gegen die Hamas gerichteten Vorwürfen, mit Al Qaida oder anderen Terrorgruppen zusammenzuarbeiten, entgegenzutreten. Regierungssprecher Taher al Nounou behauptete allerdings auch, Moussa habe gute Beziehungen zum Sicherheitsapparat der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah unterhalten.

Wenn in der Berichterstattung über diesen Vorfall auf den autoritären Charakter der Regierung Gazas verwiesen wird, dann erinnert diese Lesart an die diplomatische Isolation der Hamas und die Aushungerung der Bevölkerung des Gazastreifens. Für ihren demokratischen Wahlsieg wurde die islamistische Partei samt der Bevölkerung Gazas auf eine Weise abgestraft, die jeder Kohärenz in der werteorientierten Logik westlicher Politik zuwiderläuft. Keine westliche Regierung ließe es überhaupt so weit kommen, bewaffnete nichtstaatliche Organisationen mit einer staatsfeindlichen Agenda zu dulden. Genaugenommen hat die Hamas mit der Bekämpfung der Jihad al Salafi eine Operation im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus durchgeführt, die dem hohen Gewaltpotential des Nahostkonflikts gemäß sehr blutig verlief. Da die Hamas in ihrer isolierten Lage stets befürchten muß, zum Ziel subversiver Unterwanderungsoperationen zu werden, scheint sie relativ leicht zu derartigen Reaktionen zu provozieren zu sein.

Sie unterscheidet sich damit allerdings nicht von der im Westen als alleinige palästinensische Regierung anerkannten Führung in Ramallah. Deren unter Aufsicht des US-Generals Keith Dayton stehenden Sicherheitskräfte haben bereits mehrere Mitglieder der Hamas im Westjordanland getötet und sind in der Bevölkerung aufgrund ihres brutalen Auftretens gefürchtet. Das Problem aller Palästinenser besteht nach wie vor zuerst in der äußeren Einschränkung ihres Lebens durch die israelische Besatzungspolitik. Daß militante Gruppen Zulauf haben, ist nicht das Produkt einer verwerflichen Gesinnung, die mit dem Islam so wenig zu tun hat wie etwa das Christentum mit dem kroatischem, spanischem oder italienischem Staatsterrorismus früherer Zeiten. Es ist Ergebnis der Unterdrückung elementarer Freiheiten und essentieller Lebenserfordernisse.

15. August 2009