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HERRSCHAFT/1692: Sarrazin im Wartestand - Überleben durch Staat und Nation (SB)




Die in harmonischer Eintracht vereinte junge Familie könnte einer Versicherungswerbung oder einem Wahlplakat der CSU entsprungen sein. Doch das Glück im Geviert normgerechter biologischer Reproduktion ist bedroht, wird doch der Aufruf "Für die Zukunft der Familie" von der dunkel abgesetzten Frage "Werden Europas Völker abgeschafft?" überschattet. Thilo Sarrazin läßt nicht nur grüßen, er ist einer der Hauptredner der "2. Konferenz für Souveränität", die mit diesem Banner [1] beworben wurde. Daß sich die Veranstalter explizit auf sein Buch "Deutschland schafft sich ab" berufen, ist in Anbetracht des Erfolgs, den diese Kampfansage an die Reste linker Hegemonie in der Bundesrepublik vor drei Jahren hatte, nicht weiter erstaunlich. Aufhorchen läßt eher die Tatsache, daß mit Jürgen Elsässer ein ehemaliger linker Publizist für die antikommunistischen und kulturreaktionären Thesen des Netzwerkes um die unter anderem von ihm begründete Zeitschrift "Compact" verantwortlich zeichnet.

Zwar ist es in der spätkapitalistischen Gesellschaft nicht ehrenrührig, in jungen Jahren klassenkämpferischen Idealen nachgehangen oder sich im Dunstkreis revolutionärer Gruppen aufgehalten zu haben. Wo Thomas Schmid, Herausgeber des Springer-Zentralorgans Die Welt, Daniel Cohn-Bendit, heute Verfechter eines angeblich wohlwollenden EU-Imperialismus, und Joseph Fischer, der maßgeblichen Anteil daran hatte, Deutschland wieder kriegsfähig zu machen, einst in der Gruppe Revolutionärer Kampf an den Werkstoren standen, um Arbeiter zu agitieren, da befindet sich Elsässer in bester Gesellschaft. Auf seinem Weg vom Magazin Bahamas über die Wochenzeitung Jungle World und das Magazin konkret bis zu den Tageszeitungen junge Welt, deren Redaktion er zwei Mal angehörte, und Neues Deutschland schritt er das ganze Spektrum von antinational bis antiimperialistisch ab, um schlußendlich im sozialchauvinistischen Milieu der Apologeten kapitalistischer Staatlichkeit anzukommen.

Als Elsässer den frisch wiedergewählten iranischen Präsidenten Ahmedinejad ausdrücklich dafür lobte, mit Hilfe seiner Repressionsorgane den einen oder anderen Gegner, zu denen er auch die "Strichjungen des Finanzkapitals" zählte, "in einen Darkroom befördert" zu haben, ruderte er zwar mit einer ausführlichen Entschuldigung [2] für diese Wortwahl zurück. Doch ist dem von ihm herausgegebenen Monatsmagazin Compact schon von daher ein homophober wie antifeministischer Grundtenor implizit, als dort die Besinnung auf die kleinfamiliäre Keimzelle der Gesellschaft ganz im Sinne der Konferenz, die am 23. November in Leipzig stattfand, als rettender Ausweg aus "Familienfeindlichkeit, Geburtenabsturz und sexueller Umerziehung" [1] propagiert wird. Daß die Besinnung auf die vermeintlich normale Familie im Kontext nationaler Souveränität auf jene Staatenkonkurrenz abhebt, die vom deutschen Imperialismus verwöhnte Bürger über die angebliche Faulheit der Griechen schwadronieren läßt, könnte einem mit allen Wassern politischer Ideologieproduktion gewaschenen Publizisten wie Elsässer nicht klarer sein.

Das Kokettieren mit kulturalistischen und sozialchauvinistischen Positionen stieß denn auch bei einer prominenten Vertreterin der Alternative für Deutschland (AfD) auf Resonanz. Da mit Frauke Petry ein Vorstandsmitglied der AfD in Leipzig auftrat, die mit 4,7 Prozent bei der Bundestagswahl auf Anhieb mit der FDP gleichzog und ein bürgerliches Lager anspricht, das die eigenen Privilegien durch noch mehr Staatsgewalt und Sozialfeindlichkeit retten will, kann Elsässer durchaus als Erfolg verbuchen. Zwischen dem SPD-Politiker Sarrazin und der AfD-Frontfrau Petry ist viel Platz für jene bourgeoisen Eliten, die zwar tunlichst darauf achten, sich von offener neonazistischer Propaganda fernzuhalten, die allerdings mit Staat und Kapital, Volk und Nation auf die Zementierung eines kapitalistischen Normalbetriebs setzen, in dem Außenseiter und Abweichler, Schwache und Arme bestenfalls notgedrungen geduldet werden.

So kommt mit Elsässer und Sarrazin zusammen, was zusammen gehört. Mit Hilfe sich kritisch gebender Zwischentöne wird ein bürgerliches Protestpotential umworben, dem die herrschende Eigentumsordnung über alles geht, wenn es nur selbst davon profitiert und diejenigen, die per Herkunft, Staatsbürgerschaft und Sozialstatus nicht dazugehören, außen vor bleiben. Souveränität ist als letztbegründendes Prinzip staatlicher Herrschaft Ausdruck einer potentiellen Ermächtigung, die im Ausnahmezustand mit der offenen Gewalt der sie verkörpernden Interessen droht. Daß sich diese zusehends gegen Menschen richten, die als unproduktiv stigmatisiert werden, ist der gemeinsame Nenner all jener Ideologien, die zwischen rechter Sozialdemokratie und rechtspopulistischen bis nationalistischen Bewegungen siedeln, um dort das Heil eigenen Überlebens in sozialdarwinistischer Ausgrenzung zu suchen.

Davon nicht betroffen zu sein, sondern auf der Seite der gesellschaftlichen Gewinner zu stehen, eint die Klientel dieser Volkstribune bei allen Unterschieden, die in politischen Sachfragen zwischen ihnen herrschen mögen. Die Virulenz des antikommunistischen Feindbildes, das den norwegischen Attentäter Anders Bering Breivik in seinem Feldzug gegen "Kulturmarxismus" zum Massaker an einer sozialistischen Jugendorganisation veranlaßte, hat auch ein Vierteljahrhundert nach dem weitgehenden Ende der realsozialistischen Staatenwelt nichts von ihrem Mobilisierungs- und Legitimationspotential verloren. Insofern ist die Karriere Jürgen Elsässers zu einem Sarrazin im Wartestand nicht nur dem der politischen Klasse inhärenten Opportunismus geschuldet, sondern zeugt als überlebenstechnisch adäquate Antwort auf den Niedergang solidarischer Positionen von der prinzipiellen Bereitschaft, die Konsequenz eigener Teilhaberschaft an Ausbeutung und Unterdrückung in der Stärkung autoritärer Staatlichkeit zu ziehen.


Fußnoten:

[1] https://www.compact-magazin.com/compact-konferenz/

[2] http://juergenelsaesser.wordpress.com/2009/06/15/gluckwunsch-ahmadinedschad/


im Schattenblick siehe auch dazu
BERICHT/052: Dreikönigstreffen mit Sarrazin ... vom Diskurs zum Tribunal (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prber052.html

24. November 2013