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HEGEMONIE/1631: Ahmadinejads Brasilienbesuch wirbelt mächtig Staub auf (SB)



Die bereits in der Bush-Ära praktizierte Strategie der Vereinigten Staaten, die Länder Lateinamerikas zu spalten, indem man mit der führenden Wirtschaftsmacht Brasilien das regionale Schwergewicht hofiert und auf die eigene Seite zieht, macht die Rechnung ohne den Wirt. Wenngleich die Regierung Präsident Luiz Inácio Lula da Silvas den Aufstieg in den Kreis der globalen Platzhirsche energisch vorantreibt, ist das nicht gleichbedeutend mit dem von Washington vorausgesetzten Vasallentum, das im Handlangerdienst für den größten Räuber seine Erfüllung findet. Brasília sucht Stärke in einer diversifizierten Bündnispolitik, die der leidvollen Erfahrung lateinamerikanischer Nationen Rechnung trägt, daß man im Frondienst des Hegemons gewährte Privilegien mit forcierter Ausbeutung und Abhängigkeit allzu teuer bezahlt.

Auf Eigenständigkeit beharrend, kollidiert die Positionierung Brasiliens vorerst zwar nur gelegentlich, doch nicht ohne hörbaren Knall mit den Mauern, welche die US-Doktrin in Verfolgung ihrer globalen Zugriffsentwicklung gezogen hat. Mit dem Iran im Würgegriff reagiert Washington empfindlich auf alle Initiativen, Teheran aus der aufgezwungenen Isolation zu befreien, indem man den Tabubruch nicht scheut und politische oder wirtschaftliche Beziehungen anbahnt. Der erste Staatsbesuch Präsident Mahmoud Ahmadinejads in Brasilien wirbelt denn auch enorm viel Staub auf, obgleich es sich keineswegs um einen Erstkontakt zwischen beiden Ländern handelt. Deren Handelsvolumen belief sich 2007 auf rund 2 Milliarden Dollar, wovon der Export brasilianischer Lebensmittel den Löwenanteil ausmachte. Zudem ist die staatliche Ölgesellschaft Petrobras mit der Erschließung iranischer Ölfelder betraut.

Brasilien hat die Diplomatie im Nahen Osten auf die Agenda ihrer außenpolitischen Ambitionen gesetzt, um sein internationales Profil zu schärfen und seine Ansprüche auf einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat zu untermauern. Die New York Times (23.11.09) zitiert Außenminister Celso Amorim mit den Worten, sein Land fange gerade erst an, sein Gewicht in den internationalen Beziehungen zu realisieren. Nicht Brasilien habe sich dem Nahen Osten zugewandt, sondern der Nahe Osten habe Brasilien gesucht. Präsident da Silva habe es sich zur Aufgabe gemacht, zwischen Israel und den Palästinensern zu vermitteln, und wer diesen Konflikt lösen wolle, müsse den Iran einbeziehen. Im Laufe der letzten zwei Wochen waren bereits der israelische Staatspräsident Shimon Peres und der Chef der Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, in Brasília zu Gast.

Nach der harschen Kritik an der Handhabung des Putsches in Honduras und der wachsenden US-amerikanischen Militärpräsenz in Kolumbien ist dies ein weiteres Signal an die Adresse Washingtons, daß die brasilianische Regierung durchaus willens und imstande ist, sich den Handlungsrahmen nicht diktieren zu lassen und im Zweifelsfall auf Konfrontationskurs zu gehen. Dabei kann sich Außenminister Amorim sogar darauf berufen, daß die Führer westlicher Länder, darunter auch Barack Obama, Präsident da Silva ermutigt haben, einen direkten und offenen Dialog mit dem Iran zu suchen und dabei insbesondere den Atomstreit zu thematisieren. Genau das werde man tun und Teheran die Vorzüge des brasilianischen Atomprogramms vor Augen führen, das verfassungsgemäß auf zivile Nutzung begrenzt ist. Als Wasserträger einer bestimmten vom Westen favorisierten Option sehe man sich dabei jedoch keineswegs, stellte Amorim klar.

Da die brasilianische Regierung vom Prinzip her konform mit den Wünschen der US-Administration geht, kann diese schlechterdings nicht offen gegen den Staatsbesuch Ahmadinejads zu Felde ziehen. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Ian C. Kelly, verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, daß alle Freunde und Verbündeten wüßten, daß dies ein kritischer Augenblick für den Iran sei. Brasilien werde hoffentlich eine konstruktive Rolle spielen und den Iran dazu bewegen, das Richtige zu tun und seine internationalen Verpflichtungen zu erfüllen.

Unverblümter drohte der Vorsitzende des Lateinamerikaausschusses im Repräsentantenhaus, Eliot L. Engel aus New York, der den Besuch des iranischen Präsidenten als einen schrecklichen Fehler bezeichnete. Brasilien verschaffe Ahmadinejad Legitimität, während die Welt darum ringe, Atomwaffen im Iran zu verhindern. Das mache überhaupt keinen Sinn und füge dem Ansehen Brasiliens schweren Schaden zu.

In dieselbe Kerbe schlagen diverse andere Kritiker wie etwa jüdische Gemeinden in São Paulo, Rio de Janeiro und Brasília, vor allem aber Politiker und Kommentatoren in den USA, die dem brasilianischen Präsidenten ankündigen, er ruiniere seine Reputation als Staatsmann, wenn er seinen eigenen Weg einschlage und sich nicht nach den Verbündeten richte, wenn es um vordringliche geopolitische Ziele gehe.

Zum Klimawandel oder auf Weltwirtschaftsforen dürfen sich die Brasilianer ruhig äußern, doch was wirklich wichtige Entscheidungen betrifft, sollen sie nicht aus der Reihe tanzen, lautet die anpassungsheischende Forderung im eigenen Land respektive die Drohung aus Richtung Washington. Wer sich mit den Führungsmächten anlegt, muß einen hohen Preis dafür bezahlen.

Selbst Mahmoud Abbas konnte sich nicht verkneifen, Präsident da Silva im Rahmen ihres Gespräches zu ersuchen, er möge auf die iranische Führung einwirken, ihre Unterstützung für die Hamas einzustellen. Allerdings räumte Abbas wie vor ihm schon Perez unumwunden ein, daß Brasilien als bedeutendes Land und sein Präsident Luiz Inácio Lula da Silva eine wichtige Rolle im Nahen Osten spielen können. Das soll in der Tat geschehen - jedoch weder unter dem Diktat jener Mächte, die den Konflikt entscheidend heraufbeschwören, noch der Maßgabe ihrer Forderungen, was unter einer akzeptablen Friedenslösung zu verstehen sei.

23. November 2009