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HEGEMONIE/1635: Jüngster Kniefall der EU vor Israel bleibt nicht unwidersprochen (SB)



Nach der Verwandlung des Gazastreifens in ein Freiluftgefängnis und der Abstrafung palästinensischen Widerstands durch das Massaker zur Jahreswende sowie der systematischen Fragmentierung des Westjordanlands zu einem Bantustan geht die israelische Führung daran, mit Ostjerusalem auch die dritte und letzte Bastion eines möglichen Palästinenserstaats endgültig zu schleifen. Während Israel unablässig daran arbeitet, dessen Existenzvoraussetzungen zu untergraben, so daß ein eigenständiges palästinensisches Staatswesen schlechterdings kaum noch vorstellbar ist, wächst der Unmut selbst im Lager der europäischen Verbündeten israelischer Regierungspolitik.

Da sich deutlich abzeichnet, daß die Administration Netanjahus die Zweistaatenlösung torpediert, wird der Ruf laut, Druck auf die israelische Regierung auszuüben und das erklärtermaßen freundschaftliche Verhältnis nicht mit bedingungsloser Unterstützung zu Lasten der Palästinenser zu verwechseln. Er verstehe eigentlich ganz schlecht, daß Israel nicht akzeptiert, daß Palästina aus dem Westjordanland besteht, aus Gaza und aus Ostjerusalem, erklärte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Es wäre gut, wenn Europäer und auch Amerikaner eine klare Sprache sprechen könnten, die sich mit dem deckt, was bei den Vereinten Nationen und in den Resolutionen auf europäischer Seite zum Ausdruck kommt. (www.zeit.de 08.12.09)

Ein von 24 deutschen ehemaligen Botschaftern unterzeichnetes Positionspapier fordert die Bundesregierung zu einer entschlosseneren Gangart gegenüber Israelis und Palästinensern auf, um eine Zweistaatenlösung des Nahostkonflikts durchzusetzen. Deutschland müsse eindeutiger gegen die israelische Siedlungspolitik Stellung beziehen, da Israel nicht darauf hoffen dürfe, sowohl den Frieden zu gewinnen als auch die palästinensischen Territorien zu behalten. Als konkretes und handhabbares Druckmittel schlagen die Verfasser vor, "die Aufrechterhaltung bestimmter Vergünstigungen oder von Transferleistungen an die eine oder andere Seite, aber auch eine stärkere Annäherung an die Europäische Union von konkreten Fortschritten bei der Konfliktbereinigung abhängig" zu machen.

Wie es in dem Papier weiter heißt, könne von einer Existenzbedrohung Israels durch einen Palästinenserstaat keine ernsthafte Rede mehr sein. Vielmehr berge eine Fortsetzung des Konflikts unvorhersehbare Risiken. Ungeachtet des geschichtlichen Vermächtnisses Deutschlands zum Schutz Israels könne wirkliche Sicherheit nur auf politischem Wege hergestellt werden, "nicht durch Besatzung und Besiedlung".

Nicht von ungefähr sind es ehemalige Diplomaten und nicht aktive Funktionsträger, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen und aussprechen, was allzu lange von deutscher Seite nie ernsthaft angemahnt wurde. Hingegen will die Europäische Union einen offenen Konflikt mit Israel vermeiden, weshalb die Außenminister in Brüssel den Entwurf einer Nahosterklärung beraten haben, in der einige vorab von Israel scharf kritisierte Formulierungen nicht mehr enthalten sind, die den Status Jerusalems betreffen.

Im Entwurf der Erklärung zeigt sich die EU "ernsthaft besorgt über den Mangel an Fortschritt im Nahost-Friedensprozeß". Die EU halte an der Zweistaatenlösung fest und werde "keine Änderungen der Grenzen von vor 1967" anerkennen. "Der Ministerrat erinnert daran, daß er niemals die Besetzung von Ostjerusalem anerkannt hat." Solle ein wirklicher Frieden gefunden werden, müsse eine Lösung hinsichtlich des Status' von Jerusalem gefunden werden.

Umstritten bleibt jedoch, ob der Gazastreifen, das Westjordanland und Ostjerusalem ausdrücklich als Bestandteile eines palästinensischen Staates genannt werden. Frühere Formulierungen, wonach Ostjerusalem die Hauptstadt Palästinas oder Jerusalem "die künftige gemeinsame Hauptstadt" sei, wurden auf Druck Israels zurückgenommen. In einem letzten Kompromißvorschlag der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft wird Jerusalem lediglich "als künftige Hauptstadt zweier Staaten" bezeichnet.

Etwa die Hälfte der EU-Staaten neigt inzwischen dazu, Israel mit einer klaren Sprache zu begegnen. So bezeichnete der finnische Außenminister Alexander Stubb den ursprünglichen Entwurf als hervorragend, da er einige Schlüsselelemente enthalte, zu denen man stehen müsse: "Der Siedlungsbau muß aufhören, wir brauchen zwei Staaten und drittens stehen wir zu unserem Bekenntnis zu Jerusalem."

Die andere Hälfte, zu der Deutschland, Frankreich und einige osteuropäische Staaten gehören, will hingegen den Einwänden Israels stattgeben. Die Bundesregierung verweist auf die sogenannte Roadmap, die 2002 von den USA, Rußland, der EU und den Vereinten Nationen vorgelegt wurde. Danach würde der Status Jerusalems erst am Ende von den beiden Konfliktparteien festgelegt.

Israel hatte Ostjerusalem im Jahr 1967 okkupiert. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte die Besetzung und auch die EU erkennt sie nicht an. Nach ihrem Verständnis gehören Gaza, das Westjordanland und Ostjerusalem zu einem künftigen palästinensischen Staat. Dessen ungeachtet macht die Bundesregierung ihren Einfluß geltend, um die EU auf die Linie israelischer Regierungspolitik zu trimmen. Wie letztere kritisierte, dürfe nicht zur Teilung Jerusalems aufgerufen werden. Mit solchen Formulierungen nehme man unzulässig den Ausgang von Friedensverhandlungen mit den Palästinensern vorweg.

In diesem Fall kann sich Israel zwar auf die Roadmap berufen, deren Umsetzung jedoch ansonsten von israelischer Seite torpediert wurde. Da seit dem verheerenden Angriff auf den Gazastreifen Einwände gegen die fortgesetzte Drangsalierung der Palästinenser offenbar nicht länger ungehört verhallen, wird die Besatzungspolitik ausführlicher als in der Vergangenheit auch in den bürgerlichen Medien thematisiert. So ist die systematische Verdrängung der palästinensischen Bevölkerungsteile Ostjerusalems und dessen Abtrennung vom Westjordanland durch israelischen Siedlungsbau inzwischen auch für eine breitere Öffentlichkeit ausführlich dokumentiert.

Die Forderung der Regierung Netanjahu, man dürfe die Teilung Jerusalems nicht vorwegnehmen, da dessen Status erst Ergebnis von Friedensverhandlungen sein könne, unterstreicht vor dem Hintergrund des dramatisch zunehmenden Vertreibungsprozesses in Ostjerusalem, daß die israelische Führung die gesamte Stadt allein für sich reklamiert und wie immer auf Zeit spielt, um unterdessen auf gewaltsamem Weg vollendete Tatsachen zu schaffen. Wollte man den Anspruch der EU ernstnehmen, sich stärker im Nahen Osten zu engagieren und dabei eine eigenständige Politik zu vertreten, müßte sie die bedingungslose Kumpanei beenden und ihr Verhältnis zu Israel auf den Boden der Kritikfähigkeit stellen, die auch und gerade unter Freunden nicht ausgeschlossen sein sollte.

8. Dezember 2009