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HERRSCHAFT/1635: Hohe Suizidrate in Griechenland Folge einer mörderischen Austeritätspolitik (SB)



Die vorgebliche Rettung Griechenlands aus der Schuldenkrise durch Sparmaßnahmen trägt den Tod im Wappen. Einst verzeichneten die Griechen die geringste Suizidrate in Europa, jetzt haben sie sich binnen wenigen Jahren an die Spitze des Kontinents gesetzt. Pro Tag nehmen sich im Durchschnitt zwei Griechen das Leben. Die Zahl der Selbstmorde habe sich in kurzer Zeit verdoppelt, wenn nicht sogar verdreifacht, berichtete der Psychologe Aris Violatsis, der bei der Suizidberatungsstelle Klimaka arbeitet, der Athener Zeitung "Kathimerini" [1]. Die Dunkelziffer läge noch viel höher.

In Griechenland folgt ein Sparpaket dem nächsten, staatliche Strukturen werden abgebaut, Versorgungsleistungen zurückgefahren. Der Druck auf die Bevölkerung wächst; man muß bereits von einem Überlebensdruck sprechen. Daß die Tötung aus eigener Hand erfolgt, mag formal gesehen zutreffen, doch werfen die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise und die vom Triumvirat EU, IWF und EZB oktroyierte Austeritätspolitik ihre Schatten auf das Land und sorgen für gesenkte Häupter. Auf diese Weise wird selektiert, wobei tendenziell die Starken und zur grenzenlosen Anpassung bereiten Menschen überleben. Andere bringen sich um.

Der Suizid stellt eine extrem passive Form des Widerstands gegen die vorherrschenden Ausbeutungsverhältnisse dar. Auf diese Weise entziehen sich die Menschen zwar davon, weiterhin beraubt und beherrscht zu werden, aber zu einem ultimativen Preis. Wobei der stille Tod vieler Griechen nicht die Wirkung eines Fanals hat so wie in Tunesien die Selbstverbrennung Mohammed Buazizis vor etwas über einem Jahr. Der hatte mit seinem Tod maßgeblich einen Aufstand ausgelöst, der schließlich zum Sturz der tunesischen Regierung führte.

Die gesellschaftlich vorherrschenden Kräfte haben kein Problem damit, wenn sich Menschen, die dem auf sie ausgeübten Druck nicht gewachsen sind, umbringen. Auch wenn es nicht das primäre Ziel von Herrschaft sein kann, Menschen zu vernichten, so wären doch diejenigen, die sich töten, vermutlich auf Dauer sowieso für keinen hochausbeuterischen Produktionsprozeß zu gebrauchen. Mit empfindsamen Menschen kann eine moderne und rein auf ihr Nützlichkeitsinteresse konzentrierte Gesellschaft nichts anfangen.

In den Medien erregt die außergewöhnlich hohe Suizidrate der Griechen keine besondere Aufmerksamkeit. Es wird schlicht hingenommen, daß die Menschen an ihrer Lage verzweifeln - falls diese leidvolle Entwicklung überhaupt reflektiert wird. Ein Bezug der Selbstmorde zur Schuldenkrise wird zwar hergestellt, aber als eine Art Kollateralschaden angesehen.

Griechenland verzeichnet eine hohe Arbeitslosigkeit, geringe Entlohnung, lange Arbeitszeiten. Es findet ein rasanter Demokratieabbau statt, der zu einer stabilen Staatsform überleitet, in der die Verwertung menschlicher Arbeit unmittelbarer als heute organisiert wird. Damit wird Griechenland Vorreiter für ganz Europa. Wer von den Einwohnern über die entsprechenden Mittel verfügt, hat sein Geld längst ins Ausland transferiert. Es bedarf keiner wissenschaftlichen Untersuchung, um die Behauptung aufzustellen, daß die hohe Selbstmordrate unter den vielen verarmten und nicht unter den wenigen reichen Einwohnern Griechenland verzeichnet wird.



Anmerkungen:

[1] http://www.fr-online.de/panorama/schuldenkrise-selbstmordrate-in-griechenland-steigt,1472782,4534020.html

21. Dezember 2011