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HERRSCHAFT/1728: Eine Lektion in grün-schwarzer Realpolitik (SB)



An Kapitänen, die das Schiff der Grünen in den sicheren Hafen der nächsten Regierungsbeteiligung gesteuert haben, hat es der Partei nie gefehlt. Deren Basis nahm diese Manöver unter obligatorischen Bauchschmerzen allemal hin, reklamiert man doch einen zukunftsweisenden Gesellschaftsentwurf für sich, der ohne die bürgerliche Mitte nicht auskommt, in der man der Einfachheit halber selber angekommen ist. Daß dieser Langzeitplan mitunter gewöhnungsbedürftige Kurskorrekturen erfordert, liegt auf der Hand. So muß die grün-schwarze Perspektive, wie sie derzeit unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg als Modell für andere Länder oder gar die Bundespolitik vorexerziert wird, mitunter liebgewonnenen Ballast über Bord werfen, um das Vehikel flott zu halten. Und das geht so:

100 Tage nach Amtsantritt der grün-schwarzen Landesregierung in Stuttgart sieht sich diese wegen geheimer Nebenabsprachen, die von der Lokalpresse aufgedeckt wurden, mit massiver Kritik beim politischen Gegner, unter den Verbänden und selbst in den eigenen Reihen konfrontiert. Heftige Vorhaltungen muß sich vor allem Kretschmann gefallen lassen, der mit dem Slogan "Regieren ist eine Stilfrage" und dem Anspruch, eine "Politik des Gehörtwerdens" zu verfolgen, die Wahl gewonnen hat. Davon ist inzwischen kaum noch etwas zu spüren, im Gegenteil. Bei der Erarbeitung des Koalitionsvertrags hatten die Verhandlungsteams um den grünen Regierungschef Winfried Kretschmann und CDU-Landeschef Thomas Strobl noch auf eine breite Einbindung ihrer Parteigänger gebaut. So nahmen neben Abgeordneten aus Stuttgart, Berlin und Brüssel auch Kommunalpolitiker und Parteifunktionäre an den Gesprächen teil. Dann wurden die Runden kleiner.

Eine "Nebenabsprache" über 43 Projekte, die vom allgemeinen Haushaltsvorbehalt ausgenommen sein sollten, haben die fünf Grünen- und die vier CDU-Politiker der Kerndelegationen unterschrieben. Das heiklere Dokument über Sparvorhaben trägt nur noch vier Unterschriften: die von Kretschmann und Strobl sowie die der damaligen Fraktionschefs von Grünen und CDU, Edith Sitzmann und Guido Wolf. Jetzt steht die Frage im Raum, ob Kretschmann und Strobl weitere schriftliche Vorfestlegungen getroffen haben, die außer ihnen niemend kennt. Seitdem enthüllt wurde, was die beiden in immer kleinerer Runde abseits des Koalitionsvertrags erst an Milliardenausgaben und dann an Milliardensparmaßnahmen vereinbart haben, zieht die Kritik an den Nebenabsprachen immer größere Kreise. [1]

Die Dimension dieser zunächst geheimen Absprachen ist beispiellos, sollen sich diese doch in der Endstufe bis 2020 auf 1,8 Milliarden Euro jährlich summieren. Sie umfassen die Streichung von 5000 Stellen, Eingriffe in die Beamtenbesoldung im Gegenwert von 500 Millionen Euro, einen "Konsolidierungsbeitrag" der Kommunen von 300 Millionen Euro und die Erhöhung der Grunderwerbssteuer auf 6,5 Prozent, was 300 Millionen Euro pro Jahr mehr in die Kassen spülen soll. [2]

Was der grüne Ministerpräsident seit dem scheibchenweisen Bekanntwerden der Details dazu geäußert hat, läßt tief blicken. Hinter den Kulissen Absprachen zu treffen, sei nötig, verteidigte er die haarsträubende Intransparenz auf einer Regierungspressekonferenz: "Das geht doch anders gar nicht. Alles andere ist hochgradig naiv." Auch er müsse manchmal Deals abschließen, fuhr er fort, um dann den seither vielzitierten Satz anzufügen: "Ich mauschele schon immer." Man müsse das nur "in Grenzen halten" und dürfe "es nicht zur Grundlage der Politik machen". [3]

Im Gespräch mit dem SWR ging Kretschmann sogar in die Offensive und gab der Zuhörerschaft eine Lektion in grün-schwarzer Realpolitik. In eine Koalition, die 1,8 Milliarden Euro einsparen müsse, könne man nicht "im Blindflug" gehen. "Das ist der Instrumentenkasten, auf den man möglicherweise zurückgreifen muss", erklärte der Ministerpräsident, als spreche er über einen schwäbischen Handwerksbetrieb. Von größeren Problemen nach dem Bekanntwerden der geheimen Absprachen will er nichts wissen: "Es ist verhandelt worden von den Koalitionsspitzen. Insofern, wieso soll jetzt ein Verhandlungsergebnis die Koalition belasten?", so der Stuttgarter Sonnenkönig in monarchistischer Gleichsetzung der Landeschefs mit ihren Fraktionen. [4]

Was ihn aber doch ärgert ist der Umstand, daß die geheimen Verhandlungen überhaupt öffentlich wurden. "Allerdings muss ich natürlich selbstkritisch sagen: Wenn man vertrauliche Absprachen macht, muss man auch schauen, dass sie vertraulich bleiben. Wenn man das nicht hinbekommt, was man jetzt sieht, dann lässt man's besser bleiben." Daß sich seine vorgebliche Selbstkritik in einer Verstimmung darüber erschöpft, daß die Absprachen nicht geheim geblieben sind, trägt ihm natürlich auch Empörung der eigenen Parteibasis ein, die eine heraufziehende Katastrophe korrodierender Glaubwürdigkeit wittert. Das nimmt Kretschmann jedoch auf die leichte Schulter, wenn er konstatiert, man müsse Verständnis dafür haben, daß es denen nicht gefalle, die bei den vertraulichen Absprachen nicht dabei waren. "Da kann man nie mit großem Beifall rechnen, das ist schon klar", so der Ministerpräsident über einen Vorgang, den er in letzter Konsequenz und Eigenmächtigkeit ganz allein vollzogen hat. [5]

Um den Unmut zahlreicher Abgeordneter der Regierungsfraktionen, die nun schon zum zweiten Mal aus der Presse die Inhalte von Nebenabsprachen erfahren mußten zu beschwichtigen, spielen Kretschmann und Strobl in einem Schreiben an die Landtagsabgeordneten ihrer Parteien die Bedeutung der Absprachen herunter, bei denen es sich angeblich um bloße Willensbekundungen ohne Bindungskraft handle. Wie Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz klarstellt, habe seine Landtagsfraktion im September eine Klausurtagung zum Haushalt. "Wir werden dabei die Vorschläge beraten. Am Ende entscheiden wir Parlamentarier und sonst niemand. Ohne unsere Zustimmung passiert nichts", so Schwarz, der den Vorteil hat, seinen Posten erst nach den Koalitionsverhandlungen eingenommen zu haben. Er ist daher nicht in die Verlegenheit gekommen, ein geheimes Zusatzdokument zu unterzeichnen.

Daß die Papiere tatsächlich so bedeutungslos sein sollen, kaufen viele Parteimitglieder Kretschmann und Strobl nicht ab. Warum wurden diese Nebenabsprachen keinem Parteitag vorgelegt, obgleich sehr konkrete Vorhaben darin stehen? Das alles ist zwangsläufig Wasser auf die Mühlen der AfD-Fraktion, die genüßlich in Richtung der Grünen ätzt: Es sei "interessant", daß "die angeblichen Gralshüter der Transparenz politischen Handelns" sich immer mehr als Machtpolitiker entpuppten, die dem politischen Filz frönten.


Fußnoten:

[1] http://www.tagblatt.de/Nachrichten/Die-Nebenabreden-von-Gruen-Schwarz-loesen-auch-in-den-eigenen-Reihen-zunehmend-Kritik-aus-300493.html

[2] http://www.tagblatt.de/Nachrichten/Weitere-Enthuellungen-sorgen-fuer-Unmut-in-den-eigenen-Reihen-und-empoeren-Opposition-und-Verbaende-300376.html

[3] http://www.tagblatt.de/Nachrichten/Geheimpapier-sieht-Abbau-von-5000-Stellen-vor-300257.html

[4] http://www.swr.de/landesschau-aktuell/sparzwang-in-baden-wuerttemberg-kretschmann-verteidigt-geheime-absprachen/-/id=396/did=18011386/nid=396/1qmqgtv/

[5] http://www.welt.de/regionales/baden-wuerttemberg/article157813331/Kretschmann-verteidigt-gruen-schwarze-Nebenabsprachen.html

23. August 2016


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