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FRIEDEN/1081: Nation Building im Irak ... sozialer Krieg in Permanenz (SB)



Das Morden im Irak gehe zurück, melden die Nachrichtenagenturen. 3976 Zivilisten sind laut der britischen Organisation Iraq Body Count bis zum 25. Dezember 2010 im Irak umgebracht worden, 2009 waren es im gleichen Zeitraum noch 4680 Todesopfer. Im Verhältnis zu den vorherigen Jahren sei der Rückgang jedoch geringer ausgefallen, so daß die Organisation davon ausgeht, daß der Irak noch auf Jahre hinaus von einem blutigen Konflikt niedriger Intensität heimgesucht werde.

Der faktische Kriegszustand hielt Außenminister Guido Westerwelle nicht davon ab, mit einem Troß von Unternehmern in das am Boden liegende Land zu reisen, um dort endlich das bereits seit 2008 mit der irakischen Regierung vereinbarte Investitionsschutzabkommen unter Dach und Fach zu bringen. Das Sicherheitsproblem werde überbewertet, hieß es anschließend aus den gut gefüllten Reihen der Wirtschaftsdelegation, die Westerwelles Maxime, Außenpolitik vorrangig über wirtschaftliche Interessen zu definieren, in die Tat umsetzte. Die Voraussetzungen dafür, daß ausländische Investitionen vor den ökonomischen Interessen der irakischen Bevölkerung rangieren, daß die Renditeerwartungen der Investoren und Oligarchen gegen die Lebensqualität des Gros der Iraker ausgespielt werden, wurden mit der Eroberung des Landes durch die USA und ihre Verbündeten geschaffen. Niemals mehr sollte es zu einem Sündenfall wie der Nationalisierung der Erdölressource oder einer die Bewegungsfreiheit ausländischer Konzerne beschränkenden staatlichen Wirtschaftsplanung kommen, lautete der Subtext einer Kriegführung, über deren räuberische Motive geschwiegen wurde. Diesen zugute wurde die Legende von den irakischen Massenvernichtungswaffen über alle Plausibilität hinaus gedehnt und ein Aggressionskrieg gegen das Land geführt, der die verheerenden Zerstörungen des Jahres 1991 mit der Einnahme der Hauptstadt Bagdad und dem Sturz der Regierung Saddam Hussein krönte.

Daß dessen Grausamkeiten längst durch äußere Interventionen und innere Konfrontationen übertroffen wurden, paßt zur Subordination des Iraks unter westliche Kapitalinteressen wie die Faust auf das tränende Auge einer Bevölkerung, die seit Jahrzehnten Spielball der eigenen Oligarchie wie der globalen kapitalistischen Landnahme ist. Deutsche Unternehmen dürfen sich, nachdem die US-amerikanischen Besatzer unbeliebter denn je sind, Hoffnung auf einen Anteil an der Beute machen, der ihnen eigentlich nicht zugestanden werden sollte. Die Absicht der Kriegssieger, den Irak in einen Hort dauerhaft zu Gunsten ihrer Kapitaleliten sprudelnder Renditen zu verwandeln, scheiterte an einem Widerstand, der durch die Anzettelung ethnisch-konfessioneller Konflikte zwar seine Frontlinien veränderte, aber nichts an zerstörerischer Aggressivität verlor.

Die angeblichen Schutzmächte der Iraker kochen allesamt ihr eigenes Süppchen, das gilt für die USA und Britannien ebenso wie für den Iran und Deutschland. Auch die Vereinten Nationen könnten kaum ein schlechteres Ansehen im Irak haben als zu jener Zeit, als die irakische Bevölkerung durch das in ihrem Namen verhängte Wirtschaftsembargo stranguliert wurde. Die nun erfolgte Aufhebung der meisten Wirtschaftssanktionen, die 1990 nach dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait verhängt worden waren und die nach dem Golfkrieg 1991 auf lange Sicht fortgeschrieben wurden, um einen Regimewechsel in Bagdad zu bewirken oder das Land zumindest so sehr zu schwächen, daß es seiner vollständigen Eroberung keinen nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen hätte, war längst überfällig. Dafür, daß Millionen Iraker diese im Namen der internationalen Gemeinschaft, des Völkerrechts und der Menschenrechte erfolgende Maßnahme mit Hunger, Krankheit, Tod, mit akutem Mangel an Importgütern, der Blockade kultureller Entwicklung und der Negation politischer Selbstbestimmung bezahlten, will niemand mehr die Verantwortung übernehmen.

So kann am Beispiel des Iraks studiert werden, daß westliche Regierungen jeden hehren Grundsatz verraten, dessen sie sich in Abgrenzung zu despotischen Regimes rühmen, wenn es darum geht, den eigenen Ressourcennachschub und Warenabsatz, die eigenen Kapitalinvestitionen und Hegemonialinteressen sicherzustellen . Dieses seit 1990 als exemplarisches Labor einer besonders destruktiven Form des neoliberalen Strukturwandels fungierende Land belegt, daß die nachholende Entwicklung in der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems stets den Bedingungen seines Zentrums zu genügen hat. Machen sich einst dem westeuropäischen und US-amerikanischen Kolonialismus unterworfene Staaten auf, es den ehemaligen Herren gleichzutun, dann laufen sie Gefahr, mit der aggressivsten Form ihrer Produktivität konfrontiert zu werden. Diese dem eigenen Expansionsstreben inhärente Grausamkeit zu ignorieren fällt den Bevölkerungen der EU und USA spätestens dann auf die Füße, wenn der soziale Krieg Einzug in die eigene Gesellschaft hält.

1. Januar 2011