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HERRSCHAFT/1746: Von wegen Linkspopulismus ... (SB)



Der zwischen AfD und Linkspartei geführte Kampf um Wählerinnnen und Wähler, die aus sozialen Gründen rechts wählen, könnte für Die Linke den gleichen Effekt haben wie für andere Parteien, die mit rechtspopulistischen Demagogen konkurrieren. Am Ende wird Zuflucht zu staatsautoritären und nationalistischen Rezepturen gesucht, wie sich zuletzt darin andeutete, daß die Spitzenkandidatin der Linken, Sahra Wagenknecht, Bundeskanzlerin Merkel bezichtigte, für das Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz mitverantwortlich zu sein. Zwar erinnerte sie in diesem Zusammenhang an "die von Merkel unterstützten Ölkriege der USA und ihrer Verbündeten, denen der 'Islamische Staat' erst seine Existenz und Stärke verdankt", behauptete im Gespräch mit dem Stern aber auch, Merkel habe bei ihrer Flüchtlingspolitik keinen Plan und kein Konzept gehabt - "das war letztlich schlimmer als nur leichtfertig, ihre Politik hat viel Unsicherheit und Ängste erzeugt und die AfD groß gemacht" [1].

Die Aufnahme von einer Million Kriegsflüchtlingen 2015 soll erklärtermaßen eine einmalige Angelegenheit bleiben. Wagenknecht hätte ebensogut kritisieren können, daß die Kanzlerin ihre angeblich aus humanistischen Gründen erfolgte Flüchtlingspolitik wieder aufgegeben und statt dessen den Deal mit der Türkei und eine rigide Flüchtlingsabwehr bevorzugt. Die auch von Mitgliedern der Linkspartei an einer genuin linken Flüchtlingspolitik, die Flüchtlinge nicht als Staatsbürger taxiert, sondern als Menschen anerkennt, denen aus großer Not geholfen werden muß, geübte Forderung, man müsse die Ängste der großen Mehrheit der Bevölkerung ernst nehmen, um sie nicht der Rechten zu überlassen, hat jedoch nichts anderes anzubieten, als soziale Konkurrenz mit nationalistischen Argumenten zu untermauern.

So könnte den Ängsten derjenigen Bundesbürger, die in den Flüchtlingen unerwünschte Konkurrenz um Arbeitsplätze und Sozialleistungen erkennen, auch dadurch entsprochen werden, daß die Verfügbarkeit von Lohnarbeit anders organisiert wird. Anstatt sie zu einem zusehends knappen Gut zu erklären und dem daraus resultierenden Lohndruck nicht entschieden entgegenzutreten, wäre daran zu erinnern, daß es sich bei diesem Konkurrenzdruck um das gezielte Ergebnis herrschender Produktionsverhältnisse handelt. Warum wird bei geringerer Nachfrage nach Arbeitskräften nicht die Wochenstundenzahl bei vollem Lohnausgleich reduziert, um mehr Menschen an der Erwirtschaftung des offenkundig vorhandenen Reichtums teilhaben zu lassen? Warum wird materieller Knappheit etwa bei der Ernährung nicht durch eine sozial wie ökologisch sinnvolle Umstrukturierung der hochkonzentrierten, mit massiver Tierausbeutung und Naturzerstörung Extraprofite erwirtschaftenden Agrarbranche entgegengetreten? Warum werden Güter des täglichen Bedarfs nicht den Bedürfnissen der Menschen, sondern kapitalistischer Verwertungslogik gemäß produziert?

Die Unterstellung, an Produktionsverhältnissen, deren lebensvernichtender Charakter immer mehr Menschen klar vor Augen steht, ließe sich nichts verändern, ist das zentrale Legitimationsguthaben der im Bundestag vertretenen Parteien. Die Glaubwürdigkeit dieser Behauptung zu erschüttern und den Frieden der Paläste, der in Kanzleramt und Parlament, in Unternehmenszentralen und Kirchen, in Universitäten und Redaktionen als demokratische, ja zivilisatorische Errungenschaft gefeiert wird, in seinen lokalen wie globalen Auswirkungen als Krieg gegen die Hütten herauszustellen entspräche einer genuin linken Position. Die Trennscheide zur Rechten, die derzeit aus wahlstrategischen Gründen unsichtbar gemacht wird, bietet Anhaltspunkte genug für eine politische Opposition, die diesen Namen verdient. Anstatt die Nation zu einer Notgemeinschaft zu erklären, die das nationale Gesamtprodukt in der unterstellten Einheit einer Volksgemeinschaft erwirtschaftet und nicht "volksfremden" Kräften und Interessen überläßt, was imperialistischen Krieg notwendigerweise zur Folge hat, hieße das, gegen die sozialökonomische Realität der Klassengesellschaft vorzugehen und dies ausdrücklich mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten in aller Welt zu tun.

Wer sagt denn, daß die Bevölkerung um eine vom Kapital bestimmte Menge von Lohnarbeit zu konkurrieren hat und damit dessen Verwertungsinteressen in die Hände spielen soll? Natürlich diejenigen, die in dieser neofeudalistischen Gesellschaft ein gutes Auskommen haben und alles dafür tun, daß das auch so bleibt. Dazu zählt unter anderem die AfD, die als neoliberales nationalkapitalistisches Projekt antritt, dessen sozialer Anspruch sich in der Behauptung erschöpft, Ausländer nähmen den Deutschen die Butter vom Brot, ob nun als Nutznießer deutscher Sozialkassen oder Empfänger von deutschen Steuerzahlern garantierter "Finanzhilfen" wie im Falle Griechenlands. Daß die von der AfD angegriffene Kanzlerin mit der Zurichtung der EU zu einem Projekt deutscher Hegemonie maßgeblich zu dem Erfolg beigetragen hat, die Bundesrepublik bislang als Gewinnerin aus der internationalen Krisenkonkurrenz hervorgehen zu lassen, verschweigen Petry und Gauland aus gutem Grund - sie müßten entweder eingestehen, daß ihr nationalistischeres Vorhaben schwerwiegende Risiken in sich birgt, oder sie nährten die Vermutung, daß es ihnen - siehe Trump vor und nach der Wahl - damit gar nicht ernst wäre.

Kurz gesagt, die Unionsparteien und die neue Rechte sind sich so nahe, daß die AfD schon viel Schaum schlagen muß, um sich als tatsächliche Alternative zu empfehlen, während die anderen im Bundestag vertretenen Parteien - und offensichtlich auch Die Linke - der Spur des vermeintlichen Erfolgsrezeptes folgen und mit staatsautoritären und sozialrassistischen Forderungen nachlegen. Daran zu erinnern, daß die herrschende Gesellschaftsordnung nach wie vor privatwirtschaftlich organisiert ist und das Gros der Menschen nötigt, unter Bedingungen, auf die sie kaum Einfluß nehmen können, die ihnen als einziges Mittel zum Lebenswerb verfügbare Arbeitskraft den Käufern ihrer Lebenszeit zu deren Bedingungen zu überantworten, wird auch in der Linkspartei tunlichst unterlassen.

Die dabei zur Geltung kommende Befürchtung, an der Wahlurne keinen Erfolg zu haben, wenn das sozialdarwinistische Hauen und Stechen nicht zumindest verschämt mitgemacht wird, ist der Erfolgsorientierung in einer repräsentativen Demokratie geschuldet, die so strukturiert und formiert ist, daß die Durchsetzung derjenigen Politik, in der Staat und Kapital ihre Zwecke am meisten verwirklicht sehen, Programm ist. Sich daran nicht zu beteiligen läßt Parteien, die dennoch zur Wahl antreten, die Möglichkeit, in prinzipieller Opposition so viel wie möglich für die eigene Anhängerschaft zu tun und ansonsten auf außerparlamentarischem Wege für grundlegende, im Fernziel revolutionäre Veränderungen zu kämpfen.

Daß dies kein Trostpreis für Demokratieverweigerer ist, sondern ein politisches Engagement darstellt, das an den Kern des gesellschaftlichen Konflikts rührt, ist schon an dem angestrengten Ignorieren dieser Möglichkeit zu erkennen. Mit der Kür Trumps sind faschistische Tendenzen unter den Geld- und Funktionseliten westlicher Gesellschaften salonfähig geworden, gerade weil der künftige US-Präsident gezeigt hat, daß seine Anti-Establishment-Rhetorik pure Show war und die einfache Bevölkerung nichts anderes unter ihm zu erwarten hat, als auf noch brutalere Weise und zudem mit eigener Zustimmung ausgenommen zu werden. In einer Zeit, in der es überall auf der Welt brennt, Milliarden Menschen tagtäglich Not von existenzbedrohender Art erleiden und die Durchsetzung staatlicher Repression wie sozialer Kontrolle dystopische Ausmaße erreicht, könnten Politikerinnen und Politiker mehr tun, als die Wünsche ihrer Klientel zu bedienen. Unter diesen Umständen mit der politischen Bescheidenheit von Trittbrettfahrern um Stimmen zu werben, die man auch noch enttäuschen müßte, wenn man nach der Wahl dennoch andere, eben linke Politik machte, was daher um so unwahrscheinlicher würde, anstatt die soziale Opposition gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Kapitalismus und Krieg nach Kräften zu organisieren, könnte in Zukunft als Versäumnis von geradezu historischer Dimension bewertet werden.


Fußnote:

[1] http://www.stern.de/politik/deutschland/stern--sahra-wagenknecht-gibt-merkel-mitverantwortung-fuer-berlin-anschlag-7265304.html

7. Januar 2017


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