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HEGEMONIE/1642: Hilfe für Haiti wird verschleppt (SB)



Die Hilfe für Haiti läuft jetzt an, heißt es Tag für Tag für Tag für Tag ... Auch überhäufen sich die Spenden - auf irgendwelchen Konten. Viele Länder schicken hochmotivierte Nothilfeteams, die den Opfern des Erdbebens vom vergangenen Dienstag theoretisch Hilfe leisten könnten. Doch brauchen die Einwohner mehr als nur Theorie. Was nutzt es, wenn die Rettungsteams das Land nicht erreichen und in die Dominikanische Republik umgeleitet werden oder am Flughafen von Port-au-Prince im militärisch kontrollierten Stau stecken bleiben?

Es zeichnet sich jetzt schon ab, daß Haiti zum Spielfeld für Akteure wird, die andere Interessen verfolgen, als Hilfe zu leisten, oder durch ihr Verhalten zumindest Zweifel aufkommen lassen, ob Hilfe für die Erdbebenopfer ihre uneingeschränkte Priorität genießt. Die Amerikaner fliegen offenbar nur Amerikaner aus, und bei der Entscheidung, welche Flugzeuge aus welchen Ländern landen dürfen, scheinen sie ebenfalls die eigenen zu bevorzugen.

Menschen, denen niemand hilft und die um ihr Überleben ringen, werden von den hiesigen Medien bereits als Plünderer diffamiert. Da wird der Eindruck, den bewaffnete, Steine werfende Jugendbanden hinterlassen, pauschalisiert und zur Beschreibung der Verhältnisse in ganz Haiti instrumentalisiert. Sicherlich wird es auch in Haiti nach Tagen der Not Mord und Totschlag geben. Aber ähnlich, wie sich die Berichte vom September 2005 im überfluteten New Orleans, denen zufolge ein einziges Hauen und Stechen, Rauben und Vergewaltigen im Superdome eingesetzt habe, im nachhinein als maßlos übertrieben herausstellten, dürften auch die Berichte von brutalen Übergriffen in Haiti keineswegs die allgemeine Lage treffend widerspiegeln. Wobei, da das Beben bald eine Woche her ist und Hilfe im Verhältnis zur Not nur kleckerweise eintrifft, es nicht überraschen sollte, falls Menschen mit allen Mitteln versuchten, am Leben zu bleiben.

Warum wurde nicht längst eine Luftbrücke mit Hubschraubern eingerichtet, die permanent Lebensmittel, Wasser und medizinische Nothilfepakete in jenen Landesteilen abwerfen, die von der Außenwelt abgeschnitten sind? Selbst wenn bei dieser Methode ein Teil der Ware verlorengeht oder in die Hände von Existenzen gerät, die sich an den Hilfsgütern bereichern und sie anderen vorenthalten, so besteht zumindest die Chance, sehr viel mehr Menschen zu helfen, als wenn versucht wird, alles vom Flughafen aus zu kontrollieren. Dort herrscht das totale Chaos, und die USA wollen das Heft in der Hand behalten, auch wenn das Menschenleben kostet.

Es macht nun mal einen fundamentalen Unterschied, ob in einem Land nach dem Erdbeben die Ordnung wiederhergestellt oder ob so effizient wie möglich Hilfe für die notleidende Bevölkerung geleistet wird. Selbstverständlich erfordert auch das Ordnungsfunktionen, aber wenn diejenigen - und das sind in diesem Fall nun mal die Amerikaner -, noch andere Dinge im Blick haben und ihre Führerschaft gegenüber Brasilien, Frankreich und letztlich auch der haitianischen Regierung durchsetzen und befestigen, dann droht eine internationale Hilfsaktion zur Fortsetzung eines Konflikts zu verkommen, der seit eh und je in Haiti und anderen Ländern des Trikonts auf menschenvernichtende Weise ausgetragen wird. Armut und Hunger, denen weltweit mehrere Milliarden Menschen ausgesetzt sind, haben die Haitianer auch vor der Erdbebenkatastrophe dazu getrieben, sonnengetrocknete Lehmfladen zu essen. Das Chaos in Haiti läßt den Ruf nach Ordnung lauter werden - mit Hilfe wäre den Einwohnern mehr gedient.

18. Januar 2010