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HERRSCHAFT/1481: Die Grünen ... für alles zu haben, wenn der Lohn stimmt (SB)



Was der Partei Die Linke möglicherweise noch bevorsteht, haben die Grünen lange hinter sich. Nach 30 Jahren in der parlamentarischen Mühle rundgeschliffen wie Kiesel, die allen Widrigkeiten und Konfrontationen den geringstmöglichen Widerstand entgegenbringen, bleibt ihnen nicht viel mehr, als sich größeren Parteien als Mehrheitsbeschaffer anzudienen. Der Aufbruch in den langen Marsch hat sich absehbar als Rutsche in die Verhältnisse erwiesen, die zu bekämpfen man vorgab. Am Ziel des Wegs des geringsten Widerstands hat sich eine bürgerliche Partei etabliert, deren Klientel vorzugsweise aus Menschen besteht, die es verstanden haben, die bewegten Zeiten der sechziger und siebziger Jahre als Karrieresprungbrett zu nutzen, und der die politische Konkurrenz nun auch noch das Leib- und Magen-Thema der ökologischen Erneuerung abspenstig macht.

Bei den drei Landtagswahlen blieben die Grünen bei kleinen Zugewinnen stabil und konnten in Thüringen die Fünf-Prozent-Sperrklausel überwinden. Ihre verbesserte Situation in Ostdeutschland spricht für die bundesweite Angleichung neofeudaler Verhältnisse, die, wie vor 20 Jahren bereits zwischen den Zeilen angekündigt, stets Sinn und Zweck des Einheitspathos waren. Die Fusion der Grünen mit der Bürgerbewegung Bündnis 90 trug dementsprechend zum Niedergang der Bemühungen bei, auf dem Boden der DDR ein sozial gerechteres und friedfertigeres Land zu errichten. So wurde das Standbein der westdeutschen Alternativpartei in den neuen Bundesländern nicht anders als bei den großen Parteien dazu genutzt, den neuen Expansionsraum im Sinne der sogenannten Wiedervereinigung zu okkupieren, anstatt sich für eine eigenständige Entwicklung stark zu machen, die am Ende in eine vorbildliche, den Klassenkompromiß der BRD brechende Alternative hätte münden können.

Dem Editorial zur aktuellen Ausgabe des telegraph, der aus einer Zeitschrift der DDR-Oppositionsbewegung entstanden ist, ist eine aufschlußreiche Stellungnahme zum Scheitern dieser Möglichkeit zu entnehmen:

"Die heutige Umschreibung der damaligen Ereignisse durch konservative Politiker, Historiker und ihre Medien, hat eine klare Ausrichtung: Weg von der Forderung des Herbst '89 für einen demokratischen Sozialismus. Wie wir in diesen Tagen immer wieder hören müssen, sollen die Menschen 1989 für ein wiedervereinigtes Deutschland auf die Straße gegangen sein. Dabei wird verschwiegen, dass erst das Scheitern der Revolution zur Vereinigung führte. Gab es keine andere Möglichkeit, war alles unabwendbar? Darüber lässt sich streiten, worüber aber nicht gestritten werden muss, ist die Tatsache, dass alle aktiven DDR-Oppositionsgruppen und neuen Vereinigungen von 1989 mit der Politik der damaligen Bundesrepublik unzufrieden waren. Alle anderen Behauptungen können nur durch individuelle Entwicklung zu einem konservativen Burgfrieden erklärt werden oder mit der Sehnsucht danach, auch einmal zu den Siegern gehören zu wollen. Antikommunismus und Kapitalismus-Umarmung gehörten nie zu den Charakteren der Oppositionsgruppen. Jegliche Vereinnahmungsversuche politischer Kreise aus dem Westen wurden bis zum Herbst '89 strikt zurückgewiesen. Das dann doch alles so schnell ging, vom 7. Oktober 1989 bis zum 3. Oktober 1990, zeugt von einer unvorhersehbaren inneren Dynamik und dem Kaltstellen der Herbstakteure durch die bundesdeutschen Parteien und Medien. Forderungen nach einer Reformierung der Gesellschaft wurden nach und nach leiser. Zwar gab es keine offizielle Abkehr von der Forderung nach einem demokratischen Sozialismus, sie wurde aber von der Mehrzahl der Akteure des Herbstes 89 zunehmend gemieden bzw. der PDS überlassen. Dieses Wohlverhalten wurde umgehend honoriert. Was zwischen Ost und West folgte waren keine Gespräche unter Gleichen, sondern lediglich Beitrittsverhandlungen. Mit dem 20. Jahrestag der gescheiterten Herbstrevolution von 1989 und dem das Jubiläum begleitenden Propagandafeldzug ist die offizielle Geschichtsumschreibung offensichtlich endlich am Ziel: "Unsere Revolution" wollte Kapitalismus, Marktwirtschaft, NATO und Deutsche Einheit."
(telegraph, 118/119 - www.telegraph.ostbuero.de)

Wenn die Grünen heute ebenso für Koalitionen mit der SPD und der Linken bereitstehen, wie sie Regierungsbildungen mit CDU und FDP ins Auge fassen, dann dokumentieren sie auf bezeichnende Weise, wie die Überwindung emanzipatorischer Bestrebungen in der DDR in eine gesellschaftlichen Positionslosigkeit mündete, die jede Widerspruchslage zugunsten herrschender Interessen symbolpolitisch kompensierbar macht. Die Wandlung der Grünen von einer Friedens- zur Kriegspartei, die Einstellung wirksamer Herrschaftskritik und ihre Ablösung durch identitätspolitische Integrationskonzepte haben große Teile der westdeutschen Linken neutralisiert, so daß sie den Anschluß der DDR an die BRD nach anfänglichen Bauchschmerzen nicht minder als dessen Urheber als Zugewinn an nationaler Dominanz Deutschlands in Europa feiern konnten.

Die anwachsenden sozialen Konflikte in der Bundesrepublik verlangen nach streitbarer und prinzipienfester Systemopposition, der mit dem parlamentarischen Wechselspiel präventiv entgegengetreten wird. Politische Beliebigkeit wird zum zentralen Programmpunkt und macht die Grünen auf eine Weise als Wasserträger des Klassenkampfs von oben kenntlich, der es der Linken eigentlich verbieten müßte, mit ihnen Bündnisse zu schließen. Wenn die sächsische Fraktionsvorsitzende der Grünen, Antje Hermenau, im Deutschlandfunk (31.08.2009) die kategorische Forderung erhebt, ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR dürften auf keinen Fall Ämter in einer Koalition zwischen Grünen und Linken übernehmen, dann bezichtigt sie die Linke einer politischen Unkultur, die mit heutigen Formen staatlicher und ökonomischer Gewalt natürlich nicht vergleichbar wäre.

Die zutreffend als "ehemalige Bürgerrechtler" titulierten Politiker der Grünen wärmen alte Konflikte auf, um ihren Anteil daran, daß die virulenten gesellschaftlichen Probleme unter der Decke bleiben, nicht zum Gegenstand notwendiger Selbstkritik machen zu müssen. Wenn Hermenau den Zugewinn ihrer "sozialliberalen" Partei in Sachsen damit begründet, daß sie einen "strategischen Kurs" verfolgt, "der in beide Richtungen agieren kann, ohne sich zu verbiegen oder richtige Grundsätze zu brechen", dann definiert sie recht genau, worin die Funktion der Grünen im politischen System der Republik besteht. Sie stehen exemplarisch für das Elend einer repräsentativen Demokratie, die den Opportunismus, die materielle Ungleichheit im Land und die zur Sicherung dieses Herrschaftsverhältnisses erforderlichen Maßnahmen nicht zum Gegenstand der demokratischen Auseinandersetzung zu machen, mit Privilegien belohnt, während sie dagegen gerichtete soziale Bewegungen unter Verweis auf die funktionierende demokratische Willensbildung ausgrenzt.

2. September 2009