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HERRSCHAFT/1459: Rechte Demagogen knüpfen an Politik der EU an (SB)



Mit dem Erfolg der niederländischen Freiheitspartei (PVV) des Rechtspolitikers Geert Wilders bei der Europawahl hat sich gezeigt, daß es lediglich profilierter Demagogen bedarf, um ein erhebliches rechtes Potential zu mobilisieren. Die erst 2006 gegründete PVV erlangte noch im gleichen Jahr bei den niederländischen Parlamentswahlen neun von 150 Sitzen, nun stellt sie mit 15,3 Prozent der Stimmen die zweitstärkste Kraft der Niederlande im Europaparlament nach den regierenden Christdemokraten (CDA), die auf 19,6 Prozent kamen.

Der Verweis auf eine Wahlbeteiligung von lediglich 36,5 Prozent kann das Ergebnis kaum relativieren, hat doch schon der Erfolg des bei einem Attentat 2002 ermordeten Pim Fortuyn gezeigt, daß rhetorische Angriffe auf Migranten im allgemeinen und Muslime im besonderen ein Erregungspotential bedienen, das ansonsten keine Adresse zu haben scheint. Die von vielen Politikern gewählte Deutung, dieser Rechtsruck stelle eine nationalistische Gegenbewegung zur EU dar, trifft jedoch nicht den Kern dieser Entwicklung, die parallel auch in anderen EU-Ländern wie etwa Österreich, Dänemark, Ungarn oder Finnland stattfindet.

Auffällig ist viel mehr, daß die neue europäische Rechte nicht im klassisch etatistischen Sinne nationalkonservativ ist, sondern eine Variante jenes neokonservativen Liberalismus darstellt, der insbesondere in der Ära Bush hegemonial war. Das dabei propagierte Freiheitsverständnis schließt direkt an die neoliberale Leitdoktrin einer Gesellschaft an, die, nach Marktprinzipien organisiert, von einem auf die Kernaufgabe der Sicherung kapitalistischer Rahmenbedingungen und der gewaltsamen Verteidigung dieser Ordnung reduzierten Staat reguliert wird. Der administrativen Zentralisierung wie Entuferung auf supranationaler Ebene wird ein striktes Innen-Außen-Verhältnis entgegengehalten, das maßgeblich mit dem Feindbild eines angeblich rückständigen und daher abzuwehrenden Islams scharf gemacht wird.

Muslime bedrohen nicht nur einzelne bürgerliche Rechte wie die Gleichstellung der Frau, die Freiheit der sexuellen Orientierung und der politischen Meinung, sondern die liberale Gesellschaftsordnung in ihrer Gesamtheit, lautet der Vorwurf sogenannter Rechtspopulisten wie Wilders, der seinen hohen Bekanntheitsgrad einem regelrechten Feldzug gegen den Islam zu verdanken hat. Die Subsumierung einer höchst differenzierten Länder- und Kulturlandschaft unter ein Schlagwort ist seit jeher Kennzeichen der Produktion nützlicher Feindbilder, die vor allem etwas über die eigenen aggressiven Absichten aussagen. Von den Widersprüchen, die aus der sozialen Polarisierung westlicher Gesellschaften, der kommerziellen Ausbeutung der Sexualität oder dem von den Interessen des Kapitals geleiteten Medienbetrieb resultieren, wollen die "Freiheitlichen" ebensowenig wissen wie vom mörderischen Charakter imperialistischer Kriegführung, von der insbesondere Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung betroffen sind.

Da die neue Rechte systemkonform agiert, ist sie bis in die Mitte der Parteienlandschaft bündnisfähig. Die Übergänge zwischen einem betont fremdenfeindlichen und einem sich eher tolerant gebenden Liberalismus sind fließend, ist man sich im Grundsatz, die eigene Hegemonie über die Zementierung das neoliberal larvierten Klassenverhältnisses zu sichern, doch einig. Der offene Antiislamismus der Wilders und Strache betreibt in Reinkultur, was die migrantenfeindliche Grenzsicherungspolitik der EU, die Bündnispolitik der USA und die Kriegführung der NATO als politische Vernunft einer auf Stabilität und Kontinuität ausgerichteten Weltordnung propagieren.

So gäbe die bei der EU-Wahl auf 18 Prozent taxierte FPÖ heute längst nicht mehr wie vor zehn Jahren Anlaß zur diplomatischen Isolation des Landes, an dessen Regierung sie beteiligt war. Nicht nur die Breite, mit der der Neokonservativismus sich europaweit Bahn bricht, sondern auch seine Integrationsfähigkeit lassen Ausgrenzungsoperationen dieser Art heute nicht mehr zu. Was schon damals inkonsequent war, da mit Jörg Haider die populistischen Ausfälle eines rechten Demagogen abgestraft wurden, dessen ideologisches Repertoire in vielerlei Hinsicht die praktischen Maßgaben der EU-Politik reflektierte, käme heute erst recht einem Schnitt ins eigene Fleisch gleich.

Während an der Oberfläche auf ideologische Polarisierung geachtet wird, arbeitet man sich unausgesprochen mit sozialchauvinistischen und rassistischen Inhalten zu. Das Hauptproblem, das die etablierten Parteien mit einer gestärkten Rechten im Straßburger Parlament haben, ist die bei deren Abgeordneten verbreitete Ansicht, den administrativen Übergriff der EU zugunsten der Stärkung ihrer nationalen Oligarchien zurückdrängen zu müssen. Der dabei gerne unternommene Versuch der etablierten Parteien, rechte und linke EU-Kritik in einen Topf zu werfen, kann desto weniger verfangen, als die Linke ihre antikapitalistische, antiimperialistische und antirassistische Agenda stärkt. Im Kern nährt sich die neokonservative Rechte an der nationalistischen Reorganisation des Kapitalverhältnisses, während die Linke für die Aufhebung desselben im Sinne eines Internationalismus streitet, der sich nicht für die Zwecke eurozentrischer Suprematie und kulturimperialistischer Übergriffe vereinnahmen läßt.

6. Juni 2009