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HERRSCHAFT/1741: Die Ära Trump - Wiederkehr vertrauter Klassenherrschaft (SB)



Drei Wochen nach der Wahl Donald Trumps zum nächsten Präsidenten der USA zeigt sich einmal mehr, daß längst nicht so heiß gegessen wie gekocht wird. Der polternde Populist gibt sich präsidial und läßt erkennen, daß er sich der Staatsräson allemal verpflichtet fühlt und nicht über die Stränge zu schlagen gedenkt. So signalisiert er imperiale Kontinuität, indem er im Bereich der Außenpolitik auf bewährte Falken aus dem Dunstkreis neokonservativer Kriegführung zurückgreift. Die Aktienwerte der Rüstungsunternehmen sind nach seiner Wahl deutlich gestiegen, man setzt auch in Zukunft auf Krieg, und daß dieser insbesondere die islamische Staatenwelt zum Ziel hat, ist kein Geheimnis.

Gerade hier ist die Schnittmenge mit der Kontrahentin Hillary Clinton so groß, daß sie sich gut als Außenministerin in seinem Kabinett machte. Wie konziliant Trump als Politiker ist und wie wohlkalkuliert seine Auftritte sind, bewies er, als er nur wenige Tage über die von ihm zuvor als "Lügnerin" gescholtene Kandidatin und ihre Familie sagte, daß sie "gute Leute" seien. Auch wirtschaftspolitisch stehen sich die beiden Lager näher, als es den Anschein macht. Das Investitionsprogramm, von dem die Wählerinnen und Wähler Trumps sich neue Jobs versprechen, besteht vor allem aus ordnungspolitischer Deregulierung und Steuererleichterungen für Unternehmen insbesondere der Baubranche. Ein solches Vorgehen, daß sich gegenüber der staatlich organisierten Ausgabenpolitik des New Deals unter Roosevelt durch Staatsferne und Kapitalnähe auszeichnet, muß nicht zur Entstehung angemessen bezahlter Lohnarbeit führen, bietet aber auf jeden Fall neuen Gelegenheiten für Investoren und Anleger.

Auch handelspolitisch ist nicht aller Tage Abend. Trump wird sich gut überlegen, ob er all die Produkte, die in den USA konsumiert und in anderen Ländern unter sklavenartigen Bedingungen gefertigt werden, mit so hohen Zöllen belegt, daß sich ihr Import kaum noch lohnt. Eine ernstzunehmende Abkopplung der Vereinigten Staaten vom der global organisierten kapitalistischen Warenwirtschaft ist weder handels- noch arbeits- noch währungspolitisch zu erwarten. Die Freihandelsabkommen NAFTA und TPP wie versprochen aufzukündigen heißt nicht, daß nicht zahlreiche bilaterale Handelsabkommen an ihre Stelle treten können. In jedem Fall werden seine Wählerinnen und Wähler, die zu einem Gutteil aus der lohnarbeitenden Bevölkerung stammen, erleben, daß es ihr Irrtum war, sich von einem prototypischen Unternehmer zu versprechen, daß er für soziale Wohltaten und höhere Löhne sorgt.

Der Preis der Arbeit wird zugunsten der Konkurrenzfähigkeit US-amerikanischer Unternehmen weiterhin niedrig bleiben, das gilt auch für eine etwaige Rückkehr zu hohen Zollschranken. In diesem Fall hätten die Arbeiterinnen und Arbeiter den Hauptteil der Rechnung zu bezahlen, nötigte der Wegfall niedrig entlohnter Arbeit in Asien und Lateinamerika ihnen doch auf, selbst dafür einzutreten, daß der zentrale Kostenfaktor der Produktion nicht unmäßig steigt. Solange der Dollar das Weltgeld erster Wahl bleibt und international operierende US-Unternehmen den wesentlichen Teil des nationalen Gesamtprodukts erwirtschaften, ist die im Wahlkampf propagierte Abkoppelung der USA von den ökonomischen Verwertungsbedingungen des globalisierten Kapitalismus pure Fiktion.

Trump ist nicht umsonst als Gewerkschaftsfeind bekannt, und auch deutsche Unternehmen lassen seit jeher bevorzugt im Süden der USA produzieren, wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad gering bis nicht vorhanden ist. Sollte er tatsächlich Millionen von Arbeitsmigrantinnen und -migranten ausweisen, so bliebe es doch dabei, daß sich der Preis der Ware Arbeit am Weltmarkt orientiert und die internationale Wettbewerbsposition des nationalen Wirtschaftsraums USA bestimmt. Kurz gesagt, der Glaube an die Wirkmächtigkeit individueller Politiker hat seinen Platz im Zirkus inszenierter Demokratie, während konkrete Entscheidungen unter ganz anderen Bedingungen und Notwendigkeiten getroffen und durchgesetzt werden.

Die auf zwei Parteien begrenzte Wahlmöglichkeit, deren Ergebnis durch sogenannte Wahlmänner gefiltert wird, die im Endeffekt einen Präsidenten küren, auf den landesweit weniger Stimmen entfallen als die unterlegene Kandidatin, hat viele Menschen erkennen lassen, daß sie bei der Abgabe ihrer Stimme die Wahl zwischen zwei Übeln treffen. Von daher ist ein sexistischer und rassistischer Macho wie Trump ebensowenig repräsentativ für das Gros der US-Bevölkerung wie die bellizistische Machttechnokratin Hillary Clinton. Trump und die Personen, die für Posten in seinem Kabinett nominiert wurden, repräsentieren die Geld- und Funktionseliten eines Landes, das extreme Klassenunterschiede produziert und diese zugleich mit den Mitteln nationalistischer Vergemeinschaftung und liberaler Scheinegalität leugnet.

So lebt der offenkundige Mythos, mit Trump sei ein gegen das Establishment angehender Kandidat zum Präsidenten gekürt worden, von der begrifflichen Inhaltsleere einer gesellschaftlichen Widerspruchslage, deren materielles Fundament nicht beim Namen genannt werden soll. Die privatwirtschaftliche Eigentumsordnung und der daraus resultierende Klassenunterschied zwischen den Eigentümern der Produktionsmittel inklusive des Kapitals und den demgegenüber auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesenen Lohnabhängigen bringt eine soziale Konfrontation hervor, deren kulturelle, religiöse und ethnische Gestalt nichts daran ändert, daß der zentrale Konflikt dieser Gesellschaft ein sozialer ist.

Das Aufbegehren einer materiell benachteiligten, mit kulturindustriellem Trash abgespeisten und schlichtweg für ungebildet, zurückgeblieben und sonstwie derangiert erklärten Bevölkerung gegen das sogenannten Establishment in Washington fand in Trump einen Repräsentanten ihrer Wut, weil er dem unverhüllten Dominanzstreben seiner Klasse auf eine Weise Ausdruck verlieh, die das linksliberale Lager nicht nur aufgrund seiner politischen Inhalte, sondern auch seines chauvinistischen Habitus gegen sich aufbrachte. Daß über die Hälfte seiner Wählerschaft weiblich ist, obgleich er Frauen in höchst beleidigender Weise vorführte, zeigt, daß das elitäre Distinktionsstreben einer Hillary Clinton bei vielen Frauen noch mehr Widerwillen hervorruft als die sexistische Brutalität Trumps.

Die in vielen Kommentaren nach dem unerwarteten Sieg Trumps widerhallende Diagnose, man sei zu leichtfertig davon ausgegangen, daß die Stimme der Vernunft über die Feindseligkeit des Populismus siegt, verebbt folgenlos auf dem Feld des Kulturkrieges. Als wären die identitätspolitischen Forderungen Clintons oder das fremdenfeindliche Ressentiment Trumps zentrale Inhalte der Wahl gewesen, wird verkannt, daß die Wählerinnen und Wähler Trumps auch ihrer Wut darüber Ausdruck verliehen, daß auf eine Weise über sie befunden wird, die ihnen nichts als Nachteile beschert. Ihr Aufbegehren hat durchaus Züge eines klassenkämpferischen Anliegens, allerdings ohne tieferes Verständnis für die Frage, wo genau der Feind, den sie meinen, eigentlich steht.

Daß Trump ein Volkstribun ist, der seine Rolle mit dem Verlassen des Filmstudios an der Garderobe abgibt, zeigt sich mit jedem Schritt, mit dem er vom rechtspopulistischen Schein zum realpolitischen Sein wechselt. Dem Zweiparteiensystem der USA gemäß, in dem die beiden einzig chancenreichen Parteien Plattformen verschiedener Strömungen darstellen, wird, wenn die letzten Wählerinnen und Wähler verstehen, daß er nie liefern wollte, was er ihnen vorgegaukelt hat, nur noch die pluralistische Besetzung seiner Regierung den Anschein einer Kontinuität zwischen vorher und nachher erwecken. Der rechtskonservativen Ausrichtung seiner Regierung eingedenk, bleibt ihre zentrale politische Funktion die eines Direktorats, das die Staatsräson imperialer Hegemonie und kapitalistischer Akkumulation so gut und schlecht wie vorherige Administrationen auch verwaltet.

Je irrealer die Hoffnungen auf gesellschaftlichen Wiederaufstieg und soziale Rehabilitation sich erweisen, desto weniger reichen Trostpflaster für die wissentlich erzeugte Irreführung der Wählerinnen und Wähler aus, um die vielzitierte gesellschaftliche Einheit herzustellen. Nicht zu erwähnen, daß diese in einer kapitalistischen Klassengesellschaft von vornherein nicht existiert und die im Wahlkampf häufig bemühte Floskel von der "Gespaltenheit" der US-Gesellschaft über die imperialistische Zweckgebundenheit ihrer sozialen Widerspruchslagen hinwegtäuscht, ist dem Dilemma geschuldet, daß die linksliberalen Kritiker Trumps an der Erfüllung dieses Zweckes ebenso interessiert sind wie der künftige Präsident. Dementsprechend verbaut die Auskunft, bei der Kientel Trumps handle es sich zu einem großen Teil um "Protestwähler", die Sicht auf den zentralen sozialen Konflikt.

Menschen in ihrem politischen Urteil nicht ernst zu nehmen, sondern als besinnungslose Manövriermasse politischen Kalküls zu disqualifizieren, verrät nichts als die Verächtlichkeit einer Bourgeoisie, die keineswegs daran interessiert ist, über die Mittel und Methoden ihres Klassenerhalts abstimmen zu lassen. Im Schattentheater kulturalistischer Ressentiments und der informationstechnischen Gleichschaltung der Menschen zu Schwärmen von Konsumenten geht denn auch weitgehend unter, wer auf Kosten wessen lebt. Weder die Spitzen der Republikaner noch der Demokraten haben ein Interesse daran, die materiellen Gewaltverhältnisse dieser Gesellschaft auf die politische Agenda zu heben. Bei allen Differenzen, die es zwischen ihren Lagern und den führenden Kapitalfraktionen der IT-Branche, des Finanzmarktes, der Waren produzierenden und vertreibenden Monopolisten geben mag, sind sich diese Akteure doch in einem einig - dem Fortbestand ihrer Herrschaft ist alles andere nachzuordnen. Die Inszenierung dieses Präsidenschaftswahlkampfes als bislang unerreichten Tiefpunkt der US-amerikanischen Demokratie ist ebenso Mittel zu diesem Zweck wie die Entwicklung neuer Methoden der Sozialkontrolle, die allerdings Formen annehmen könnten, die das Prädikat des nie Dagewesenen allemal verdienen.

28. November 2016


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