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HERRSCHAFT/1602: Trumpfkarte Sozialrassismus - SPD will von Sarrazin nicht lassen (SB)



Die Ausschlußanträge von vier SPD-Gliederungen inklusive der Bundespartei wurden zu Makulatur, nachdem Thilo Sarrazin in einer kurzen Erklärung die ihm zur Last gelegten Absichten widerrief. Es spielt keine Rolle, daß seine sozialrassistischen Ansichten tausendfach belegt sind, denn die Partei braucht Politiker wie ihn. Die Schiedskommission der SPD Charlottenburg-Wilmersdorf gab sich, allem Anschein nach in Übereinstimmung mit führenden Sozialdemokraten, damit zufrieden, daß Sarrazin gelobte, zukünftig darauf zu achten, "durch Diskussionsbeiträge nicht mein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen in Frage zu stellen oder stellen zu lassen." Was immer der ehemalige Bundesbanker in seinem Interview mit Lettre International und seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" behauptet hat, läßt sich zwar nicht mehr aus der Welt schaffen, aber durchaus mit der sozialdemokratischen Parteiräson vereinbaren.

Damit bezieht die SPD anhand Sarrazins, der als Person angesichts der europaweiten Popularität des von ihm propagierten Sozialrassismus allemal austauschbar ist, Position für die Agenda des sozialen Ausschlusses und der kulturalistischen Suprematie. Das ist zwar nichts Neues, aber dennoch signifikant hinsichtlich besagter sozialdemokratischer Grundsätze, die immerhin in der Tradition einer einstmals klassenbewußten und internationalistischen Arbeiterpartei wurzeln. Diese seit langem überwunden zu haben hat die SPD mit dem Amtsantritt des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zur Beteiligung Deutschlands an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und an Bushs Globalen Krieg gegen den Terrorismus qualifiziert. Vor allem jedoch kann sie sich das Verdienst an die Brust heften, mit der neoliberalen Modernisierung der Bundesrepublik verbliebene Reste antagonistischen Klassenbewußtseins zugunsten der Renationalisierung der deutschen Arbeiterschaft und ihrer Atomisierung in marktwirtschaftlicher Konkurrenz vollzogen zu haben.

Mit dem Verbleib Sarrazins in ihren Reihen schickt sich die SPD erneut an, auf die Höhe des globalen Krisenmanagements zu gelangen. Als Volkspartei von akutem Bedeutungsverlust bedroht vollzieht sie die Kehre ins Völkische nun nicht mehr nur im Kampf europäischer Standortkonkurrenz um Produktivitätsvorteile gegenüber den Erwerbstätigen anderer EU-Staaten. Das positive Bekenntnis zu leitkultureller Selbstbehauptung ist die besondere Ingredienz, die Sarrazin in die Doktrin einer Sozialdemokratie einbringt, der keine Schmähung zu billig zu sein scheint, wenn sie nur der Überformung der kapitalistischen Verwertungskrise durch kulturalistische Attribute nationaler Bestandssicherung dient.

Das ist gut für die SPD, weil der Verdacht, die sozialdemokratische Agenda könnte noch Restbestände emanzipatorischer Befreiung vom Diktat der Ökonomie und dem Identifikationsangebot des Nationalismus aufweisen, rückstandslos der "klaren Kante" eines Müntefering weicht, der - den neoliberalen Zuchtmeistern zum Wohlgefallen - die Unversöhnlichkeit des kapitalistischen Arbeitsethos schon vor Jahren predigte. Das ist gut für die Partei die Linke, weil es diejenigen Mitglieder, die den Schulterschluß mit der SPD anstreben, zur Kenntlichkeit des Sarrazynismus entstellt. Und das ist gut für all diejenigen, die meinten, bei den Thesen des Berliner Politikers handle es sich um ein populistisches Strohfeuer, über das man erhaben sei. Die gesellschaftliche Transformation nach rechts ist in vollem Gange, sie zu unterschätzen kann sich nur leisten, wer an ihr teilhaben will.

siehe dazu auch:
BERICHT/052: Dreikönigstreffen mit Sarrazin ... vom Diskurs zum Tribunal (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prber052.html

22. April 2011