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HEGEMONIE/1633: Obamas Exit-Strategie ein neokolonialistisches Manöver (SB)



Die angebliche Exit-Strategie, die US-Präsident Barack Obama am Dienstag in der Militärakademie West Point für Afghanistan vorstellte, überlebte die tags drauf erfolgte Senatsanhörung nicht. Dort mußten Außenministerin Hillary Clinton, Verteidigungsminister Robert Gates und der Oberste Stabschef, Admiral Michael Mullen, eingestehen, daß die von Obama entworfene Perspektive, nach 18 Monaten mit dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zu beginnen, von einer vorherigen Bewertung der Lage im Land abhängig gemacht wird. Wer immer hierzulande, wie etwa Politiker der Grünen, die vermeintliche Abzugsperspektive nutzt, um seine Zustimmung zur Verlängerung des Bundeswehrmandats für Afghanistan zu begründen, ist damit bereits aufgeflogen.

Äußerst unseriös ist auch die von Obama als einziger relevanter Kriegsgrund angeführte Behauptung, es gehe um die Zerstörung des Terrornetzwerks Al Qaida, das wiederum von den Taliban unterstützt werde. Al Qaida verfügt nach Erkenntnissen US-amerikanischer Sicherheitsbehörden über keine nennenswerte personelle und strukturelle Präsenz in Afghanistan, und die Taliban sind Bestandteil eines größeren Konglomerats von Besatzungsgegnern, von denen man nur eins sicher weiß - sie kämpfen gegen ausländische Truppen, die ihr Land angegriffen und okkupiert haben. Die zur besseren Glaubwürdigkeit auch in der Bundesrepublik erhobene Behauptung, die Taliban stellten eine terroristische Bedrohung Deutschlands dar, ist durch nichts gedeckt als die offenkundige Bemühung, eine solche Entwicklung durch die NATO-Aktivitäten in Afghanistan zu provozieren.

Was bleibt, ist die Ankündigung der weiteren Militarisierung der Besatzung, die mit entsprechenden Anforderungen an die anderen Truppensteller einhergeht. Das Pendel der seit acht Jahren Besetzung bekundeten Befriedungsabsicht schlägt noch weiter in Richtung Krieg aus. Die Annahme, es täte dies, um dann zurück zu Frieden und Stabilität zu schwingen, beruht auf dem Glauben, die NATO-Staaten verfolgten tatsächlich altruistische Ziele am Hindukusch. Das tun sie definitiv nicht, wie schon die Ratio des Terrorkrieges zeigt. Die Verbesserung der politischen und ökonomischen Lage der Afghanen wird als Mittel zum Zweck eigener Sicherheit, sprich Machtpolitik, angestrebt. Die dazu erforderliche Anwendung militärischer Gewalt produziert jedoch nichts als die weitere Verschlechterung der Lage der Bevölkerung.

Den vom Krieg betroffenen Afghanen kann die Logik der Stärke, die Obama vorhält, nur weltfremd erscheinen. Die alltäglichen Entbehrungen und Verletzungen werden durch noch mehr Soldaten keineswegs reduziert, ganz im Gegenteil. Käme der Behauptung der Besatzer, man wolle die zu gut einem Drittel hungernde Bevölkerung für sich einnehmen, irgendeine Relevanz zu, dann ließe man ihr für die zusätzlich aufgewendeten Milliarden humanitäre Hilfe zukommen. Die von der US-Regierung favorisierte Aufstandsbekämpfung erzeugt noch mehr Not und Leid, geht es doch nicht um die Abwehr eines äußeren Feinds der Afghanen, sondern die Zerschlagung einer von der Bevölkerung aus welchen Gründen auch immer gedeckten und unterstützten Guerilla, die ihrerseit einen äußeren Feind bekämpft.

Die Taliban und andere Widerstandsgruppen sind Bürger des Landes, während die sie bekämpfenden Truppen aus anderen Weltregionen stammen, andere Sprachen sprechen und über eine andere Kultur verfügen. Die Besatzer werden von außen mit allem versorgt, während es der einheimischen Bevölkerung am nötigsten fehlt, sie leben in Garnisonen, die auf die Einheimischen wie eine fremde Welt wirken müssen, und separieren sich ganz gezielt, indem sie strikt auf die Autarkie ihrer materiellen Versorgung achten. Es entzieht sich der Aufmerksamkeit der Afghanen nicht, daß ein Gutteil der angeblich ihnen gewidmeten infrastrukturellen Wiederaufbauleistungen der Logistik der Besatzungstruppen zugutekommt, also letztendlich gegen die afghanische Bevölkerung gerichtet ist.

Obama hat angekündigt, Al Qaida und ihre Verbündeten überall dort, wo sie sich festsetzen, und sei es in Somalia, Jemen oder anderswo, zu bekämpfen. Er meint, die US-Regierung könne keinen Rückzugsort für Terroristen in Pakistan tolerieren, und nennt die Grenzregion zwischen Afghanistan und Pakistan das "Epizentrum des gewalttätigen Extremismus, wie er von al Qaida praktiziert wird". Mit dem Feindbild des "Terrorismus", das als Platzhalter für ganz unterschiedliche, den Zielen der NATO-Staaten zuwiderlaufende Interessen fungiert, hat der US-Präsident Optionen markiert, mit denen die Entuferung dieses Krieges auf große Regionen des Mittleren Ostens vorprogrammiert ist.

Die für Afghanistan wie Pakistan ausgewiesene Strategie, die eigenen Gewährsleute unter der einheimischen Oligarchie für die Bekämpfung des Terrorismus zu bemitteln, ist Grundlage der unterstellten Exit-Strategie. Der Abzug der NATO-Truppen kann nur unter der Voraussetzung erfolgen, daß man in beiden Ländern neokolonialistische Strukturen aufgebaut hat, die ganz so funktionieren, als hätte man eigene Verwaltungen und Truppen installiert. Der auch in der Bundesrepublik als vermeintlich plausible Lösung heranzitierte Plan, die afghanischen Regierungs- und Polizeitruppen zu vergrößern, unterstellt, daß die von den NATO-Staaten eingesetzten und hofierten Statthalter tatsächlich daran interessiert sind, deren Ziele zu den ihren zu machen.

Das allerdings gilt nur, so lange sie unter dem Schutz der Urheber dieser Strategie stehen. Verlieren sie ihn, müssen sie befürchten, als Kollaborateure bekämpft und gestürzt zu werden. Wenn die Besatzer eine funktionierende Staatlichkeit mit dazugehörigen Gewaltorganen aufbauen, um diese als Sachwalter eigener Interessen zu nutzen, dann binden sie sich auch an diese Institutionen. Eine allmähliche Transformation wiederum kann nur unter Einbeziehung der Besatzungsgegner erfolgen, was die Gefahr mit sich bringt, daß diese die Oberhand gewinnen und eine nicht mehr im Interesse der NATO-Staaten stehende Politik betreiben. Das Dilemma der angestrebten Demokratisierung besteht darin, daß sie tatsächlich stattfindet und Resultate zeitigt, die nicht im Sinne der Erfinder sind. Das könnte nur als Niederlage der NATO gewertet werden, die daher die Neigung hat, die Kontrolle über Afghanistan durch ein neokolonialistisches Dauerprotektorat zu gewährleisten.

Die von Obama eingeschlagene Marschrichtung ist in jeder Hinsicht dazu geeignet, das angestrebte Nation Building zu torpedieren und den bereits ausgebrochene Bürgerkrieg zu vertiefen. Schon das zeigt, daß es nicht darum geht, den Afghanen eine bessere Zukunft zu bescheren. Sie leben in einem Land, das für die NATO von geostrategischem Interesse ist, und müssen sich diesem entweder unterordnen oder es bekämpfen. In diesem Spannungsfeld bleibt für eine eigenständige demokratische Entwicklung ebensowenig Raum wie unter dem Diktat einer orthodoxen Klerikerkaste und einer mittelalterlicher Feudalherrschaft.

Alle in der Bundesrepublik entworfenen Perspektiven zur Befriedung des Landes stehen und fallen mit den Entscheidungen, die die US-Regierung trifft. Diese steht unter maßgeblichem Einfluß von Politikern, die der Logik militärischer Durchsetzung den Zuschlag geben, weil alles andere mißliebigen Gegenkräften zu viel Raum gibt. Was immer nach acht Jahren Krieg als Befriedungsmöglichkeit verkauft wird, erweist sich mit der weiteren Truppenaufstockung als Notlüge, hinter der sich handfeste geostrategische Interessen verbergen. Die Irreführung der Bundesbürger in Sachen Afghanistan diskreditiert die politische Klasse, die schon durch die Kollaboration mit den Gewinnern der Weltwirtschaftskrise in ein schlechtes Licht gerückt ist, so gründlich, daß vielleicht doch noch mehr als eine Handvoll Menschen aufwacht.

2. Dezember 2009