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HEGEMONIE/1597: Das antislamische Ressentiment hat Zukunft (SB)



Der niederländische Rechtspolitiker Geert Wilders mag in Europa als Haßprediger verpönt sein, doch gerade darin liegt seine Bedeutung für die Wirkmächtigkeit neokonservativer Ideologeme im politischen Mainstream. Der große Erfolg der von ihm geführten Freiheitspartei (PVV) bei der EU-Wahl, die knapp 17 Prozent der Stimmen erhielt, damit zweitstärkste Kraft hinter der auf knapp 20 Prozent kommenden christdemokratischen Regierungspartei DCA des Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende ist und künftig mit vier Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten sein wird, ist vor allem Ausdruck einer massiven Feindseligkeit gegenüber Migranten im allgemeinen und Muslimen im besonderen.

Nicht nur darin zeigt sich die neue europäische Rechte als durchaus anschlußfähig an die liberale und konservative Mitte, die Freiheit und Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben hat, um den Ethos der kapitalistischen Klassengesellschaft über jeden Verdacht sinistrer Absichten erhaben zu machen. Die eigenen Bürger wie die Bevölkerungen anderer Länder sollen einem Vergesellschaftungskonzept unterworfen werden, das die Marktwirtschaft mit zivilreligiösem Dogmatismus und die neue Weltordnung mit HighTech-Waffen durchsetzt. Die mit dieser EU-Wahl erstarkte europäische Rechte gibt sich national und findet ihre Bündnispartner in den neokonservativen Kreisen der USA.

Diese sind keineswegs mit ihrem Präsidenten George W. Bush in der Versenkung verschwunden, sondern arbeiten wie schon zur Amtszeit Bill Clintons auf den nächsten Machtwechsel in Washington zu. Ihr durch die Schwierigkeiten, die die US-Streitkräfte im Irak hatten, bewirkter Machtverlust ist vorübergehender Natur, ist das große außenpolitische Thema ihrer Politik, die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens unter dem Vorzeichen US-amerikanischer Vorherrschaft, auch mit Barack Obamas Rede in Kairo keineswegs vom Tisch. Es wird lediglich auf andere Weise propagiert und mit anderen Mitteln in Stellung gebracht.

Der offene Antiislamismus eines Wilders mag im Zeichen des Versuchs, mit verbündeten arabischen Regierungen neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen, zur Zeit nicht besonders gefragt sein, doch wurde die gegen die mehrheitlich muslimischen Länder des Südens errichtete Front keineswegs zurückgenommen. Ihre derzeitige Verkürzung auf den Krieg in Afghanistan und Pakistan läßt sich als warnendes Beispiel für alle anderen verstehen, sich in der Bereitschaft Washingtons, den unter George W. Bush ausgerufenen "langen Krieg" weiterzuführen, nicht zu täuschen. Obamas Aufforderung, einen Schulterschluß mit den westlichen Hegemonialmächten zu bilden, ist die Drohung, bei Insistieren auf einen eigenständigen, gegen neokoloniale Interessen gerichteten Kurs andere Saiten aufzuziehen, immanent.

Dabei nehmen die neokonservativen Kräfte in den USA die Rolle des bösen Cops ein, die den guten Cop Obama für jedes Zugeständnis rechenschaftspflichtig machen. Ob er tatsächlich auf bessere Beziehungen mit der arabischen Welt aus ist oder von Anfang an einen strategischen Winkelzug geplant hat, ist angesichts der Meinungshegemonie, über die neokonservative Politiker nach wie vor verfügen, zweitrangig.

Die Schwierigkeiten, die dem US-Präsidenten bei der Schließung des Folterlagers Guantanamo bereitet werden, weisen darüber hinaus darauf hin, daß die eigene Partei keineswegs von einer Entschärfung in den Beziehungen zur arabischen und islamischen Welt überzeugt ist. Da Obama sich in seinem Kabinett von vornherein mit Ministern und Beratern umgeben hat, die eine offensiv gegen die Interessen der Menschen im Nahen und Mittleren Ostens gerichtete Außenpolitik favorisieren, liegt nahe, daß die Leitlinien seiner Kriegführung, ohne die keine US-Administration auszukommen scheint, auf lange Sicht denen seiner Vorgänger ähneln.

Kurz gesagt, auf keiner Seite des Atlantik wird sich im Verhältnis zu den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens im Sinne einer Rücknahme neokolonialistischer Praktiken viel ändern. Die mit der Ressourcenverknappung Hand in Hand gehende Wirtschaftskrise sorgt für die dazu erforderlichen Sachzwänge, und antiislamische Demagogen spielen die Musik einer vermeintlich vor intoleranten Übergriffen durch aggressive Kriegführung zu schützenden Lebensweise dazu. Wilders und Konsorten sind die Bannerträger eines durchaus einseitig ausgerufenen, da von Nordamerika und Westeuropa in die Länder des Südens getragenen und in seinem imperialistische Charakter kulturell larvierten Krieg, der in seinen zivilgesellschaftlichen Varianten als Abschottung der eigenen Grenzen gegen Armuts- und Kriegsflüchtlinge und repressive Maßnahmen gegenüber Asylbewerbern in Erscheinung tritt.

Daß Wilders bei einer Reise durch die USA im Februar von bekannten neokonservativen Vordenkern und Politikern hofiert, durch rechte Talkshows gereicht und sogar von den Herausgebern des Wall Street Journal empfangen wurde, (www.rawstory.com, 05.06.2009), zeigt, wie gesellschaftsfähig das antiislamische Ressentiment ist. Auch wenn man in der EU offiziell auf Distanz zu den Demagogen der neokonservativen Rechten hält, spielen diese in der EU eine nicht anders gelagerte Rolle als in den USA. Sie liefern unter Berufung auf Volkes Stimme die Vorwände, mit Hilfe derer die Parteien der Mitte ihre rassistische Programmatik adaptieren können. So lassen sich soziale Widersprüche wirksam gegen Menschen richten, die ihrerseits Opfer des expansiven Charakters kapitalistischer Verwertungslogik sind, um im Ergebnis zwei sich in ihrer Unverzichtbarkeit offensichtlich überschätzende Fliegen - den Lohnarbeiter und den Soldaten - mit einer Klappe zu schlagen - die erforderliche Entwicklung des Klassenantagonismus bleibt aus, statt dessen werden die darin gebundenen Energien für Siege im globalen Verteilungskampf mobilisiert.

8. Juni 2009