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HEGEMONIE/1815: Deutscher Griff in die Eingeweide Afrikas (SB)



Wer sich der Schätze des Schwarzen Kontinents bemächtigen will, muß neben Pulver, Blei und Glasperlen auch die weißhäutige Selbstevidenz menschheitsgeschichtlichen Entwicklungsvorsprungs und Führungsanspruchs im Marschgepäck haben. Daran hat sich seit Kolonialzeiten im Prinzip nichts geändert, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß diese fließend in aggressiv imperialistische Expansion überführt worden sind und so gesehen nie geendet haben. Dessen ungeachtet ist die Gemengelage der afrikanischen Raubzüge weitaus verworrener geworden, wie auch die verheerenden Folgen des Klimawandels und unablässige Kriege den Kontinent in ein globales Pulverfaß zu verwandeln drohen.

So warnt Bundesentwicklungsminister Gerd Müller denn auch vor einer großen Fluchtbewegung von bis zu 100 Millionen Menschen aus Afrika in Richtung Norden, falls eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad nicht gelingt. Jede Woche wachse die Bevölkerungszahl dort um eine Million. Vor allem in Afrika entscheide sich die Zukunft der Welt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich unterdessen der Unterstützung von allerhöchster Stelle versichert und nach eigenen Angaben für die anstehenden Verhandlungen im Kampf gegen die Armut in Afrika und für den Klimaschutz Unterstützung von Papst Franziskus bekommen: "Er hat mich ermutigt, auf diesem Weg weiterzugehen. Genauso, wie für internationale Abkommen zu kämpfen", sagte Merkel nach einer Privataudienz im Vatikan.

Daß Afrika eine europäische und nicht zuletzt deutsche hegemonialpolitische Einflußzone sei, wird seit Jahren in strategischen Entwürfen der NATO, der Europäischen Union und der hiesigen Denkfabriken konzipiert und präzisiert. Längst greift der Vormachtanspruch der Bundesrepublik auch in südlicher Richtung tief in die Eingeweide des benachbarten Kontinents, gehen offensive Flüchtlingsabwehr und militärische Präsenz mit ökonomischen Interessen Hand in Hand. Zugleich okkupiert und verdaut der administrative Sprachgebrauch das NGO-produzierte Vokabular, wenn Müller erklärt: "Wenn wir weitermachen wie bisher, haben die Menschen in vielen Teilen Afrikas gar keine andere Chance, als sich zu uns auf den Weg zu machen." Man müsse diesen Menschen dringend eine wirtschaftliche Perspektive in ihren Heimatländern geben, wie auch internationale Konzerne gefordert seien, zu fairen Geschäftspraktiken überzugehen: "Wenn hier ein Apple-Handy für 800 Euro verkauft wird, muss sichergestellt sein, dass in den Coltan-Minen im Kongo anständige Löhne gezahlt werden und Umweltstandards gelten", so der Minister. [1]

Daß über die sogenannten Wertschöpfungsketten alles zusammenhängt, ist kein Geheimnis, mit dem die Bundesregierung hinter dem Berg halten müßte. Ganz im Gegenteil: Was könnte besser geeignet sein, die nationalstaatlichen und wirtschaftlichen Verfügungsinteressen nachhaltiger zu verschleiern als der populäre Diskurs, es gehe dabei um mehr oder weniger Perspektiven, Fairneß, anständige Löhne und Umweltstandards, als sei nicht gerade deren Ausschluß das Geschäftsprinzip des konkurrenzgetriebenen kapitalistischen Wirtschaftens. Damit nicht genug, verspricht ein grüngewaschenes Verwertungsregime nachhaltige Exportoptionen und Vorteile bei der Setzung internationaler Standards, weshalb man dem Entwicklungsminister keineswegs bloße Schaumschlägerei zum Vorwurf machen kann.

Die Bundesregierung hat die Beschäftigung mit dem afrikanischen Kontinent zu einer zentralen Aufgabe ihres G-20-Vorsitzes erklärt und will dies am 7. und 8. Juli beim Gipfel in Hamburg erstmals zu einem Schwerpunktthema machen. In der vergangenen Woche wurde bereits unter dem bezeichnenden Titel "In eine gemeinsame Zukunft investieren" die vorgelagerte internationale Konferenz "G20-Afrika-Partnerschaft" in Berlin abgehalten, bei der verschiedene deutsche Ministerien einander geradezu mit Entwürfen übertrafen. Für seinen "Compact with Africa" will Finanzminister Wolfgang Schäuble die größten Wirtschaftsmächte gewinnen, zugleich rückt Gerd Müllers "Marshallplan Afrika" ins Zentrum der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, und mit "Pro! Afrika" hängte die Wirtschaftsministerin noch einen weiteren Plan dran. Jedenfalls sollen alle drei Modelle koordiniert werden, zumal sie dieselbe Stoßrichtung haben, nämlich privates Kapital für Infrastrukturprojekte zu mobilisieren, während die afrikanischen Partnerländer im Gegenzug beträchtliche Auflagen erfüllen müssen. [2]

Was in Berlin als Abschied von der klassischen Entwicklungspolitik gefeiert wurde, unterstrich die Bundeskanzlerin, als sie in ihrer Eröffnungsrede deren jahrzehntelanges Wirken in Afrika als weitgehende Fehlleistung vom Tisch wischte. Partnerschaftsrhetorik wie "Hilfe zur Selbsthilfe" ist passé, die neue Zauberformel, ausschließlich auf Investitionen zu setzen, mutet nur auf den ersten Blick wie ein alter Hut an. De facto läuft dieser innovative Ansatz auf eine Entsorgung von Hilfsprojekten hinaus, an deren Stelle Kapitalexport, die Ausbeutung von Rohstoffen und billigen Arbeitskräften wie auch die Erschließung neuer Absatzmärkte treten sollen. Zu diesem Zweck werden die einheimischen Eliten der Partnerländer mittels Lock- und Druckmitteln eingeworben, genötigt oder notfalls gewaltsam zur Räson gebracht.

Angela Merkel hatte bereits vor ihrer Afrika-Reise im letzten Herbst erklärt, man könne natürlich nicht die ganze Welt von einem Tag auf den anderen zum Besseren wenden. Wolle man aber deutsche Interessen verfolgen, müsse man realistischerweise sagen, daß auch das Wohl Afrikas im deutschen Interesse liege. Dem fügte die Kanzlerin vergangene Woche in Berlin hinzu, es gelte die illegale Migration einzudämmen. Dazu macht sich die Bundesregierung für eine weit vorgelagerte Flüchtlingsabwehr mit Lagern in Nordafrika, aber auch massiven Einschränkungen der bislang ungehinderten Migration sehr viel weiter im Süden stark.

Offenbar plant die Bundesregierung zudem, ihr militärisches Engagement in Afrika auszuweiten. Auslandseinsätze der Bundeswehr laufen derzeit am Horn von Afrika, im Senegal, in Zentralafrika, in der Westsahara, im Sudan, im Südsudan und in Somalia. Anfang 2013 beschloß der Bundestag, die französische Militärintervention in Mali zu unterstützen und deutsche Truppen in dem Land zu stationieren. Seitdem wurde der Einsatz mehrmals ausgeweitet und umfaßt inzwischen das größte Auslandskontingent der Bundeswehr. Wir Merkel monierte, hätten sich Entwicklungspolitiker viele Jahre lang nicht ausreichend mit Sicherheitsfragen beschäftigt. Das werde sich ändern: "Wir müssen uns ehrlich machen und sagen: Nur dort, wo Sicherheit gewährleistet ist, kann überhaupt Entwicklung stattfinden. Ich finde es sehr mutig, dass einige Länder zum Beispiel im Kampf gegen Terrorismus in Mali und in der Nachbarschaft bereit sind, selbst Verantwortung zu übernehmen. In diesem Zusammenhang ersucht Frankreich um ein UN-Mandat im Sicherheitsrat. Ich kann nur sagen: Wir werden sie dabei auch von deutscher Seite unterstützen." [3]

Wenngleich die ökonomische Expansion nach Afrika bereits im Jahr 2000 auf die Agenda deutscher Außenpolitik gesetzt wurde, ist sie trotz mehrfacher zwischenzeitlicher Initiativen bisher kaum vorangekommen. So stellte das Statistische Bundesamt 2015 fest, daß Afrika mit einem Anteil von nur rund zwei Prozent am gesamten deutschen Außenhandel für die deutsche Wirtschaft weiterhin eine nachgeordnete Rolle spiele. Die Bundesregierung ergreift nun die Initiative, da mächtige Konkurrenten auf den Plan getreten sind. Von den Direktinvestitionen in Höhe von 58 Milliarden Euro, die nach Einschätzung von Experten in diesem Jahr auf den afrikanischen Kontinent fließen, werden wohl nur 1,9 Prozent aus Deutschland, jedoch 24 Prozent aus China kommen. Ende 2013 waren die Chinesen mit ihren Direktinvestitionen an den USA vorbeigezogen, 2015 kaufte China 18 Prozent der afrikanischen Ausfuhren auf, während Indien mit gut acht Prozent die USA überholte.

Um im neu entbrannten Wettlauf um Afrika Schritt zu halten, sieht Schäubles "Compact" vor, daß sich einzelne Länder Afrikas mit einzelnen G-20-Staaten zusammentun und in enger Absprache mit ihnen die Bedingungen für Privatinvestitionen verbessern. Damit kann nur gemeint sein, daß die betreffenden Staaten ihre ökonomischen Standards an die neoliberalen Vorgaben der westlichen Mächte anpassen. Zumal auch der IWF und die Weltbank einbezogen werden sollen, sind die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, weitere Deregulierungsmaßnahmen und ein sozialer Kahlschlag zu erwarten.

Inzwischen haben sich sieben afrikanische Staaten zur Teilnahme an "Compact" bereiterklärt: Tunesien, Ghana und Côte d'Ivoire in enger Abstimmung mit Deutschland, Marokko, Senegal, Ruanda und Äthiopien mit anderen G-20-Staaten. Das deutsche Entwicklungsministerium stellt dafür in diesem Jahr bis zu 300 Millionen Euro bereit und legt den Schwerpunkt auf den Ausbau erneuerbarer Energien, die Verbesserung der Energieeffizienz sowie auf die Entwicklung des Finanzsektors. [4] Wenngleich die Schlagzeile in der Dienstagsausgabe der Welt "Merkel will Afrika zum neuen China machen" recht überambitioniert anmutet und Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer mit seiner Äußerung, Afrika sei "unser Schicksalskontinent mit Zukunft und ein riesiger Markt", den man "keinesfalls den Chinesen überlassen" dürfe, fast schon völkische Töne anschlägt, ist der Marschbefehl jedenfalls erteilt.


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/gerd-mueller-warnt-vor-100-millionen-fluechtlingen-aus-afrika-a-1152670.html

[2] http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-06/afrika-gipfel-berlin-infrastruktur

[3] https://www.wsws.org/de/articles/2017/06/14/afri-j14.html

[4] https://www.jungewelt.de/artikel/312488.trommeln-fürs-business.html

19. Juni 2017


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