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HERRSCHAFT/1448: Aufklärung gefährdet Militarisierung der US-Gesellschaft (SB)



Kurz nachdem die US-Regierung den Boykott des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen aufgegeben hat, stellt sich US-Präsident Barack Obama als Commander-in-Chief schützend vor die Soldaten seiner Streitkräfte. Das Lob republikanischer Politiker, die nicht das mindeste Interesse daran haben, daß das Foltervermächtnis ihres Präsidenten George W. Bush weiter im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht, ist ihm gewiß. Indem er die auf Druck von Menschenrechtsorganisationen erzwungene und von ihm gutgeheißene Veröffentlichung weiterer Fotos, auf denen Folterszenen aus US-Gefangenenlagern zu sehen sind, mit dem Argument widerruft, daß die US-Streitkräfte dadurch in Gefahr gebracht und die Einsätze im Irak und Afghanistan erschwert werden, legt er das Hauptgewicht seines politischen Handelns auf die Kriegführung.

Mit diesem spektakulären Verdikt absolviert Obama nicht nur einen der vielen Rückzieher, mit denen er seinen Anhängern zu erkennen gibt, daß die Staatsräson letztlich über alles geht. Mit dieser Stellungnahme unterstreicht er auch seine bei Amtsantritt ausgegebene Devise, man solle nach vorne und nicht zurück schauen. Die Veröffentlichung neuer Foltermemos und Berichte ehemaliger Guantanamo-Häftlinge haben die US-Bürger mit einer Grausamkeit ihrer eigenen Regierung konfrontiert, die sie bislang nur bei den Schergen von Diktatoren vermutet hatten. Zwar gäbe es nicht nur beim Umgang mit Gefangenen, sondern auch der Außenpolitik und der Kriegführung viel zu lernen, wenn US-Bürger erste Zweifel daran hegen, daß die Behauptung ihrer eigenen Führung, ihr Land sei ein Hort freiheitlicher und humaner Werte, nicht der Wirklichkeit entspricht. Doch die Enthüllungen aus Abu Ghraib, aus Guantanamo und anderen Verliesen des Terrorkriegs haben deutliche Spuren hinterlassen und zu heilsamer Ernüchterung unter vielen US-Bürgern geführt, die nach dem 11. September 2001 in patriotischem Furor aufgingen.

Eben dies war eine wesentliche Grundlage für den Wahlsieg Obamas, hatte dieser doch versprochen, die Nation von der Willkür und Selbstherrlichkeit der Bush-Administration zu erlösen. Für die intensivierte Kriegführung in Afghanistan und die offensichtlichen Bereitschaft dieser US-Regierung, den Krieg nach Pakistan auszuweiten, ist die kritische Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit daher prekär. So soll die Bevölkerung den vermeintlichen gerechten Krieg am Hindukusch unterstützen, was sich mit Berichten über schlimmste Quälereien an verschleppten Menschen, die fernab jeder Beteiligung an Anschlägen auf die USA waren, vereinbaren läßt. Vor allem darf der Anspruch eigener Suprematie nicht beschädigt werden, indem die Beseitigung angeblicher Auswüchse des Terrorkriegs so sehr entufert, daß sie sich nicht mehr auf eine Maßnahme zur Restauration des nationalen Wertekodex beschränken läßt, sondern zu einem Sinneswandel der Bevölkerung hinsichtlich der globalen Führerschaft der USA führen könnte.

Dem arbeitet die gerade erst begonnene Aufklärung der Ereignisse, die sich in den Folterlagern abspielten, allemal zu. Nicht umsonst werden wichtige Fragen wie die Beteiligung von Ärzten und Psychologen an den Verhören lediglich unter damit befaßten Experten diskutiert. Die professionelle Hilfe, die Psychologen bei der Entwicklung der diversen Foltertechniken geleistet haben, ist ein auf Sparflamme kochender Skandal, der von der berufsständischen Organisation American Psychological Association (APA) nach Kräften unter den Teppich gekehrt wird. Wie sich anhand der veröffentlichten Memos des Office of Legal Counsel (OLC) im US-Justizministerium gezeigt hat, ist die APA dem Pentagon mit ihren berufsethischen Bewertungsmaßstäben weit entgegengekommen. Zudem geht aus dem von der investigativen Journalistenorganisation ProPublica veröffentlichten E-Mail-Verkehr der von der APA eingesetzten Task Force on Psychological Ethics and National Security (PENS) hervor, daß Militärpsychologen auch in die Folterverhöre eingebunden waren, indem sie einzelne Techniken wie das Waterboarding, die im Rahmen der angeblichen Ausbildung von Soldaten zum Überstehen derartiger Verhöre erprobt wurden, vorstellten, optimierten und legitimierten.

Wie schon die Einrichtung einer Task Force ahnen läßt, die mit der Vereinbarkeit berufsständischer Ethik und Angelegenheiten nationaler Sicherheit befaßt ist, legt der einflußreichste Psychologenverband der USA großen Wert darauf, die Karrieremöglichkeiten seiner Mitglieder in diesem prekären Bereich nicht zu schmälern. Die APA hat nicht nur stets vertreten, daß die Anwesenheit von Psychologen bei Verhören wichtig sei, um diese "sicher, legal, ethisch und effektiv" zu gestalten, sie hat ihren Mitgliedern 2002 praktisch den Ausweg in den Befehlsnotstand eröffnet, indem sie ihren ethischen Richtlinien einen Passus einfügte, laut dem sich Psychologen militärischen Regeln und Gesetzen unterwerfen können, wenn diese in Konflikt mit ihren ethischen Grundsätzen stehen.

Das Beispiel zeigt, welch tiefgreifende Auswirkungen die faktische Aufhebung des internationalen Folterverbots in den USA nicht nur auf die Opfer wie Mitglieder der Streitkräfte und Geheimdienste, sondern die gesamte US-Bevölkerung hat. Die Doktrin der nationalen Sicherheit betreibt im Grunde genommen die Militarisierung der gesamten Gesellschaft, ohne die Kriege nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen zu führen sind. Wenn kein Bürger mehr wissen kann, ob der freundliche Arzt, dem er gegenübersitzt, nicht ein ausgemachter Menschenschinder ist, wenn Experten in den Medien vertreten, daß das Zufügen von Schmerzen nicht unethisch sei, wenn damit ein größeres Leid abgewendet wird, wenn ein Millionenpublikum im Unterhaltungsprogramm des Fernsehens TV-Serien vorgeführt bekommt, in denen Folterverhöre als unausweichlich für die Abwehr schlimmster Gefahren für die Nation dargestellt werden, ohne daß dies heftigen Widerspruch erzeugt, dann ist die Bevölkerung allemal kriegsbereit. Die Moral, der bessere Mensch und das bessere Land zu sein, ist allerdings nicht unendlich belastbar, so daß Obama den Entzug weiteren Anschauungsmaterials aus gutem Grund als der nationalen Sicherheit geschuldet darstellt.

14. Mai 2009