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HEGEMONIE/1707: Widerstand droht! IWF und Weltbank laborieren an der sozialen Krise (SB)



Wenn die Brandstifter selbst nach der Feuerwehr rufen, dann muß die Hütte so sehr in Flammen stehen, daß ein nicht zu löschender Flächenbrand droht. Die Spitzen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank haben nicht erst auf ihrer Frühjahrstagung in Washington entdeckt, daß die von ihnen forciert vorangetriebene Globalisierung Not und Armut in aller Welt erzeugen. Das ist seit vielen Jahren bekannt und hat den beiden Weltfinanzinstitutionen einen befristeten Bedeutungsverlust beschert. In der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise durften sie jedoch einen zweiten Frühling erleben, soll der Planet doch auch in Zukunft nationalen wie transnationalen Kapitaleliten als Weidegrund dienen. Global Governance bedarf nicht nur realpolitischer Regulative, sondern muß sich auch des schönen Scheins bester Absichten bedienen, um Akzeptanz für eine Herrschaftsform zu schaffen, die zu sichern alle Waffen der Welt nicht ausreichen, wenn sie sich nicht auf ein System differenzierter Beteiligung stützen kann. Wo nacktes Überleben zum erst- wie letztinstanzlichen Wert gerät, können Herrschaftsdispositive noch in der elendsten Hütte Wirkung entfalten.

Die angeblich alle Boote in die Höhe hebende Reichtumsflut, auf die sich neoliberale Ökonomen berufen, wenn sie mit moralischen Einwänden gegen hemmungslosen Raubbau konfrontiert werden, läßt zahlreiche mit dem Elendesproletariat des Südens überfüllte Schiffe - die im Mittelmeer gekenterten Boote voller unerwünschter Kriegsflüchtlinge aus Libyen verwandeln die Metapher in grausame Realität - untergehen. Selbst wenn Teile der Weltbevölkerung insbesondere in China und Indien von der Wachstumsdoktrin des kapitalistischen Weltsystems profitieren sollten, zahlen Milliarden dafür eine Zeche in Form persönlicher Verarmung, dauerhafter Mangelernährung, medizinischer Unterversorgung, der Zerstörung ihrer Natur- und Lebensräume, so daß von einem Zugewinn für alle nicht gesprochen werden kann.

Weltbank-Präsident Robert Zoellick hat zu Beginn der Frühjahrstagung steigende Lebensmittelpreise, die im Durchschnitt 36 Prozent höher als vor einem Jahr sind, dafür verantwortlich gemacht, daß 44 Millionen Menschen zusätzlich unter die Armutsschwelle von 1,25 Dollar am Tag gerutscht sind. Zum Abschluß des Treffens mahnte er angesichts der rasanten Veränderungen in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, man müsse sich aktiv einmischen, um das Ausbrechen neuer Revolten zu verhindern. Seine Forderung, Weltbank, Regierungen und internationale Organisationen müßten mehr Hilfe in der Region leisten - der IWF will Kredite in Höhe von 35 Milliarden Dollar vergeben -, könnte von den betroffenen Bevölkerungen durchaus als Bedrohung verstanden werden. Schließlich geht der neoliberale Strukturwandel in diesen Ländern maßgeblich auf die Rezeptur des Washingtoner Konsensus zurück, als dessen globale Agenturen IWF und Weltbank fungieren.

Die Öffnung der arabischen Volkswirtschaften für internationale Investoren, der diesen garantierte Kapitaltransfer und Investitionsschutz, die Anhebung lokaler Preisniveaus auf Weltmarktniveau, die Streichung von Subventionen für essentielle Versorgungsgüter, die Exportausrichtung von Gütern, an denen es den eigenen Bürgern mangelt, die Umstrukturierung der Landwirtschaft auf exporttaugliche Feldfrüchte, systematische Kürzungen des Personals im öffentlichen Dienst, die Erhöhung von Verbrauchssteuern bei geringer Besteuerung des Kapitals, die Sicherung der Interessen einer korrupten, die nationale Ressourcenrente einheimsenden Oligarchie - all das sind Merkmale wie Ergebnisse der neoliberalen Politik der Weltfinanzinstitutionen und der G20-Staaten, deren Finanzminister parallel zur Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington zusammenkamen.

Wenn dort Bedenken hinsichtlich des selbsttragenden Charakters dieser Politik laut werden, dann nicht aus Einsicht in die Verelendungslogik der weltweit verabsolutierten Kapitalakkumulation. Den Damen und Herren schwant viel mehr, daß sie den Bogen dieses Entwicklungsmodells nicht überspannen können, ohne einen sozialen Widerstand zu provozieren, der, wie in Griechenland und Ägypten vorgeführt, nicht durch bloße Beschwichtigungen zu besänftigen ist. Da Privatisierung und Liberalisierung in Nordafrika, ob im Rahmen von Assoziationsabkommen mit der EU oder als Auflage des IWF für die Kreditvergabe, die Lebensbedingungen der Menschen eklatant verschlechtert haben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Demokratisierungskampagnen gegen die eigenen Despoten zum grenzüberschreitenden Aufbegehren gegen das ökonomische Diktat der neokolonialistischen Akteure Westeuropas und Nordamerikas auswachsen.

Dies zu verhindern ist die neuentdeckte soziale Verantwortung führender Vertreter der Weltfinanzinstitutionen geschuldet. Um die Basis der globalisierten Kapitalverwertung zu retten, muß neue Legitimation erwirtschaftet werden. Wie vordergründig die Mahnungen sind, belegt das wichtigste Ergebnis der Treffen in Washington. Die G20-Staaten wollen Ungleichgewichte unter den führenden weltwirtschaftlichen Akteuren ausgleichen, indem sie große Ausschläge in der Handelsbilanz, die hohen Schulden der staatlichen und öffentlichen Haushalte wie die privaten Sparquoten und Insolvenzen unter die Lupe nehmen. Wenn, wie berichtet, in einem unverbindlichen, weil ohne Sanktionsandrohung vollzogenen Versuch die Länder China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Japan und USA auf etwaige Schräglagen im internationalen Geld- und Handelsverkehr untersucht werden sollen, dann geht es um Geldwertstabilität und Sparpolitik, aber nicht die Behebung massiver sozialer Defizite in den Ländern des Südens.

Die Verhinderung eines rasanten Wertverlustes der globalen Leitwährung Dollar, die Stabilisierung des durch die hohe Verschuldung Japans und die Atomkatastrophe bedrohten Yen, die Bewältigung der Eurokrise durch eine Verringerung deutscher Exportüberschüsse sind Maßnahmen zur Sicherung der Vormachtstellung der ökonomisch wie militärisch stärksten Staaten der Welt. Das Eintreten der Schwellenstaaten für Kapitalverkehrskontrollen, die nicht durch den IWF konditioniert sind, ist dem beanspruchten Ausgleich zwar adäquat, wird vom Währungsfonds als Anwalt der freien Marktwirtschaft jedoch abgelehnt. Die Konkurrenz um die Anteile an den globalen Wertschöpfungsketten ist auch unter den führenden Staaten erheblich, wie insbesondere die Anfeindungen belegen, mit denen US-amerikanische Politiker die chinesische Führung belegen.

Einig im G20-Klub ist man sich allerdings darin, keine soziale Gerechtigkeit im Weltmaßstab anzustreben. Dies wäre ohne eine grundsätzliche Veränderung des kapitalistischen Charakters der Weltwirtschaft und die Aufhebung der Nationenkonkurrenz nicht zu haben. Die von den G20-Finanzministern beratenen Vorkehrungen der Krisenprävention können mithin als symbolischer Versuch verstanden werden, etwas gegen eine Entwicklung zu tun, die in vielerlei Hinsicht längst jeglicher Kontrolle entglitten ist. Der Niedergang der US-Wirtschaft erscheint unaufhaltsam, wie die Tatsache zeigt, daß der Exportvorteil des billigen Dollar kaum realisiert werden kann, weil die Produktivität der US-Unternehmen gegenüber der internationalen Konkurrenz zu gering ist. Die Atomkatastrophe in Japan ist alles andere als ausgestanden, so daß die immensen Kosten des Wiederaufbaus nach Erdbeben und Tsunami wie der Eindämmung der Verstrahlung des Landes durch eine unerwartete Eskalation in Fukushima noch einmal vervielfältigt werden könnten. Am Beispiel Griechenlands läßt sich studieren, daß das Entschuldungsdiktat der EU und des IWF unerträgliche Lebensverhältnisse schafft und den Zorn der Bevölkerung schürt, die Aussicht auf ein reguläres Abtragen der Staatsschulden jedoch in weite Ferne rückt. Neue Schuldenkrisen in der EU-Peripherie stehen ins nur nominell gemeinsame, von gravierenden materiellen Widersprüchen erschütterte Haus, während die durch ein angeblich räuberisches Bail-Out herausgeforderten Bevölkerungen Kerneuropas zur leichten Beute nationalistischer und rassistischer Demagogen wird. Das Problem der Verknappung fossiler Energieressourcen ist alles andere als gelöst und wird durch Aufstände in den Ölförderländern zum Objekt eines gewalttätigen Neokolonialismus, der unabsehbare Folgen zeitigt.

Wie im Falle der Atomkatastrophe, deren Bewältigung einem offensichtlich überforderten Privatunternehmen überlassen ist, wird den betroffenen Bevölkerungen von den Managern der Weltwirtschaft keinesfalls reiner Wein eingeschenkt. Wenn die demokratischen Verhältnisse einer wachsenden Zahl EU-europäischer Staaten durch ein ökonomisches Krisenmanagement aufgehoben werden, an dessen Horizont nichts als langfristige Schuldknechtschaft zu erblicken ist, dann haben nicht nur die Menschen im Nahen und Mittleren Osten allen Grund dazu, sich gegen die sie kujonierenden Kräfte zu erheben. Die Strategie des Teilens und Herrschens funktioniert nur so lange, als es etwas zu teilen gibt. Dies trifft auf immer mehr Menschen immer weniger zu, so daß die Frage nach der Überwindung aller Erniedrigung und Ausplünderung mit um so größerer Dringlichkeit gestellt wird.

18. April 2011