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HEGEMONIE/1649: Eurozone in Not ... Griechenland soll "geholfen" werden (SB)



Auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel zeigt die harte Linie der Regierungen der Eurozone gegenüber Griechenland deutliche Risse. Nun wollen sich die Euro-Staaten beim regulären Treffen der Finanzminister Anfang nächster Woche auf einen Rettungsplan für das verschuldete Land einigen. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy erklärte, man wolle gemeinsam vorgehen, "um die finanzielle Stabilität in der gesamten Eurozone zu schützen" (Handelsblatt, 11.02.2010). Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, daß Griechenland nicht allein gelassen werde. Daß die griechische Bevölkerung die Hauptlast der Krisenbewältigung tragen soll, wird vornehmerweise hinter dem üblichen Reformjargon versteckt.

Diese Hilfszusage ist keiner wie auch immer gearteten Solidarität zwischen den Eurostaaten geschuldet, krankt die Währungsunion doch als ein von nominell souveränen Nationalstaaten gebildeter Währungsverbund daran, daß diese sich nach wie vor in merkantiler Konkurrenz gegenübertreten. Die Widersprüchlichkeit dieses Konstrukts ist Ergebnis des neoliberalen Charakters des gemeinsamen Wirtschaftsraums, soll dessen Produktivität doch durch eine strukturell initiierte Standortkonkurrenz angeheizt werden. Die nationalen Wirtschaftsräume werden in einen gegenseitigen Unterbietungswettbewerb getrieben, um Investivkapital zu den kostengünstigsten Bedingungen anzulocken. Hauptfaktor der Einsparung sind Löhne, Steuern und Sozialabgaben. Um Arbeitsplätze zu schaffen und Handelsvorteile zu erringen, zahlt am Ende der Bürger mit dem Verzicht auf eine den Preissteigerungen angemessene Lohnentwicklung, mit Einschnitten bei den sozialen Sicherungssystemen und mit der Einstellung respektive Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen.

Wie der Volkswirtschaftler und UNCTAD-Chefökonom Heiner Flassbeck nicht müde wird zu erklären, hat sich die Bundesrepublik durch besonders niedrige, hinter der Inflationsrate herhinkende Lohnstückkosten einen Exportvorteil erwirtschaftet, der nicht nur Griechenland, sondern auch andere Euro-Staaten mit einem hohen Leistungsbilanzdefizit gegenüber Deutschland belastet. Flassbeck rechnet jedem, der es meist nicht wissen will, vor, daß die Lohnstückkostenentwicklung in Griechenland zwischen 1999 und 2009 26, in Deutschland aber nur 8 Prozent betrug. In Anbetracht des von der EWU ausgewiesenen Inflationsziels von jährlich knapp unter zwei Prozent liegt Griechenland fünf Prozent über der auf zehn Jahre gerechneten EWU-Norm des Lohnstückkostenzuwachses von 21 Prozent, Deutschland liegt 13 Prozentpunkte darunter (FTD, Dezember 2009).

Nun hat EU-Ratspräsident Van Rompuy in einem Strategiepapier für den EU-Sondergipfel erklärt, die Mitglieder der Eurozone sollten nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen, sondern sich auch um die "makroökonomischen Ungleichgewichte" zwischen ihnen kümmern. Um die Wirtschaftspolitik jedes Landes "kompatibel mit den Richtlinien für die gesamte EU" zu machen, soll der Europäische Rat "spezifische Maßnahmen" beschließen und überwachen. Das Handelsblatt (10.02.2010), das aus diesem Papier zitiert, führt Äußerungen aus Brüsseler EU-Kreisen an, laut denen sich Van Rompuy um die "frühzeitige Erkennung von Ungleichgewichten" kümmern werde, und zwar mit dem Mittel einer strafferen "Gouvernance" der Eurozone.

Man darf gespannt sein, ob sich dieser eher schwache EU-Präsident mit einem solchen Vorstoß gegen die Bundesregierung durchsetzen wird. Diese hat aufgrund der starken Exportausrichtung der deutschen Wirtschaft kein Interesse an administrativen Eingriffen in ihre Handelspolitik, hätte dies in Anbetracht besagter Ungleichgewichte doch für denjenigen am meisten Nachteile, der seine Waren am stärksten auf Kosten anderer Staaten mit höherem Lohnniveau als dem eigenen absetzt.

Tatsächlich ist die Chance auf eine Angleichung der makroökonmischen Unterschiede, die der Bundesrepublik Handelsvorteile verschaffen, gering. Damit wäre die neoliberale Struktur des Wirtschaftsraums grundsätzlich in Frage gestellt, was als Angriff auf die Wettbewerbsfähigkeit seiner Mitglieder zurückgewiesen würde. Die bislang an den Tag gelegte harte Haltung gegenüber Griechenland wurde mit dem Argument begründet, daß eine staatliche Rettungsaktion einen Präzedenzfall schüfe, der sich negativ auf die Haushaltsdisziplin anderer hoch verschuldeter Eurostaaten wie Portugal, Spanien und Italien auswirkte und zudem ein falsches, sprich ausbeutbares Signal für den internationalen Finanzmarkt wäre.

Wenn sich die großen Eurostaaten, allen voran die Bundesrepublik, zu einer Rettungsaktion entschließen, dann werden damit zum einen, wie Orlando Pascheit auf den Nachdenkseiten (11.02.2010) erklärt, die erheblichen Forderungen deutscher Banken an Griechenland wie weitere vom Staatsbankrott bedrohter Eurostaaten abgesichert, zum andern soll der Euro als Ganzes gegen Spekulanten geschützt werden, die mit Leerverkäufen auf den fortgesetzten Verfall seines Wertes gegenüber dem Dollar setzen. In Berlin wehrt man eine wirksame Regulation der Finanzmärkte ebenso ab wie eine administrative Steuerung der Wirtschaft, mit der dem Mythos von dem sich selbst regulierenden Markt zu Leibe gerückt würde. Das hält die Bundesregierung nicht von staatlichen Interventionen ab, wenn diese nur den Interessen deutscher Kapitaleliten zuarbeiten.

Zur Bewältigung der Weltwirtschaftskrise, die nun durch eine oder mehrere Staatspleiten erneut verschärft werden könnte, wurden Staatsmittel en gros eingesetzt, doch die versprochene striktere Regulation der Finanzmärkte blieb aus. Nun verweist man auf Druck, der von Spekulanten auf den Euro ausgeht, und kündigt in einer Kehrtwende, zu der es nur weniger Tage bedurfte, an, Griechenland zu helfen. Die Bevölkerung des Landes kann davon nichts erwarten als die um so rücksichtslosere Durchsetzung von Sparmaßnahmen. Die Politik des Landes geriete in einem vielleicht noch stärkeren Ausmaß als angekündigt unter EU-Verwaltung, das weiß man auch in Athen, von wo bislang kein formelles Hilfeersuchen zu vernehmen war. Möglicherweise wägt man noch zwischen Scylla und Charybdis an, hat doch der Internationale Währungsfonds (IMF) seinerseits erklärt, dem Land mit Krediten zu der bekannten Kondition eines umfassenden neoliberalen Strukturwandels helfen zu wollen. Das wiederum sähe man in Brüssel gar nicht gern, so daß es noch einen kleinen Verhandlungsspielraum für die Athener Regierung um die Bedingungen, die ihr auferlegt werden sollen, zu geben scheint.

Der griechischen Bevölkerung bleibt nichts anderes übrig, als sich der ihr verordneten Verarmung kämpferisch entgegenzustellen. Hätte die Krise die Folge, die generelle Ablehnung einer auf kapitalistische Marktwirtschaft festgelegten EU zu stärken, dann könnte sie die überfällige Produktivkraft konkreter gesellschaftlicher Veränderung entfalten.

11 Februar 2010