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HERRSCHAFT/1424: Krieg gegen den Terrorismus kritisiert und bekräftigt (SB)



Mit ihrer Kritik am Globalen Krieg gegen den Terrorismus rennt die International Commission of Jurists (ICJ) offene Türen ein. Acht Experten haben im Auftrag der Organisation einen Bericht verfaßt, für den sie die Auswirkungen des Terrorkriegs auf die rechtliche Lage in 40 Staaten untersucht haben. Daß sie zu dem Schluß gelangten, die nach dem 11. September 2001 eingeleiteten Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus hätten erheblichen Schaden an rechtsstaatlichen Praktiken angerichtet, kann niemanden überraschen, der nicht völlig ignorant durch die Welt geht. Die von ihnen erhobene Forderung nach einer Behebung des Schadens durch das Vornehmen von Korrekturen an den seitdem in Kraft getretenen Antiterrorgesetzen wird von Kritikern ausgreifender staatlicher Repression seit jeher, also auch vor den 9/11-Anschlägen, erhoben.

Wiewohl man sich anhand des scheinbar unaufhaltsamen Vormarsches des autoritären Sicherheitsstaates kaum vorstellen kann, daß dies konkrete Auswirkungen auf politische Entscheidungsprozesses hätte, ist eine solche Initiative natürlich zu begrüßen. Weil sie auf halbem Wege stehenbleibt, ist sie jedoch nicht einmal in der Lage, die Kritikfähigkeit der Bürger liberaler demokratischer Staaten zu schärfen. Das Manko in der Argumentation der Juristen, zu denen so prominente Menschenrechtler wie die frühere Präsidentin Irlands, Mary Robinson, zählen, besteht im affirmativen Umgang mit dem Begriff des Terrorismus.

Der Einwand, die Härte und Willkür der Antiterrormaßnahmen biete dem Terror, den man eigentlich bekämpfen wolle, neuen Nährboden, läuft auf einen sich selbst aufhebenden Zirkelschluß hinaus. Nicht nur der Krieg gegen den Terrorismus ist eine herrschaftsträchtige Schimäre, der Terrorismus selbst ist ein Ermächtigungskonstrukt, das nicht umsonst Pate bei der Legalisierung exekutiver Sonderrechte und Vollmachte aller Art gestanden hat. Die machtpolitische Intention des Begriffs wird schon dadurch belegt, daß die internationale Staatengemeinschaft es bis heute nicht geschafft hat, einer allgemeinverbindlichen Definition des Terrorismus zu weltweiter Geltung zu verhelfen.

Die gegen bisherige Definitionen gerichteten Einwände betreffen meist die interessenbedingte Instrumentalisierung des Begriffs zur Legitimierung von Herrschaftspraktiken, die zu kritisieren sich die ICJ-Experten aufgemacht haben. Die bekannte Formel, daß des einen Terrorist des anderen Freiheitskämpfer ist, wie auch die bereits erfolgte Entuferung dieses Anlasses, sich Sonderermittlungskompetenzen und Sonderstrafrechte aller Art zu verschaffen, zeugen bereits vom Versagen der demokratischen Abwehr verfassungswidriger Konzentrationsprozesse exekutiver Macht. Der dabei häufig geltend gemachte Vorwurf, in Zeiten nationaler Bedrohung spielten die Verteidiger der Grund- und Bürgerrechte dem Feind in die Hände, belegt das selbstreferentielle Zusammenspiel von Gefahrenanalyse und -abwehr.

Als Terrorismus können heute bereits traditionelle Methoden des passiven Widerstands wie Blockadeaktionen verfolgt werden, und selbst vor der Kriminalisierung bloßer politischer Gesinnungen machen das Primat der Terrorismusbekämpfung nicht halt. Dabei lassen sich als terroristisch identifizierte Gewaltakte auch nach den Normen und Regeln des konventionellen Strafrechts verfolgen. Wo dies nicht der Fall ist, da wird zu Recht die Frage aufgeworfen, ob es sich überhaupt um Straftaten handelt. Lücken läßt die übliche Strafverfolgung nur dort, wo im Rahmen der Prävention unterstellter Tatabsichten nicht nach dem Prinzip verfahren werden kann, daß ein Strafurteil einer vollzogenen Tat oder einer zweifelsfrei vorliegenden Tatabsicht bedarf, wo Gesinnungsdelikte verfolgt werden oder wo die Zuständigkeit der jeweiligen Strafverfolgungsbehörden aufgrund der Nationalität der Täter und des Orts, an dem sie Verbrechen verübt haben, ungeklärt erscheint. Während letzteres unschwer im Rahmen bilateraler oder internationaler Abkommen zu regeln wäre, handelt es sich bei der Gefahrenabwehr wie bei der Verfolgung bestimmter politischer Einstellungen bereits um Weiterungen juridischer und exekutiver Art, mit denen gegen rechtsstaatliche Grundlagen verstoßen wird.

Besonders widersprüchlich wird der zur Regel gewordene Ausnahmezustand der Terrorismusverfolgung, wenn im staatlichen Auftrag vollzogene Gewaltakte qualitativ mit denen angeblicher Terroristen identisch sind, ohne daß erstere als Terrorismus kriminalisiert werden. Dabei ist auch an die Nutzung irregulärer Militanz durch staatliche Akteure zu erinnern, mit denen, etwa im Krieg islamistischer Milizen gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan oder beim Aufstand kosovoalbanischer Separatisten gegen jugoslawische Sicherheitskräfte, geostrategische Ziele verfolgt wurden. Das Prinzip der Gewaltenteilung, das die Usurpation exekutiver Macht durch diktatorische Kräfte verhindern soll, wird nicht umsonst im Rahmen der Terrorismusbekämpfung außer Kraft gesetzt, indem Regierungen beanspruchen, sich nach Anschlägen wie denen des 11. September 2001 im Kriegszustand zu befinden, oder vor Überschreiten dieser Schwelle Sondervollmachten in Anspruch nehmen, die einem rechtlichen Ausnahmezustand gleichkommen.

Mit dem Argument, durch die Rigidität und Brutalität der Terrorismusbekämpfung, die sich die Regierungen der USA wie EU angemaßt haben, erzeuge man das Problem erst, wird unterstellt, die politischen Akteure reagierten lediglich auf übertriebene Weise auf Herausforderungen, die sie auch mit weniger drastischen Mitteln in den Griff bekämen. Tatsächlich zeigt schon die Tatsache, daß ein Großteil der nach dem 11. September 2001 verabschiedeten Verschärfungen staatlicher Repression nur aus den Schubladen gezogen werden mußten, wo sie auf eine günstige Gelegenheit zu ihrer Durchsetzung gewartet hatten, daß dem nicht so war und ist. Statt dessen hat man es mit einer bereits Jahrzehnte währenden Kontinuität im Ausbau sicherheitsstaatlicher Befugnisse zu tun, die vor allem der Beherrschung sozialer Widerspruchslagen gewidmet sind.

Das Konstrukt des Terrorismus hat sich als überaus nützliches, weil in seiner Definition kontingentes und in seiner Verwendung flexibles Mittel staatlicher Ermächtigung so sehr bewährt, daß es mehr bedarf als der liberalen Kritik an seiner exekutiven Entuferung, um den Geist wieder in die Flasche zu bekommen. Daß dies ausgerechnet während einer globalen krisenhaften Entwicklung erfolgen könnte, die zu einer erheblichen Verschärfung nämlicher Widerspruchslagen führt, ist ebenso unwahrscheinlich wie die Möglichkeit, daß die kapitalistischen Eliten allein aufgrund der Diskreditierung ihres Akkumulationsregimes der Etablierung einer sozial gerechteren Gesellschaft wichen.

19. Februar 2009