Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HEGEMONIE/1567: Ein weiterer Handlangerdienst des ICTY für die NATO (SB)



Die Urteile des Internationalen Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) gegen vier ehemalige Generäle der Jugoslawischen Volksarmee und den ehemaligen serbischen Vizepremier Nikola Sainovic belaufen sich auf ein Strafmaß zwischen 15 und 22 Jahren. Ihnen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen das Kriegsrecht angelastet, womit, wie das Gericht eigens erklärte, dokumentiert sei, daß die Belgrader Regierung im Frühjahr 1999 systematisch und organisiert gegen die Kosovo-Albaner vorgegangen sei. Dieser Behauptung gegenüber kann der Freispruch des ehemaligen serbischen Präsidenten Milan Milutinovic nur als taktisches Moment der Beschwichtigung verstanden werden. Entscheidend an den Urteilen, die kurz vor dem zehnten Jahrestag des Überfalls der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien gesprochen wurden, ist die darin enthaltene Legitimation dieses völkerrechtswidrigen Krieges.

Der eher als Apparatschik der damals regierenden Sozialisten und Parteigänger des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic geltende Milutinovic dürfte manchem noch von jenem Foto her in Erinnerung sein, auf dem der damalige Außenminister Joseph Fischer zu sehen ist, wie er den serbischen Präsidenten mit ausgestreckten Armen und Zeigefingern anklagend bedrängt. In Rambouillet, wo diese Aufnahme gemacht wurde, ging es um die Durchsetzung des nach dem Verhandlungsort in der Nähe von Paris benannten Abkommens. Dessen Geschichte legt Zeugnis davon ab, daß die NATO-Staaten unter allen Umständen einen Angriffsvorwand gegen Jugoslawien zu erwirtschaften trachteten [siehe dazu INFOPOOL - POLITIK - KOMMENTAR: HEGEMONIE/1368 und 1369]. Milutinovics Freispruch nach fünfjähriger Untersuchungshaft im ICTY-Gefängnis Scheveningen erfolgt ausdrücklich aufgrund dessen, daß es dem Tribunal nicht gelang, eine konkrete Befehlskette zur Ausführung begangener Kriegsverbrechen herzustellen.

Die Frage danach, ob es in der serbischen Provinz Kosovo überhaupt zur unterstellten massenhaften Vertreibung der albanischen Mehrheitsbevölkerung kam oder zumindest eine entsprechende Planung vorgelegen habe, ist, anders als dem jetzigen Urteil des ICTY zu entnehmen, wenn nicht ohnehin negativ zu beantworten, dann zumindest umstritten. Die angebliche Kriegsschuld Jugoslawiens ist für die NATO-Staaten nach wie vor von zentraler Bedeutung, weil der völkerrechtswidrige Angriffskrieg vor zehn Jahren nur unter dieser Bedingung überhaupt zu rechtfertigen ist.

So machen Kritiker der NATO seit jeher geltend, daß der innere Konflikt zwischen der Belgrader Zentralregierung und den separatistischen Kosovo-Albanern schon angesichts der Kriegsdrohungen der NATO und des Abzugs der OSZE-Beobachter vier Tage vor Beginn der Luftangriffe eskalierte. Diese internationalen Beobachter hatten Anfang des Jahres bestätigt, daß die Belgrader Regierung die Bedingungen des Holbrooke-Milosevic-Abkommens erfüllt hatte, die UCK jedoch die von der Jugoslawischen Armee geräumten Gebiete sofort wieder besetzte und so neue Kämpfe provozierte. Da die großen Fluchtbewegungen erst mit der Bombardierung des Kosovo durch die NATO einsetzten, gibt es praktisch keine Ermittlungsergebnisse offizieller neutraler Zeugen. Die Instrumentalisierung der Kosovo-Albaner durch die NATO hat zudem eine eigene Dynamik bei der Produktion von Kriegsgründen entfaltet, zu der sich dann noch Manipulationen wie der sogenannte Hufeisen-Plan, der die Planung einer Vertreibung der Kosovo-Albaner schon im November 1998 belegen sollte, gesellten.

Zu einem Freispruch Milutinovics wäre es nicht gekommen, wenn dem vom damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping ins Spiel gebrachten angeblichen Plan der jugoslawischen Regierung heute noch Beweiskraft zugebilligt würde. Zur Demontage dieses Kriegsvorwands trug der ehemalige General der Bundeswehr, Heinz Loquai, frühzeitig bei. Der von 1982 bis 1986 als Referent im Verteidigungsministerium beschäftigte Offizier war damals Mitglied der OSZE-Mission in Wien und dort als militärischer Berater im Stab für vertrauensbildenden Maßnahmen sowie für Abrüstungsfragen auf dem Balkan beschäftigt. In dieser Funktion war er auch für die OSZE-Beobachtermission im Kosovo zuständig, die die Einhaltung des Milosevic-Holbrooke-Abkommens vom Oktober 1998 überwachen sollte.

Einem von Loquai verfaßten Beitrag für die Sendung Streitkräfte und Strategien des Norddeutschen Rundfunks konnte man bereits am 22. Mai 1999, also noch während des am 24. März 1999 begonnenen Krieges, entnehmen:

"Man kann es dahingestellt sein lassen, ob es einen umfassenden festen Plan der jugoslawischen Führung zur massenhaften Vertreibung der Kosovo-Albaner tatsächlich gab. Das Bekanntmachen eines solchen Planes kurz nach Beginn der Luftangriffe könnte schon zu denken geben. Unbestreitbar ist aber: In keinem Lagevortrag, weder des Auswärtigen Amtes, des Verteidigungsministeriums, der NATO in Brüssel oder der OSZE in Wien ist vor dem 24. März von einer großangelegten, systematischen und planmäßigen Vertreibung die Rede gewesen. Noch am 18. März beschreibt das Auswärtige Amt die Lage wie folgt: Die Zivilbevölkerung werde in der Regel vor einem drohenden Angriff des jugoslawischen Militärs gegen UCK-Kämpfer gewarnt, allerdings sei die Flucht der Zivilbevölkerung vereinzelt durch lokale UCK-Kommandeure unterbunden worden. Das jugoslawische Militär werde nach Beendigung der Kämpfe rasch wieder abgezogen. Danach kehre die Bevölkerung meist in die Ortschaften zurück. Eine Massenflucht in die Wälder sei nicht zu beobachten, so der Bericht des Auswärtigen Amtes vom 18. März. Von Flucht, Vertreibung und Zerstörung im Kosovo seien alle dort lebenden Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen."

Die Unterstellung der planmäßigen Vertreibung der Kosovo-Albaner in Frage zu stellen und sie als zweckdienliches Konstrukt eines Militärbündnisses darzustellen, das in Belgrad einen Regimewechsel herbeiführen und die gegenüber der EU und den USA unabhängig auftretende Bundesrepublik Jugoslawien unter die eigene Kuratel stellen wollte, ist nach wie vor relevant. Das Urteil des ICTY bestätigt vor allem, daß das Gericht den NATO-Staaten weiterhin zuarbeitet, indem es die Kriegsschuld auf Seiten Jugoslawiens verortet, gegen den Aggressor NATO keine Ermittlungen aufnimmt, die Rolle der Kosovo-Albaner beim Zustandekommen dieses Krieges beschönigt und ihre militärischen Führer von der Bestrafung der dabei begangenen Verbrechen fast vollständig ausnimmmt.

An serbischen Bürgern des ehemaligen Jugoslawiens in den Sezessionskriegen begangene Verbrechen wie ihrem Exodus aus Westslawonien, der von August 1991 bis Anfang 1992 andauerte, oder die Vertreibung der 200.000 seit mehreren hundert Jahren in der Krajina siedelnden Serben im August 1995 wurden und werden nicht annähernd mit der gleichen Intensität verfolgt wie die angebliche ethnische Säuberung des Kosovo. Daß diese unter den Augen der NATO-Besatzer an rund 250.000 Mitgliedern nichtalbanischer Minderheiten schließlich unter maßgeblicher Beteiligung der separatistischen UCK vollzogen wurde, bleibt ein bis heute ignorierter Tatbestand.

Indem der UN-Sicherheitsrat das ICTY 1991 zur Verfolgung von Kriegsverbrechen auf dem Staatsgebiet des damaligen Jugoslawiens ermächtigte, obwohl er im Unterschied zur UN-Vollversammlung dazu nur unter sehr weitreichender Auslegung seiner Kompetenzen befugt war, schufen sich die dort vertretenen NATO-Staaten einen juristischen Handlungsarm, der seine Bewährungsprobe spätestens im Jugoslawienkrieg 1999 überzeugend absolvierte. Indem die damalige ICTY-Chefanklägerin Louise Arbour am 22. Mai 1999 Anklage gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, den serbischen Präsidenten Milan Milutinovic, den stellvertretenden serbischen Ministerpräsidenten Nikola Sainovic, den serbischen Innenminister Vlajko Stojiljkovic und den Generalstabschef der Jugoslawischen Armee, Dragoljub Ojdanic, erhob, tat sie den Angreifern den Gefallen, die Führung des angegriffenen Landes zu potentiellen Kriminellen zu erklären und damit für direkte Verhandlungen zur Beendigung des Krieges untragbar zu machen. Die Kriminalisierung einer Kriegspartei durch ein Gericht, das seine Existenz den Mitgliedern des Militärbündnisses zu verdanken hat, das diesen Krieg begonnen hat, war ein Akt der Instrumentalisierung des internationalen Rechts, der in seiner Perfidie seinesgleichen sucht.

Nun wurde mit dem Freispruch für Milutinovic und den Strafurteilen für Sainovic und Ojdanic pünktlich zu einem Termin, an dem der nach Maßgabe erwünschter Schuldzuweisung historisierende Blick der Mehrheitsmedien wohl ein letztes Mal ausführlicher auf diesen Krieg gerichtet sein dürfte, über drei der noch lebenden Angeklagten das Urteil gesprochen. Das ICTY hat sich einmal mehr darin bewährt, den Mitgliedstaaten der NATO einen Handlangerdienst zu gewähren, der deren Kriegführung gegen Jugoslawien und damit auch an anderen Orten der Welt legitimiert sowie die von der EU und den USA vollzogene Abtrennung des Kosovo von Serbien zu Lasten der Verlierer dieses Krieges gehen läßt.

[Zur vertiefenden Lektüre siehe auch die Buchrezensionen unter INFOPOOL - BUCH - SACHBUCH: REZENSION/117, 162, 182, 403]

27. Februar 2009