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HERRSCHAFT/1741: Industriepolitik im Krisenmodus - Scheinargument E-Mobilität (SB)



Auf diese Zukunft wird gebaut, weil die Festigkeit ihres Fundamentes im Treibsand der permanenten Umwälzung der Produktivkräfte und aller daran geknüpften Sozialverhältnisse nicht trügerischer sein könnte. Die Verhinderung des Klimawandels muß herhalten für eine ganz und gar industriepolitische Maßnahme, die eine Form von Mobilität fortschreibt, die sozial elitär und ökologisch kontraproduktiv ist. Wo einst unter dem Vorwand, der Masse des Volkes ein erschwingliches Fahrzeug nebst zugehöriger Autobahnen zu bieten, Aufrüstung betrieben und Krieg geplant wurde, wird die Zukunft heute grün ausgemalt, während sehenden Auges soziale Verelendung und globale Verwüstung riskiert werden.

Was bei VW als "Zukunftspakt" ausgewiesen wird, erfüllt nicht einmal den unterstellten Umstand, es handle sich um eine Vereinbarung zwischen Konzernleitung und "Mitarbeitern". Das der Öffentlichkeit präsentierte "Modernisierungsprogramm" ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Konzernvorstand, Eigentümern, Gewerkschaft und Betriebsrat [1]. Unter diesen Akteuren sind Sozialdemokraten an entscheidender Stelle plaziert, die Sozialpartnerschaft im Krisenmodus als gigantische Rationalisierungs- und Innovationsoffensive durchbuchstabieren. Wer bei VW "mitarbeitet", wird nicht eigens um Zustimmung gebeten, wenn die Ware Arbeit, die er oder sie abliefert, nicht mehr benötigt wird. Die vielgepriesene Zukunft der E-Mobilität erweist sich angesichts dessen als Hebel einer Innovationsdynamik, der im Kern all diejenigen aus ihrer sozialen Reproduktion herauskatapultiert, die nichts als diese Ware anzubieten haben [2].

Daß die geplante Einsparung von 3,7 Milliarden Euro pro Jahr vor allem den Lohnabhängigen abgenötigt wird, findet in den Kommentaren der bürgerlichen Presse durchaus Erwähnung. Allein in der Bundesrepublik 23.000 Jobs abzubauen, um das Unternehmen "effizienter" und "schlanker" zu machen, wird in notorischer, keine eigene Parteinahme oder auch nur Kritik erforderlich machender Ambivalenz zwar als soziale Härte für die betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter bedauert, jedoch als unausweichliche Maßnahme zum Umbau des Konzerns in Sicht auf seine künftige Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt begrüßt. Die dafür zuständigen Genossen tragen ihrem Ruf, bei der Sanierung Volkswagens auch an die Kolleginnen und Kollegen gedacht zu haben, dadurch Rechnung, daß es bis 2025 keine betriebsbedingten Kündigungen geben, sondern der Arbeitsplatzabbau über Altersteilzeit, Frühverrentung und nicht erfolgende Neubesetzung freiwerdender Jobs vonstatten gehen soll. So kann sich der Gesamtbetriebsrat rühmen, mit dafür gesorgt zu haben, daß die Arbeitsplätze der Stammbelegschaft sicher seien.

Einmal mehr wird auf Kosten der Schwächeren für Ruhe an der Front möglicher Arbeitskämpfe gesorgt. Denn die ersten der rund 9000 von Kündigung bedrohten Leiharbeiter müssen schon zum Jahresende ihren Spind leerräumen, und das soll klaglos verlaufen, wie es sich für eine per Definition zur Manövriermasse flexibler Beschäftigungspolitik geschaffene "Humanressource" gehört. Das auch in der sogenannten Flüchtlingskrise praktizierte Ausspannen sozialhierarischer Strukturen innerhalb der Lohnabhängigenklasse zementiert die Verfügungsgewalt über die Arbeit nur deshalb, weil kämpferischer, mit allen nicht zur Eigentümerklasse gehörenden Menschen solidarischer Widerstand ausbleibt. Die Sozialdemokraten in Gewerkschaften und Bundesregierung ziehen an einem Strang einer Spaltungsstrategie, an der die vor kurzem erfolgte Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nichts ändert, weil sie ihrerseits ein Musterbeispiel für eine sozial bemäntelte Übervorteilung der betroffenen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter ist.

So weit, so vertraut, möchte man angesichts des für den nationalen Wettbewerbsstaat konstitutiven Interessengegensatzes zwischen Kapital und Arbeit meinen. Daß allerdings die VW-Führung mit der Manipulation der Dieselfahrzeuge selbst den Handlungsbedarf geschaffen hat, der nun zu Lasten der Lohnabhängigen realisiert wird, beim Vortäuschen besserer Abgaswerte durch gesetzliche Vorkehrungen der Bundesregierung begünstigt wurde und keine mit individuellen Einbußen versehene Verantwortung für den dabei angerichteten Schaden übernimmt, könnte die von Entlassung, Verdichtung der Arbeitsintensität und Lohnstagnation Betroffenen schon nachdenklich machen. Traten sie noch kurz nach Beginn der Abgasaffäre in T-Shirts an, auf denen der Betriebsrat unter den Logos von VW und IG Metall das Motto "Ein Team. Eine Familie." aufdrucken ließ, werden sie nun daran erinnert, daß gerade Familienintrigen zu grausamen sozialen Massakern auswachsen können. Eingeschüchtert von der Standortlogik einer Branche, die ihre Produktion bereits zu zwei Dritteln ins Ausland verlagert hat, niedergedrückt vom Sachzwang eines Kapitalismus, der mit diesem jeden Widerspruch verbietenden Konstrukt vergessen macht, daß die Sache selbst stets die Befreiung von Zwang und nicht seine Durchsetzung ist, nehmen viele die angebotene Schadensminderung als in Sicht auf einen bereits verloren geglaubten Kampf kleineres Übel in Kauf.

Wo der einzelne mit Blessuren davonkommen mag, sieht die gesellschaftliche Zukunft der Automobilproduktion düster aus. E-Mobilität wird vollmundig als ökologisch nachhaltige Chance auf ein gutes Geschäft verkauft, als liege der Wurm nicht darin, daß es sich beim menschheitsgeschichtlich noch sehr jungen Automobilismus um die wohl irrationalste Form der Fortbewegung handelt. Auch in seiner elektrifizierten Form stellt der motorisierte Individualverkehr eine ressourcen- und klimatechnische Sackgasse dar, so daß das Wolfsburger Krisenmanagement mit dieser Planung nicht einmal eine Notlösung präsentiert.

Elektroautos bestehen vor allem aus großen Batterien, die ein völlig ungeklärtes Problem infrastruktureller und ökologischer Art darstellen. Da sich Akkus erschöpfen, verfügen sie über eine begrenzte Lebensdauer, an deren Ende sie ein ihrem Gehalt an Umweltgiften aller Art gemäß großes Entsorgungsproblem darstellen. Da sie Strom verbrauchen und die Umstellung auf erneuerbare Energien noch Jahre in Anspruch nehmen wird, werden Elektroautos sogar als Argument für die fortgesetzte Notwendigkeit der Braunkohleverstromung angeführt. Da mineralische Ressourcen wie Seltene Erden in großem Maße zu ihrem Bau benötigt werden, befeuert die E-Mobilität im Individualverkehr den Extraktivismus, der im Globalen Süden mit mörderischer Zerstörungskraft zu Werke geht. Der für diese Verkehrsform erforderliche Bau von Straßen und Parkflächen macht aus vitalem Boden tote Asphaltflächen und emittiert seinerseits in erheblichem Maße Treibhausgase.

Zudem stellt der motorisierte Individualverkehr einen Angriff auf den Ausbau eines sozialökologisch sinnvollen öffentlichen Nahverkehrs sowie des Fernverkehrs für Personen und Güter auf der Schiene dar. Die vorhandenen Haushaltsmittel werden zuerst in die Förderung der E-Mobilität eingespeist und legen einen infrastrukturellen Entwicklungspfad in die gebaute Umwelt, der als selbstgeschaffener Sachzwang wiederum diese Mobilitätsform legitimiert. Die industriepolitisch motivierte und dem nationalen Wettbwerbsstaat gewidmete Entscheidung für die E-Mobilität ignoriert klimapolitische Notwendigkeiten, als handle es sich bei der Erderwärmung um ein technisches Problem, auf das man mit der technischen Lösung des Umstiegs von fossiler auf elektrische Transportmittel eine zureichende Antwort gebe. In solch einer anscheinend von Ingenieuren und Buchhaltern bewirtschafteten Welt wird systematisch unterschlagen, daß der Klimawandel soziale Folgen zeitigt, die ökologischen Handlungsbedarf als verharmlosende Chiffre akuter und massenhafter menschlicher Not erkennen lassen.

Von daher ist die angekündigte Modernisierungsoffensive nicht nur auf Sand gebaut, weil sie alle Lebens- und Arbeitsverhältnisse dem Profitinteresse einer kleinen Minderheit unterwirft. Sie stellt zudem ein sozialökologisch destruktives Beharren auf eine Produktionsweise dar, die im gleichen Atemzug, da man sie für überkommen erklärt, im Wortsinn befeuert wird. Die von den Autopropagandisten beschworene Zeitenwende ist, nicht anders als die dadurch angeblich überwundenen Produktionsverhältnisse des fossilen Kapitalismus, ein die Autonomie von Arbeiterinnen und Arbeitern wie die Lebensgrundlagen aller Menschen zerstörendes Herrschaftsprogramm. Also ein Anlaß mehr zum Aufbau einer Gegenmacht, die die Eigentumsfrage auf sozialökologische wie sozialrevolutionäre Weise stellt. Der im Keynesianismus steckengebliebenen Linken, deren Umverteilungskonzepte weder Rechenschaft über den materiellen Raubbau an den Ländern des Südens ablegen, ohne den es hierzulande nicht viel zu verteilen gäbe, noch an der ökologischen Unverträglichkeit des angeblich unhinterfragbaren Wachstumszwanges zweifeln, bietet sich eine Gelegenheit mehr, die herrschenden Verhältnisse auf eine so fundamentale Weise in Frage zu stellen, daß für ihre von interessierter Seite her unterstellte Nähe zur AfD nicht der geringste Anhaltspunkt bleibt.


Fußnoten:

[1] https://www.wsws.org/de/articles/2016/11/19/vowa-n19.html

[2] http://www.wildcat-www.de/wildcat/100/w100_abgasskandal.html

20. November 2016


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