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HERRSCHAFT/1654: Demobilisiert die Krise des Kapitals die Partei Die Linke? (SB)




Eine Leistung besonderer Art vollzog Die Linke in Schleswig-Holstein, indem sie den Zweitstimmenanteil bei der Landtagswahl um fast zwei Drittel von 6,0 Prozent 2009‍ ‍auf nunmehr 2,2 Prozent reduzierte. Zweifellos schafften die Bundestagswahlen 2009 günstige Bedingungen für die zeitgleich abgehaltene Landtagswahl im nördlichsten Bundesland, die dieses Mal fehlten, zweifellos hat die Piratenpartei das parlamentarische Kräfteparallelogramm durcheinandergebracht, und ganz bestimmt haben die innerparteilichen Auseinandersetzungen auf Bundesebene auch negative Folgen für das Ansehen der Linkspartei im Land gezeitigt. Dennoch ist es schon fast als Kunststück zu bezeichnen, wenn eine sozialistische Partei inmitten der Krise des Kapitals einen derartigen Einbruch in der Wählergunst erleidet.

Gerade weil Die Linke noch in vielen, auch kommunalen Bereichen Gegenpositionen zu den bürgerlichen Parteien vertritt, müßte sie in besonderer Weise mobilisierungsfähig sein. Wenn das Gegenteil der Fall ist, dann ist der Anspruch des sozialen Widerstands offensichtlich unter die Räder eines Opportunismus geraten, der für die parlamentarische Zurichtung basisdemokratischer Anliegen signifikant ist. Wenn schon der Kampfbegriff "Antikapitalismus" kaum mehr über die Lippen kommt und von Sozialismus keine Rede sein soll, weil das zu sehr an die DDR erinnert, dann kommt die Frage auf, wieso das rote Banner nicht gleich zugunsten einer weniger provokanten und konsensfähigeren Farbe gestrichen wird. Die Drift in die politische Mitte, der sich die schleswig-holsteinische Linke mehr als andere westdeutsche Landesverbände hingegeben hat, führt ins Nirgendwo eines sozialdemokratischen Appendix, den keiner braucht, weil das Original alle Wünsche an herrschaftsopportuner Gefälligkeit erfüllt.

Die Krise der Linkspartei, die in Schleswig-Holstein überdeutlich manifest wurde, verläuft zudem in Gegenrichtung zu einer europäischen Erstarkung linker Parteien, die insbesondere vom widersprüchlichen Charakter der Austeritätspolitik profitieren. Wo die nationalen Volkswirtschaften systematisch ihrer reproduktiven Potentiale beraubt werden, um Kapitalinteressen zu sanieren, bleibt das Interesse des Gros der Bevölkerungen an angemessenen Lebensbedingungen auf der Strecke einer systemischen Hegemonie, der nichts anderes wichtig ist, als die Verwertungsbedingungen des Kapitals zu optimieren. Die daraus resultierenden sozialen Nöte durch marktwirtschaftliche Wachstumskonzepte zu kompensieren, mit denen der neoliberalen Rationalisierungslogik neue Legitimation verschafft wird, ist Ausdruck einer Beschwichtigungspolitik, die den Ausverkauf sozialer Forderungen längst antizipiert hat.

Nicht eine Umverteilung, die den sozialdarwinistischen Konkurrenzdruck in Gestalt nach unten verschobener Ausgrenzungslinien rekonfiguriert, sondern ein systemischer Wechsel vom Marktmodell zu solidarischen Formen ökonomischer Vergesellschaftung stände einer Linken als Antwort auf das herrschende Krisenmanagement gut zu Gesicht. Was dort an Standortnationalismus, Zwangsintegration in die Arbeitsgesellschaft, Bezichtigung von Leistungsempfängern zwecks Kostensenkung und einer zusehends militaristischen Logik deutscher Exportpolitik gepredigt wird, ist allemal mit guten und plausiblen Argumenten seines menschenfeindlichen Charakters zu überführen. Wenn grüne Spitzenkandidaten einem angeblich "positiven Patriotismus" frönen und sich christlich nennende Politiker Leistungsbeschränkungen im Gesundheitswesen vorantreiben, wenn Sozialdemokraten in der sozialrassistischen Suprematie der neuen Rechten ihr Lager aufschlagen und das liberale Freiheitsgedröhne seinen braunen Kern immer weniger übertünchen kann, dann wäre das Feld offen für eine Linke, die diejenigen Menschen in dieser Gesellschaft um sich sammelt, die nicht nur aus persönlicher Betroffenheit, sondern grundsätzlicher Opposition gegen diese Barbarisierung der Politik eingestellt sind.

Daß es dazu immer weniger kommt, ist nicht etwa die Schuld der Piraten, die zu einer Generalausrede für die Defizite linker Handlungsfähigkeit avancieren. Das glatte Gegenteil ist der Fall - die programmatische Beliebigkeit der Piraten öffnet den repräsentativen Parlamentarismus noch weiter, als es ohnehin der Fall ist, den Imperativen einer Politik des Ausnahmezustands, die mit Weimarer Verhältnissen insofern unzureichend beschrieben ist, als die Komplexität und Eigendynamik gouvernementaler Dispositive längst nicht mehr auf den nationalstaatlichen Rahmen beschränkt ist. Allein die Einsetzung nichtgewählter Technokratenregimes in Griechenland und Italien, die Unterwerfung ganzer Volkswirtschaften unter die Spardiktate supranationaler Finanzagenturen oder die Willkür einer Kriegführung, deren Initiatoren sich herausnehmen, in jedem Land der Welt mit Killerdrohnen Lynchjustiz zu üben, im Namen von Demokratie und Menschenrechten blutige Regimewechsel zu vollziehen und ihnen zu paß kommende Abrüstungsforderungen militärisch zu erzwingen, belegen den Mißstand gezielt produzierter neokolonialistischer Verfügungsverhältnisse.

So legitimiert die globale Synchronizität der Krisen des Kapitals, des Klimas, der Ressourcen und der politischen Systeme eine Sachzwanglogik, der die demokratischen Willensbildungsprozesse schon jetzt, wie das Totschlagargument der Refinanzierung der Staatshaushalte belegt, fast widerstandslos ausgeliefert sind. Diese Zwangsverhältnisse zu bestreiten kann in Anbetracht nicht etwa naturförmig über die Menschen gekommener, sondern über ihre Einbindung in die Überlebenslogik angeblicher Schicksalsgemeinschaften forciert entwickelter Krisenszenarios gelingen, wenn radikale Antworten wie etwa die schlichte Verweigerung der Schuldenrückzahlung im Falle Griechenlands oder die Durchsetzung sozialer Forderungen mit Hilfe politischer Streiks gegeben werden.

Es ist wie mit dem Hasen und dem Igel. Wo die Piraten die Claims noch zu hebender Mandate mit dem Angebot, jedem Interesse dienlich zu sein, wenn es nur mehrheitsfähig ist, besetzen, kann Die Linke aufgrund ihrer politischen Prinzipien immer nur zu spät kommen. Eine gezielte und durchdachte Politik von unten ist den Piraten so wesensfremd, wie ihr instrumentelles Verhältnis zur demokratischen Willensbildung geradezu danach verlangt, mit dem Argument alternativloser Erfordernisse von autoritären Mandaten besetzt zu werden. Die vermeintliche Stärke der Piraten, für alles offen zu sein, wenn nur das demokratische Procedere gewährleistet ist, wird sich als ausgesprochene Schwäche hinsichtlich der Verwirklichung sozialer und humanistischer Ziele erweisen. Sie sind nicht umsonst der Darling einer Journaille, die in die sich selbst zugewiesene Rolle als Manager einer angeblich zu komplex gewordenen und daher für den dummen Bürger vorzusortierenden Informationsflut verliebt ist. Den Konzern- und Staatsmedien sind über die Funktionsweise kapitalistischer Gesellschaften aufgeklärte Menschen schon deshalb ein Greuel, weil der professionelle Welterklärer noch so dick auftragen kann, um dennoch als Legitimationsproduzent in eigener Sache - und damit in eins fallender herrschender Interessen - durchschaut zu werden.

Von daher ist das Lamento linker Politiker über den unfairen Umgang kapitalistischer Massenmedien mit ihrer Partei von Anfang an verfehlt. Gerade weil Die Linke noch auf antagonistische Weise wirksam ist, wird ihr nach Kräften in die Parade gefahren. Zweifellos ist das desaströse Wahlergebnis in Schleswig-Holstein auch eine Folge des medialen Antikommunismus, so wenig sich die davon Betroffenen auch als Kommunisten gebärden mögen. Wer die Hitze nicht erträgt, sollte gar nicht erst in die Küche gehen, allerdings verspricht das globale Krisenszenario so drastisch zu eskalieren, daß nicht einmal die Wahl bleibt, sich fern vom Feuer zu halten. Politische Radikalisierung gerade im Angesicht aller dagegen gerichteten Drohungen und Maßnahmen der Ächtung und Repression ist vonnöten, wenn es tatsächlich um eine bessere Welt gehen soll. Auch wenn die Chance gering ist, daß Die Linke dem Sog parlamentarischer Konsensproduktion widersteht, auch wenn es sehr wahrscheinlich ist, daß sie als rundgeschliffener Kiesel, dem zum Trost ein kleiner Platz am Fuß des Monuments historischen Versagens reserviert wird, bestätigt, wie wenig der Mensch bereit ist, über sich hinauszuwachsen, so kann sie doch so lange als entwicklungsfähig gelten, als die Verschärfung lebenswidriger Verhältnisse noch schneller vonstatten geht als der eigene Niedergang.

8.‍ ‍Mai 2012