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HEGEMONIE/1655: Euro über alles ... harte Währung, soziale Grausamkeit (SB)



"Wir zahlen nicht für eure Krise", tönt Bundeskanzlerin Angela Merkel in Richtung der "Pleite-Griechen" (O-Ton Bild) und macht damit deutlich, daß die angebliche Solidargemeinschaft Europäische Union diesen Anspruch nur bei schönem Wetter aufrechterhält. Nun, da Gewitterwolken über Hellas stehen und drohen, von dort aus auf Italien, Spanien und Portugal überzugreifen, wird auf den Zinnen der Feste Deutschland zum Hochziehen der Zugbrücken geblasen. Während Merkel die Unerschütterlichkeit des Stabilitätspakts beschwört, brechen nicht nur in Griechenland soziale Existenzen reihenweise unter der Last der Sparpolitik zusammen. Die der griechischen Regierung vom EU-Ministerrat abgenötigten Einschnitte und Teuerungen treffen die Bevölkerung dort am härtesten, wo sie am wenigsten Überlebensreserven besitzt.

Indem der trotzige Ruf griechischer Arbeiter, nicht für die Krise ihrer Oligarchen und des internationalen Finanzkapitals zu zahlen, aus Berlin mit der Ankündigung entgegengetreten wird, dem angeblich aus eigenem Verschulden angeschlagenen Land nur im äußersten Fall akuter Zahlungsunfähigkeit Finanzhilfe zu leisten, begeht Merkel einen Etikettenschwindel. Bei den Problemen der Griechen handelt es sich auch um die Krise der führenden Wirtschaftsmacht der EU, und das nicht nur deshalb, weil die Bundesrepublik in einem solchen Fall erklärtermaßen nur deshalb einspränge, um die davon für die eigene Wirtschaft ausgehenden Risiken zu bannen. Das konstitutive Prinzip des Eigennutzes zeigt sich auch an der Exportorientierung der deutschen Industrie. Sie hat nicht unwesentlichen Anteil am Niedergang der griechischen Wirtschaft und dem Wegbrechen der Steuereinkünfte des griechischen Staates. Die EU ist, wie die Beschwörung der Währungsstabilität inmitten des anwachsenden sozialen Chaos belegt, eine auf Standortkonkurrenz basierende Wirtschaftsgemeinschaft, in der immer diejenigen kannibalisiert werden, die von Anfang an die schlechtesten Karten hatten.

Betrachtet man etwa die Sozialindikatoren der osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, die sich ganz den Forderungen des Investivkapitals unterworfen haben, dann hat das Gros ihrer Bevölkerungen Einbußen an Wohlstand und sozialer Sicherheit erlitten. Das liegt nicht zuletzt daran, daß der mit Abstand größte Teil der in Deutschland erzeugten Güter in EU-Staaten ausgeführt wird, die währungstechnisch an die Konvergenzkriterien des Euro gebunden sind. Da diese Volkswirtschaften nicht die Möglichkeit haben, ihre Währungen zum Abtragen von Leistungsbilanzdefiziten abzuwerten, sind sie wirtschaftspolitisch keineswegs souverän. Die festen Bahnen des Stabilitätspaktes führen durch ein Gelände, das von zum Teil steilen Gefällen hinsichlich der jeweiligen Produktivitätsniveaus bestimmt ist. Die durch Lohndrückerei und Sozialkürzungen besonders wettbewerbfähig gemachte Bundesrepublik kann die Waren der hierzulande angesiedelten Unternehmen unter währungstechnischen Bedingungen absetzten, als handle es sich bei der EU um einen Binnenmarkt. Letzteres zeigt sich auch daran, daß die Preise der Daseinsvorsorge und des Warenkonsums in einem viel höheren Maße EU-weit angeglichen sind, als es bei den Arbeitslöhnen der Fall ist.

Während die deutschen Exportwirtschaft Binnenmarktbedingungen genießt, ist ihre Kapitalmacht national aufgestellt und steht in einem Leistungsvergleich zu den weniger produktiven Volkswirtschaften der EU, der diese nötigt, die Ansprüche deutscher Investoren an niedrige Steuersätze und großzügige Privatisierungsregeln zu akzeptieren. Wegen dieses Vorteils haben sich deutsche Regierungen stets als besonders inquisitorische Verfechter der strikten Einhaltung der Konvergenzkriterien hervorgetan. Preisstabilität durch Beschränkung der Inflationsrate, jährliche Neuverschuldung nicht höher als 3 Prozent und öffentlicher Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts - die Rückkehr Griechenlands zu diesen Bedingungen muß aufgrund der damit verhinderten Defizitfinanzierung fast ausschließlich zu Lasten der Einkommen der arbeitenden und versorgungsbedürftigen Bevölkerung gehen. Da die nationalen Steuereinnahmen durch die davon ausgehende Belastung des Binnenmarkts weiter zurückgehen werden und die Zinslast für Staatsanleihen etwa doppelt so hoch ist wie die der Bundesrepublik, wird das von der griechischen Regierung zugestandene Ziel, die Neuverschuldung bis 2012 unter die 3-Prozent-Marke zu drücken, realistischerweise nicht zu erreichen sein.

Die zur Durchsetzung des Lissabon-Vertrags beschworene Einheit der EU erweist sich durch die harte Haltung der Bundeskanzlerin Merkel und die von ihr unterstützte Einbindung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in das Krisenmanagement als euphemistische Idealisierung einer hierarchischen Staatenordnung, in der die wirtschaftlich starken Länder die Interessen der eigenen Kapitaleliten durchsetzen. Das von den westeuropäischen Mitgliedstaaten gebildete Zentrum der EU will auch in Zukunft über eine ost- und südeuropäische Peripherie verfügen, der die europäische Integration zwar befristete Wachstumsvorteile verschafft, deren Beitritt zur neoliberal verfaßten Wirtschafts- und Währungsunion jedoch den Klassenkonflikt verschärft hat.

An Griechenland wird nun ein Exempel statuiert, weil es sich um einen eher kleinen EU-Staat mit einer besonders wehrhaften Bevölkerung handelt. Der Erhalt der für Deutschland und andere hochproduktive EU-Staaten günstigen Währungsbedingungen werden in einer Art Generalprobe auf ihre Durchsetzbarkeit hin überprüft, um anhand dieses Präzedenzfalls mit den nächsten Krisenkandidaten entsprechend verfahren zu können. Der Gegenentwurf einer Wirtschafts- und Währungsunion, in der die europäische Integration nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch mit Hilfe demokratisch bestimmter allgemeinverbindlicher sozialer, wirtschaftlicher, fiskalischer, lohntechnischer und arbeitsrechtlicher Bedingungen vollzogen würde, ebnete das Produktivitätsgefälle zwischen den Mitgliedstaaten absehbar ein.

Daran hat die Bundesregierung nicht das mindeste Interesse, wie das Insistieren auf die Behauptung demonstriert, daß Griechenland und andere Schuldnerstaaten die Suppe gefälligst auslöffeln sollten, die sie sich angeblich eingebrockt haben. Auch wenn erwiesen ist, daß die griechischen Kapitaleliten und Regierungspolitiker ihren Anteil an der krisenhaften Entwicklung haben, führt die monokausale Schuldübertragung an ihre Adresse in die Irre. Sie soll davon ablenken, daß das kapitalistische Krisenmanagement die Sicherung der Verwertungsordung stets als Klassenkampf von oben betreibt. Indem Merkel dafür sorgt, daß hinter dem Talmi der Wertegemeinschaft der Zwangscharakter vertraglicher und administrativer Zurichtung zu fremdverfügter Verwertbarkeit hervortritt, nimmt sie in Kauf, daß sich ihre Stabilitätsrhetorik als bloße Raubstrategie erweist. Mit diesem Machtpoker legt sie die Axt in einem Ausmaß an den sozialen Frieden in der Europäischen Union, daß das Auseinanderbrechen nicht nur der Währungsunion in den Bereich des Möglichen rückt.

25. März 2010