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HEGEMONIE/1737: Teufel nochmal - Ahmadinedschad besucht Chávez und Konsorten (SB)



Wer nach dem Sender Gleiwitz, dem Zwischenfall im Golf von Tonkin, dem Unterschlupf Osama bin Ladens in Afghanistan, den Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins oder den Massakern der libyschen Streitkräfte Muammar al-Gaddafis noch immer Kriegsvorwände für bare Münze nimmt und die damit mehr oder minder notdürftig kaschierten langfristigen strategischen Angriffspläne ignoriert, muß sich die Frage gefallen lassen, was er aus der Geschichte gelernt hat. Nun soll es dem Iran an den Kragen gehen, der dem Vorstoß der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten im Mittleren Osten im Weg steht, weshalb man das Land mit kriegsvorbereitenden Sanktionen in die Enge treibt und das Interventionsarsenal in Stellung bringt.

Am Wochenende hat die Regierung in Washington eine unverhohlene Drohung an die Adresse Teherans ausgestoßen: "Unsere rote Linie ist, dass der Iran keine Nuklearwaffen entwickelt", warnte Verteidigungsminister Leon Panetta. Eine Blockade der für die globalen Öltransporte lebenswichtigen Meerenge von Hormus sei ebenfalls nicht zu tolerieren. "Das ist eine weitere rote Linie, und wir werden entsprechend regieren", sagte er. US-Generalstabschef Martin Dempsey fügte hinzu, daß der Iran durchaus die Möglichkeit habe, die Straße von Hormus für einige Zeit zu sperren. Man habe jedoch Vorsorge getroffen, die Blockade abwehren zu können, unterstrich der General. Auf die Frage nach möglichen Vorbereitungen der USA, gegen iranische Atomwaffen vorzugehen, wollte sich Dempsey nicht im Detail äußern. Seine Aufgabe sei jedoch, über alle Risiken einer militärischen Option im Bilde zu sein und "in manchen Fällen Aktivposten zu positionieren, die diese Optionen in einem zeitnahen Rahmen möglich machen". Alle diese Aktivitäten liefen derzeit. [1]

Während die westlichen Mächte den Iran isolieren, mit Sanktionen gegen die Zentralbank und den Ölexport auf seine wirtschaftliche Existenz zielen und ihren Angriffskrieg vorbereiten, ist Präsident Mahmud Ahmadinedschad nach Lateinamerika gereist. In einer Mischung aus absurd überzeichnetem Gefahrenszenario und blanker Häme zur Diskreditierung der iranischen Bündnispolitik hagelte es Kritik aus Washington. Die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im US-Repräsentantenhaus, die Republikanerin Ileana Ros-Lehtinen, sprach von einer "Bedrohung für die regionale Sicherheit und Stabilität". In die Welt gesetzte Gerüchte, über Venezuela werde Atomtechnologie in den Iran geschmuggelt und dieser baue eine Raketenbasis in Venezuela auf, wo überdies iranische Gelder gewaschen würden, entbehren zwar jeden Beweises, werden aber von der US-Regierung "geprüft". [2]

Daß Ahmadinedschad wie schon mehrfach in der Vergangenheit Venezuela, Kuba, Ecuador und Nicaragua besucht, war zu erwarten, da der iranische Präsident mit den Staaten der antiimperialistischen Achse in Lateinamerika eine tiefe Abneigung gegenüber den USA und das Bestreben teilt, ein internationales Gegenbündnis aufzubauen. Besonders irritierend dürfte jedoch für Washington sein, daß es neue iranische Botschaften in Chile und Kolumbien gibt, den engsten Verbündeten der USA in Südamerika, und Brasilien seinen Handel mit dem Iran stark ausgebaut hat. Zudem ist offen, ob Ahmadinedschad am kommenden Samstag an der Amtseinführung des neuen guatemaltekischen Präsidenten Otto Pérez teilnimmt. Der rechtsgerichtete Ex-General ist ein wichtiger Bündnispartner der USA im sogenannten Antidrogenkrieg in Mittelamerika. Die alte Propagandaformel Washingtons, erklärte Gegner der US-amerikanischen Hegemonialpolitik in ein und denselben Topf der Bezichtigung zu werfen, verliert offensichtlich an Zugkraft.

Die US-Regierung warnte die Staaten Lateinamerikas vor dem Ausbau ihrer Beziehungen zum Iran, da das Land wegen seines Atomprogramms immer stärker in die Isolation gerate und nun nach Freunden suche. Diese Argumentation stellt den Umstand auf den Kopf, daß es die USA und ihre Verbündeten sind, die die Isolation Teherans zu erzwingen trachten und jedem drohen, der sich nicht in diese Front einreiht. Unmittelbar vor dem Besuch Ahmadinedschads in Venezuela verwiesen die USA eine venezolanische Diplomatin des Landes. Die Konsulin in Miami, Livia Acosta Noguera, sei am 6. Januar zur unerwünschten Person erklärt worden und müsse das Land bis zum 10. Januar verlassen, teilte das US-Außenministerium mit. Da keine nähere Begründung gegeben wurde, bleibt offen, ob dieser Schritt in Zusammenhang mit dem Staatsbesuch Ahmadinedschads steht. [3]

Die Präsidenten Irans und Venezuelas hatten bereits im Oktober 2010 bei einem Treffen angekündigt, daß sie sich für eine neue Weltordnung stark machen wollten, um der Dominanz des Westens im internationalen Kontext etwas entgegenzusetzen. Daß der Iran angesichts seiner Bedrängnis den Schulterschluß mit seinen Verbündeten sucht, die nach den Worten Außenminister Ali-Akbar Salehis die "feindlichen Maßnahmen des Westens" nicht befürworten, liegt auf der Hand. Teheran sieht seine Beziehungen zu Lateinamerika als dynamische Außenpolitik im widerspenstigen Hinterhof der USA, den zu verlieren Washington auf lange Sicht fürchten muß. Wenngleich weder Hugo Chávez, noch Daniel Ortega, Raúl Castro oder Rafael Correa das Sanktionsregime gegen den Iran brechen können, ist das politische Signal doch keineswegs vergebens.

Da über 70 Prozent der iranischen Einkünfte aus dem Ölexport stammen, droht Teheran bei verschärften Sanktionen im schlimmsten Fall ein Verlust von mehr als der Hälfte dieser Einnahmen und damit eine schwere Wirtschaftskrise. Schließen sich die wichtigsten Abnehmer in Europa dem Boykott an, hängt für den Iran alles von künftigen Entscheidungen seiner Hauptkunden wie China, Indien, Japan und Korea ab, die Washington mit ins Boot zu holen versucht. Venezuela ist zwar die regionale Drehscheibe für den Ölexport nach Mittelamerika und die Karibik, doch als Produzent oder Vermittler kein Abnehmer iranischen Öls, der die Verluste Teherans kompensieren könnte.

Der Ausbau der Beziehungen zwischen Venezuela und dem Iran in den vergangenen fünf Jahren war seitens der westlichen Regierungen und Konzernmedien von einer schizophren anmutenden Warnung vor angeblichen Gefahren, die von diesem Bündnis ausgingen, bei gleichzeitiger Verhöhnung der naturgemäß erst in Ansätzen gelungenen wirtschaftlichen Zusammenarbeit als bedeutungslose Lippenbekenntnisse ohne nennenswerte ökonomische Substanz begleitet. Wie es nun angesichts der fünftägigen Reise Präsident Ahmadinedschads herablassend heißt, könne Lateinamerika in diesen Zeiten allenfalls politische Unterstützung anbieten, dem Iran jedoch letztendlich nicht weiterhelfen. Teheran müsse seine Probleme im Gespräch mit den Weltmächten lösen, empfiehlt man der iranischen Führung den Kniefall vor den Wünschen von USA und NATO, die in jedem Fall auf die Errichtung eines pro-westlichen Regimes hinauslaufen.

Dies als die einzig realistische und relevante Option zu bezeichnen, frönt der opportunistischen Gutheißung des Diktats jener wenigen Mächte, deren überlegene Waffengewalt sie in den Stand versetzt, dem Rest der Welt ihre Hegemonie aufzuzwingen. Ein zukunftsfähiger Entwurf für die Mehrheit der Menschheit ist das sicher nicht, doch vielleicht trägt man sich ja mit der fadenscheinigen Hoffnung, im Schatten der Eliten besser zu fahren als im Visier ihrer Raketen, Bomben und Marschflugkörper.

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/ausland/konflikte-usa-warnen-teheran-vor-ueberschreiten-roter-linien_aid_700611.html

[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/iran-ahmadinedschad-besucht-lateinamerika/6044968.html

[3] http://www.fr-online.de/politik/iran-ahmadinedschad-auf-der-suche-nach-verbuendeten,1472596,11408620.html

9. Januar 2012