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HERRSCHAFT/1456: Neues Staatsschutzstrafrecht zu Lasten des Angeklagten (SB)



Während beherzte Bürger mit Wortmeldungen und einer Petition gegen die unter dem Vorwand der Bekämpfung der Kinderpornografie geplante Zensur des Internets vorgehen, setzt sich der Sicherheitsstaat an anderer Stelle ohne große Mühe gegen seine Kritiker durch. Daß deren Zahl sehr viel geringer ist als bei einem Vorhaben, das die Einschränkung eines von den meisten Bürgern täglich in Anspruch genommenen Massenmediums betrifft, ist verständlich, zeugt aber auch von einer gewissen Ignoranz gegenüber den Strategien des Terrorkriegs. Terroristen sind natürlich immer die anderen, das sagt sich der gesetzestreue Bürger und ist sich dabei seiner Sache ebenso sicher wie angesichts der maßlosen Übertreibung angeblicher Kinderschützer, er könne durch kinderpornografische Abbildungen "angefixt" werden.

Tatsächlich haben die nun mit der Mehrheit der Regierungskoalition verabschiedeten neuen Regelungen des Staatsschutzstrafrechts viel mit dem paternalistischen Ansatz der Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen zu tun, die Bevölkerung vor sich selbst schützen zu müssen, indem man ihr gar nicht erst die Freiheiten zugesteht, die sie auf dumme Gedanken bringen könnten. Den von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries im September 2007 angekündigten Straftatbeständen ist gemein, daß sie als terroristisch eingestufte Delikte im Vorfeld ihrer Ausübung strafrechtlich verfolgbar machen und damit den Rechtsgrundsatz "Cogitationis poenam nemo patitur" (Für bloßes Denken wird niemand bestraft) aushebelt.

Natürlich ist die Bundesjustizministerin keineswegs der Ansicht, daß mit dem neuen Staatsschutzstrafrecht "bloßes Denken" bestraft wird. Sie geht davon aus, daß jemand, der ein sogenanntes Terrorcamp besucht oder sich im Internet auf einschlägigen Webseiten Informationen zum Bombenbau anschaut, dies im Vorsatz tun kann, eine schwere, den Staat gefährdende Straftat auszuführen. Wie dies zu eruieren sein soll, bleibt aus nämlichem Grund, daß Menschen in Fantasie wie Wirklichkeit alles mögliche anstellen können, ohne daß dies je zur Ausführung einer Straftat führt, ein Problem, dessen Bewältigung die kriminalistische Definition bestimmter Verhaltensnormen voraussetzt. Einem Menschen eine terroristische Absicht nachzuweisen, ohne daß er sich ausdrücklich zu einer solchen bekennt, ist nur möglich, indem man eine zwingende Kausalität zwischen völlig legalen Formen seiner Lebensführung und seiner politischen Einstellung sowie einer daraus angeblich folgenden, in der Zukunft liegenden Gewalttat herstellt.

Dabei handelt es sich in jedem Fall um ein probabilistisches Verfahren, kann die tatsächliche Verwirklichung der unterstellten Absicht doch immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit antizipiert werden. Das von Zypries gegenüber der Frankfurter Rundschau (28.05.2009) auf die Frage, wie die Strafverfolger unterscheiden wollen, ober der Besucher einer Webseite mit Anleitungen zum Bombenbau nur neugierig sei oder aber tatsächlich einen Anschlag plane, präsentierte Fallbeispiel eines von einem Kaufhausdetektiv verdächtigten Mannes, der ein Buch in seine Tasche gesteckt hat, demonstriert das genaue Gegenteil der Urteilssicherheit, die sie den Richtern mit den neuen Strafvorschriften an die Hand geben will.

Auch wenn der Mann in den Augen des Detektivs ein auf frischer Tat überführter Ladendieb ist, wäre es doch möglich, daß er nur prüfen wollte, ob das Buch in seine Tasche passen würde, um es, falls dies der Fall sein sollte, zu erstehen, gibt die SPD-Politikerin zu bedenken. Selbst wenn der des Diebstahls Verdächtigte dies vor Gericht angibt, ist keineswegs geklärt, ob es sich nicht nur um eine Schutzbehauptung handelt. Die Chance, daß der Richter sich von der Lauterkeit seiner Absichten überzeugen läßt, hängt von Faktoren ab, die jenseits jeder konkreten Beweiskraft liegen. Zypries schildert mit diesem Beispiel das Dilemma von Menschen, die sich in den Augen der Staatsschützer verdächtig gemacht haben und nun in der Not sind, ihre Unschuld beweisen zu müssen. Das sollte nach den Grundsätzen jener Rechtsstaatlichkeit, die sich die Mitglieder der Regierungskoalition bei jeder sich bietenden Gelegenheit ans Revers heften, ebenso wenig möglich sein wie die Verurteilung eines Menschen zu mehreren Jahren Haft aufgrund einer Mutmaßung, bei der eben nicht mehr "In dubio pro reo" (Im Zweifel für den Angeklagten) gilt.

So faßt der Bürger angesichts des ihm gegenüber legislativ artikulierten Mißtrauens und der hemmungslosen Dramatisierung möglicher Gefahren, mit der auf dem Feld der Terrorismusbekämpfung argumentiert wird, nicht eben Zuversicht in die Vergewisserung, daß sich nur derjenige beim Aufenthalt in einem sogenannten Terrorcamp strafbar macht, "der sich unterweisen lässt oder einen anderen unterweist, um eine terroristische Straftat zu begehen. Ein bloßes Erwerben von Fähigkeiten ohne die Absicht, damit eine terroristische Gewalttat zu verüben, bleibt straflos" (Pressemitteilung Bundesjustizministerium, 18.09.2007). Wer einem Richter erklären will, daß er in einem Lager Al Qaidas Schießen gelernt hat, weil ihm die Atmosphäre in einem deutschen Schützenverein nicht behagt, dürfte nicht eben auf Verständnis stoßen.

Bedenkt man zudem, daß derjenige, der eine Schrift verbreitet oder anpreist, die "nach den Umständen ihrer Verbreitung geeignet ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine schwere Gewalttat zu begehen" (Pressemitteilung Bundesjustizministerium, 21.04.2008), mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann, dann sollten bei politisch interessierten Internetnutzern alle Alarmglocken läuten. Eine angesichts des kaum vorhandenen Widerstands gegen diesen Angriff auf die Bürgerrechte in ihrer Tragweite weithin unterschätzte Neuerung besteht in der Überwindung des Problems, daß "sich die verbreiteten Schriften oftmals nicht auf eine konkrete Tat beziehen bzw. sich dies nicht nachweisen lässt". War die Rechtsprechung in der Gewichtung zwischen Kläger und Angeklagtem bislang noch um einen gewissen Ausgleich bemüht, so wird dem Staat nun eine Rechtsexegese von kafkaesker Willkür zugestanden. Künftig soll es ausreichen, "dass die jeweilige Anleitung nach den Umständen ihrer Verbreitung (z. B. im Rahmen einer islamistischen oder auch rechtsextremistischen Webseite) objektiv geeignet ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine Gewalttat mit einer staatsschutzrelevanten Zielsetzung zu begehen" (Pressemitteilung Bundesjustizministerium 21.04.2008).

Damit wird die Strafbarkeit einer Vorbereitungshandlung auch noch von der Bedingung gelöst, daß die Tatabsicht anhand konkret dokumentierter Äußerungen des Angeklagten nachgewiesen werden muß. Die subjektive Absicht soll schon durch objektive Umstände, sprich das angeblich von einer terroristischen Gesinnung bestimmte Umfeld, auf strafrechtsrelevante Weise bestimmbar sein.

Hebt man einmal von der vorgeblichen Absicht, sogenannter Gefährder und Terrorverdächtiger habhaft zu werden, die man bislang nur beobachten konnte, um sie beim Ausführen einer konkreten Straftat zu verhaften, auf besagte "Umstände", unter denen Terrorismus begünstigende Schriften verfügbar gemacht werden, ab, dann steht nichts geringeres als die Freiheit der politischen Meinung zur Disposition eines systemapologetischen Zugriffs, der des Anlasses nicht mehr bedarf, weil er bereits über ihn verfügt. Kriminalisiert werden nicht nur Menschen mit angeblich sinistren Absichten, sondern auch Webseiten, Schriften, Ausbildungslager oder Organisationen, die auf diese oder jene Weise terroristischer Umtriebe bezichtigt werden. Mit diesen Kontakt zu haben wiederum kontaminiert die Menschen mit einem Terrorverdacht, der ihre langjährige Inhaftierung bewirken kann.

Ist die Büchse der Pandora einmal geöffnet, dann wird der Virus der Verdächtigung aller von der Norm ihrer klaglosen Verfügbarkeit und duldsamen Verwertbarkeit abweichenden Menschen zielsicher um sich greifen. Die Vorverlagerung des Strafrechts in Bereiche, in die es seinen bewährten Grundsätzen nach bislang nicht hinreichte, konstituiert nämliches Feindstrafrecht, das neokonservative Demagogen in den USA dazu veranlaßt hat, Folter für rechtens zu erklären, und das eine eingeschworene Gemeinschaft aus deutschen Rechtswissenschaftlern und Sicherheitspolitikern auch in der Bundesrepublik zur Rechtsform nicht nur des Terrorkriegs erklären will.

28. Mai 2009