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HEGEMONIE/1692: Südsudan vor der Separation - Brandbeschleuniger für Konflikte in ganz Afrika (SB)



Gegenwärtig stimmt die Bevölkerung des Südsudans über eine Separation vom Norden ab. Mit einem positiven Votum ist fest zu rechnen. Damit kämen mehr als zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg, der im Jahr 2005 zu einem Friedensvertrag zwischen der Zentralregierung im Norden und der von den USA und Europa kräftig unterstützten SPLM, die Tausende Kindersoldaten in ihren Reihen hatte, Sklavenhandel betrieb und Hilfsgüter der UNO beschlagnahmte, zu einem Abschluß ... dem möglichen Neubeginn einer weiteren, gewaltsamen Zersplitterung Sudans! Kerstin Müller, Grünen-Sprecherin für Außenpolitik, warnte kürzlich, daß "ein neuer Krieg noch lange nicht abgewendet ist" (http://www.kerstin-mueller-mdb.de/).

Sie muß wissen, wovon sie spricht. Hatte sie doch als Staatssekretärin im Auswärtigen Amt während der Schröder-Ära Sudan bereist und dem UN-Sicherheitsrat über die Menschenrechtslage in der westlichen Provinz Darfur Bericht erstattet. Damit zählte sie zur Speerspitze europäischer Hegemonialinteressen, die eine Entmachtung der sudanesischen Zentralregierung anstrebten. Das Mittel der Wahl zu diesem Zweck hatte sich in den neunziger Jahren innerhalb Europas "bewährt" und lautet Balkanisierung. Der flächengrößte Staat Afrikas, mit einer muslimischen Regierung, die über lukrative Erdölvorkommen verfügt und seine Geschäfte vorzugsweise mit China abwickelt, hätte zu einem Machtfaktor an der Schnittstelle zwischen Schwarzafrika und dem arabischen Raum werden können. Das durfte nicht geschehen, deshalb wurden die zweifellos vorhandenden innersudanesischen Konflikte ausgenutzt, um das Land zu spalten. Die Namensähnlichkeit zwischen der Rebellenorganisation SLM in Darfur und der SPLM ist kein Zufall.

Der Staatssekretärin der Grünen konnte zwar nicht widersprochen werden, als sie die schweren Menschenrechtsverletzungen in Darfur beklagte - wobei unter den Beobachtern der Lage keineswegs Konsens über die Zahl der Toten, Verletzten und Vertriebenen bestand -, doch vergaß sie zu erwähnen, daß der Darfur-Konflikt eine direkte Folge westlicher Einflußnahme war. Kurz zuvor hatte US-Senator John Danforth als Sondergesandter für Sudan die Regierung in Khartum unter Druck gesetzt, damit sie die umfassende, sämtliche Streitparteien Sudans berücksichtigende Friedensinitiative Libyens und Ägyptens sausen läßt, und bewirkt, daß im Jahr 2003 ein Waffenstillstand nur zwischen Regierung und SPLM geschlossen wurde.

Bei den Verhandlungen über die Aufteilung der üppigen Einnahmen aus dem Ölexport zeigte sich, daß andere Landesteile nichts abbekommen sollten. Also erhoben sich im Westen die Darfuris und griffen Polizeistationen und Garnisonen an. Das löste einen massiven Gegenschlag regierungstreuer Reitermilizen aus, die brandschatzten, vergewaltigten und mordeten.

Ein Friedensschluß, der laut den Vereinten Nationen die weltweit schlimmste humanitäre Katastrophe erzeugte ... ja, die Sudan-Expertin weiß, warum sie die Staatengemeinschaft auffordert, "für den Schutz dieser Menschen" zu sorgen und die "Pogromstimmung abbauen" zu helfen. Denn sie ist eine der Figuren, die an der Zersplitterung des Landes beteiligt waren. Deshalb sollte sie sich auch darüber im klaren sein, daß eine Separation Südsudans gewaltsame Auseinandersetzungen auf dem ganzen Kontinent befeuern wird.

In vielen afrikanischen Staaten herrschen unterschwellige bis offene Konflikte. Nur für den bequemen Blick verlaufen sie entlang ethnischer und religiöser Grenzen. Vielmehr bilden krasse Einkommensunterschiede den Brennstoff, der wiederum durch die hegemoniale Taktik der Balkanisierung, wie sie der Westen im Sudan vorexerziert, entfacht werden kann. Die von der früheren Organisation der Afrikanischen Einheit praktizierte Konfliktvermeidungsstrategie, das Erbe der kolonialzeitlichen Grenzen anzutreten, obgleich sie willkürlich durch angestammte Siedlungsräume und quer durch die Ethnien gezogen worden waren, wird mit der Zwangsseparation Südsudans durchbrochen. Auf dem Kontinent droht ein Flächenbrand auszubrechen, an dessen Zündung der Westen nicht unbeteiligt ist.

11. Januar 2011