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HEGEMONIE/1593: NATO setzt auf Waffen anstelle von Argumenten (SB)



Das laufende Manöver der NATO in Georgien findet in einem Land statt, dessen Präsident alle Register zieht, um nicht von der Opposition aus dem Amt gejagt zu werden. Schon deshalb kann kaum von einer Routineangelegenheit gesprochen werden, wie es die NATO-Führung in Brüssel tut. Allein die von Michail Saakashvili in Umlauf gebrachte Verschwörungstheorie, ein Panzerbataillon habe auf russisches Betreiben am Dienstag, einen Tag vor Beginn des Manövers, einen Putschversuch gegen ihn unternommen, der sich zudem gegen die NATO richte, auf den Anschluß Georgiens an Rußland abziele und in Kooperation mit russischen Truppen vollzogen werden sollte, weist den georgischen Präsidenten als Hasardeur erster Güte aus.

So gab der Kommandant der bezichtigten Einheit, Mamuka Gorgishvili, an, seine Soldaten hätten in der Kaserne einen Sitzstreik unternommen, um gegen die inneren Unruhen im Land zu protestieren. Tatsächlich hat kein Soldat und kein Panzer die Kaserne in Mukhrowani nahe Tiblissi verlassen. Führende Mitglieder der georgischen Opposition deuten die unglaubwürdige Behauptung Saakashvilis denn auch als Versuch, mit Hilfe einer Inszenierung von seiner angeschlagenen Situation abzulenken und einen Vorwand zu produzieren, um mit harter Hand gegen seine Gegner vorzugehen. Die von ihm benannten Putschisten stehen allesamt dem Oppositionsbündnis nahe, so daß ihre Verhaftung bereits Bestandteil dieses Plans sein könnte.

Selbst in der westlichen Presse, die sich seit jeher für den NATO-Adepten Saakashvili verwendet, genießt dessen Putschtheorie wenig Glaubwürdigkeit. Dort verweist man statt dessen auf die angebliche Illegalität der Stationierung russischer Truppen in den separatistischen Gebieten Südossetien und Abchasien. In Moskau hält man dagegen, daß die dortige Anwesenheit eigener Truppen auf bilateralen Abkommen mit den Regierungen der Enklaven beruhe, die eine höhere Gültigkeit besässen als jene Zugeständnisse, die man bei dem von der EU vermittelten Waffenstillstand gegeben habe.

Die von deutschen Politikern und Journalisten vertretene Ansicht, daß Rußland sich ins Unrecht gesetzt habe, besitzt wenig Überzeugungskraft, weil die NATO-Staaten nämliches mit der einseitigen Abtrennung des Kosovo von Serbien getan haben. Damit hat man dem Kreml eine Steilvorlage zum Vorgehen in umstrittenen Gebieten ehemaliger Sowjetrepubliken gegeben. Die Mißachtung von Abkommen und Resolutionen gehört zum guten Ton expansiver Staaten und Militärbündnisse, daher kann der Versuch, die Regierung in Moskau des einseitigen Rechtsbruchs zu bezichtigen, kaum verfangen.

Das eigentliche Problem besteht denn auch darin, daß die NATO an Rußlands Südgrenze nach wie vor einen Gebietsgewinn machen will, dessen Realisierung durch den Augustkrieg in weite Ferne gerückt ist. Zwar steht der NATO-Beitritt Georgiens weiterhin auf der Agenda, aber schon die verzweifelten Versuche Saakashvilis, die NATO mit Hilfe halsbrecherischer Aktionen zu seiner Unterstützung regelrecht zu nötigen, belegen, mit welch hohem Risiko das Militärbündnis dort pokert. Wäre der Beitritt bereits vor dem August 2008 vollzogen gewesen, dann hätte die Regierung in Tiblissi nach damaliger Lesart des Konflikts den Bündnisfall einfordern können.

Zwar hat eine Untersuchungskommission der EU belegt, daß die von Saakashvili aufgestellte und im Westen kolportierte Behauptung einer russischen Aggression nicht zutrifft, sondern daß es sich um eine Aggression der georgischen Streitkräfte gegen Südossetien handelte, bei dem dort stationierte russische Friedenstruppen Verluste hinnehmen mußten. Die damalige Situation hätte jedoch ohne weiters zu einem Krieg zwischen der NATO und Rußland eskalieren können. Westliche Administrationen wie die Bundesregierung, die Georgien als strategisches Interessengebiet verstehen, haben also direkten Anteil daran, daß im Südkaukasus die elementare Gefahr einer katastrophalen Entwicklung virulent bleibt.

8. Mai 2009